Adäquate zeitbezogene Vergütung gefordert
Dem Thema „Zahnmedizin für Patienten mit besonderem Betreuungsbedarf” widmete sich eine Expertenrunde auf der virtuellen Jubiläumskonferenz der Akademie für zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe, die in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feierte. Dabei nahmen die vier Referenten die ganze Palette der infrage kommenden Patienten in den Blick, Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und Vorerkrankugen, Erwachsene mit Behinderungen sowie alte Menschen mit Pflegebedarf und körperlichen oder geistigen Einschränkungen wie etwa Demenz.
Zahlen und Fakten wurden vorgelegt, aber auch mehr Mut und Empathie in der Behandlung von Patienten aus diesen Bereichen von den Zahnärzten eingefordert. Einigkeit herrscht bei den Experten darüber, dass der zusätzliche Aufwand – ob zeitlicher, personeller oder apparativer Natur – sich auch in einer angemessenen Vergütung niederschlagen müsse.
Versorgung von Kindern mit Behinderungen
PD Dr. Katharina Bücher, Spezialistin für Kinderzahnheilkunde am Poliklinikum für Zahnerhaltung und Parodontologie, Klinikum der Universität München (LMU), betont in ihrem Vortrag über die Versorgung von Kindern mit Behinderungen, dass gesunde Kinder und Kinder mit Grunderkrankungen und Behinderungen sich grundsätzlich nicht in ihrer Unterschiedlichkeit unterschieden, jeder habe sein eigenes Temperament, zeichne sich durch besondere Lebensfreude oder Ängstlichkeit aus. „Durch orale Dysfunktionen und kognitive und motorische Einschränkungen ist natürlich auch die orale Gesundheit beeinträchtigt“, erklärt Bücher. Das führe oft zu ausgeprägten, aber auch atypischen Befunden, angefangen von der frühkindlichen Karies über ein weiter bestehendes hohen Kariesrisiko bei Jugendlichen, die immer noch breiig ernährt werden müssen, bis hin zu kieferorthopädischen Besonderheiten. Dazu kämen neurologische Themen, Bruxismus, Kooperationseinschränkungen oder extremer Zahnsteinbefall mit einer Beatmung.
Zu den Kindern mit besonderem Betreuungsbedarf gehören Kinder mit physischen Einschränkungen, etwa durch infantile Zerebralparese oder Muskeldystrophie, Kinder mit Grunderkrankungen aus dem kardiologischen, onkologischen, hämatologischen oder auch Stoffwechselbereich, Kinder mit psycho-emotionalen Störungen – etwa aus dem Autismuspektrum –, mit Mehrfachbehinderungen und neurologischen Zusatzproblemen oder kognitiven Einschränkungen. Syndromale Erkrankungen seien häufig vertreten, auch seltene Erkrankungen, zum Beispiel ektodermale Dysplasie. „Diese Patienten haben einen engen Therapieplan mit sehr vielen Baustellen, eine niederschwellige Versorgung ist hier wünschenswert. Das heißt: zum Zahnarzt nebenan gehen können, dort die Untersuchung, Kontrolle und die Prävention wahrnehmen können“, sagt Katharina Bücher.
Wichtig sei, das Kind auf der einen Seite nicht zu überfordern, aber auch Kompetenzen einzufordern und die kleinen Patienten nicht zu unterschätzen. Bücher: „Die können ganz häufig viel mehr, als man ihnen auf den ersten Blick ansieht.“
Für die Versorgung, für die in der Zahnklinik der LMU ein Funktionsbereich für Patienten mit Behinderungen eingerichtet sei, stehe Zahnerhaltung im Vordergrund, um nicht durch frühzeitigen Milchzahnverlust in kieferorthopädischen Behandlungsbedarf zu kommen oder beim Jugendlichen in prothetischen Sanierungsbedarf. Bei vielen Patienten mit Schwerst-Mehrfachbehinderungen sei dies nicht möglich und habe einen großen Einfluss auf die Lebensqualität. „Wir möchten den Patienten und Pflegepersonen mitgeben: Mundgesundheit lohnt sich, es bringt Vorteile, wenn man nicht noch eine weitere Baustelle hat“, so Bücher.
Risiken, die die Patienten mitbringen, seien in der Regel in Arztbriefen dokumentiert. „Die gute Nachricht ist, wir sind immer Teil eines großen Teams bei der Versorgung der Patienten“, sagt Bücher. „Und Leute, die Kinder versorgen, sind sehr offen und freundlich, die Kontakte mit der Pediatrie sind immer sehr fruchtbar.“ Hier könne man Informationen bekommen, um die Patienten in der Praxis gut zu behandeln und die Risiken zu minimieren. „Für die Behandlung am Stuhl finde ich Ergotherapeuten und Logopäden sehr wichtig, sie sind Profis in der oralen Desensibilisierung“, erklärt Dr. Bücher. „Zahnmedizinisch natürlich die Kieferorthopädie und Oralchirurgie. Schlüssel für die häusliche Mundhygiene und die gute Zusammenarbeit insgesamt sind die Pflegekräfte, Betreuer, Eltern und Familie.“
Neben Empathie und Patientenzentriertheit brauchte der behandelnde Zahnarzt vor allem Zeit und häufig auch mehr und vor allem gut ausgebildetes Personal. „Wünschenswert wäre hier eine adäquate zeitbezogene Vergütung“, betont Bücher. „Dass man sagen kann: Es hat so lang gedauert, wir konnten aber nur das und das machen.“
In puncto universitäre Ausbildung möchte Dr. Katharina Bücher, dass hier Kompetenzen für die jungen Kollegen bereitgestellt werden. „Das ist der Schlüssel zum Barriereabbau, aber auch zur Sicherstellung ausreichender Behandlungskompetenzen.“ Allerdings seien die personellen Ressourcen und strukturellen Gegebenheiten oft so variabel, das selbst die Vermittlung theoretischer und praktischer Kompetenzen der Kinderzahnheilkunde schon sehr unterschiedlich wären, und für diese Patientengruppe noch unterschiedlicher. „Daher haben wir an der Kinder- und Jugendzahnheilkunde und Marc Auerbacher in der Spezialsprechstunde für Menschen mit Behinderungen die Gelegenheit ergriffen, hier mit der virtuellen Hochschule Bayern die Gelder mitzunehmen, um unseren und auch anderen Studenten in Bayern das Thema Zahnmedizin für Menschen mit Behinderungen nahezubringen. Dazu gibt es vier videogestützte Lernpakete. Scheinrelevant sind das Bestehen der Klausur und die Bearbeitung von Fallkasuistik.“
Erwachsene mit Behinderungen: ganzheitlicher Ansatz notwendig
Büchers zahnärztlicher Kollege am LMU München Dr. Marc Auerbacher hält einen ganzheitlichen Ansatz bei der Versorgung von Erwachsenen mit Behinderungen für notwendig. „Bieten Sie diesen Patienten frühzeitig ein zahnärztliches Zuhause, gerade wenn die Kinderzahnarztpraxis nicht mehr zuständig ist, denn es ist enorm wichtig, dass die Patienten dann jemanden finden, der sich um sie kümmert“, betont Auerbacher. Sein Ansatz zum Thema ist äußerst praxisbezogen, er möchte Zahnärzten Anregungen geben, die diese auch umsetzen können. Die Kenntnis und Anwendung von Kommunikationsstrategien und verhaltensführenden Techniken ermögliche in vielen Fällen eine Behandlung dieser Patienten im Wachzustand. Nicht nur wenige Spezialisten sollten darüber verfügen. Auerbacher: „Es handelt sich um eine gesellschaftspolitische und berufsethische Verpflichtung.“
Im Vorfeld zu beachten seien Fragen des Transfers: „Wie kommt der Patient auf die Behandlungsliege? Oder kann der Patient zum Beispiel in seinem Rollstuhl behandelt werden?“ Mit relativ einfachen Hilfsmitteln wie Lagerungskissen aus dem Reha-Bedarf könne der Behandler Unterstützungsfläche für den Patienten schaffen und die Voraussetzung, dass der Patient auch schlucken könne.
Für den Erstbesuch empfiehlt Auerbacher, sich zunächst das Vertrauen des Patienten zu erarbeiten. „Der Patient wird nicht in erster Linie deshalb in die Behandlung einwilligen, weil er die Behandlungsnotwendigkeit erkennt, sondern weil er Ihnen vertraut.“ Der Behandler solle dem Patienten signalisieren, dass er im Mittelpunkt stehe, auch wenn er sich mit den Angehörigen oder dem Begleitpersonen unterhalte. „Zeigen Sie Kompromissbereitschaft: Wenn der Patient nicht bereit sein sollte, sich gleich auf die Behandlungsliege zu legen, dann funktioniert vielleicht auch ein Befund erstmal im Sitzen“, rät Auerbacher. Eine ruhige, sonore Stimme sei hilfreich, ebenso ein Situationsbezug zum Alltag, etwa über einen vertrauten Gegenstand wie eine Zahnbürste, zudem Lob, Empathie, Gelassenheit, und eine freundliche Mimik.
Die professionelle Zahnreinigung sieht Auerbacher als Basis in der Behindertenbehandlung, sie könne dazu dienen, die Kooperation des Patienten zu beurteilen und im Hinblick auf weitere Behandlungen einzuschätzen. „Man kann die Zahnreinigung wunderbar anpassen an die aktuelle Compliance. Und dadurch, dass die PZR in der Regel schmerzfrei verläuft, baut es Ängste ab, fördert das Vertrauen und die Kooperation“, erläutert der Zahnarzt und gelernte Ergotherapeut. „Gleichzeitig habe ich einen geringeren Behandlungsbedarf und vermeide vielleicht auch die Häufigkeit von Narkosebehandlungen.“
Sowohl für das Behandeln in der Praxis als auch bei der häuslichen Zahn- und Mundpflege habe sich eine Reihe von Maßnahmen und Techniken bewährt.
Das „taktile Hallo“: Diese Maßnahme aus der facio-oralen Trakt-Therapie, ursprünglich in der Logopädie angesiedelt, meine eine extra- und intra-orale Stimulation in Form eines strukturierten Inputs.
- Tell-Show-Feel-Do-Methode: Aus dem Bereich der verhaltensführenden Techniken, ursprünglich in der Kinderzahnheilkunde angewendet, hier wechseln sich verbale und nonverbale Elemente ab, das Ganze geschehe in Verbindung mit positiv besetzten Termini.
- Nonverbale Kommunikation: Eher schräg zum Patienten sitzen als frontal vor ihm, eine offene Körperhaltung einnehmen – Arme nicht verschränkt, die Beine nicht überkreuz –, möglichst entspannt wirken, Blickkontakt und Körperkontakt zum Patienten halten.
- Ablenkung: Menschen mit einer geistigen Behinderung haben eine relativ kurze Aufmerksamkeitspanne. Durch Ablenkung erreiche man eine Fokussierung der Aufmerksamkeit, eine Überlagerung von Geräuschen, eine Reduktion des Schmerzempfindens, und dadurch auch eine Entspannung.
- Medical Immobilisation and Protective Stabilisation: Man halte den Patienten kurzzeitig auch einmal fest, am Kopf oder an den Extremitäten, um eine kurze Untersuchung oder Behandlung am Stuhl zu ermöglichen und um dadurch eine Behandlung in der Narkose zu verhindern. Dies diene auch als Schutz für den Patienten und für das Behandlungsteam gerade bei sehr unruhigen Patienten. „Sie sollten bei dieser Technik immer ein Einverständnis haben von den Angehörigen oder den Betreuern, idealerweise unterstützen hier auch die Angehörigen mit.“
Sein Appell an die Kollegen in der Zahnärzteschaft: „Seien Sie mutig, trauen Sie sich Behandlungsversuche am Stuhl zu, schaffen Sie Vertrauen, vermitteln Sie positive Erfahrungen, denken Sie an die extraorale, intraorale Desensibilisierung vor der Behandlung, und begegnen Sie diesen Patienten mit einem offenen Herzen.“ Die Empathie für diese besondere Patientengruppe vonseiten des Behandlers und des Behandlungsteams sei Grundvoraussetzung, sie sei aber auch ein Schlüssel zum Erfolg der Behandlung.
Alte Menschen mit Pflegebedarf – weniger ist mehr
Eine weitere Gruppe von Menschen mit besonderem Betreungsbedarf sind alte Menschen mit Pflegebedarf. Der Ulmer Zahnarzt Dr. Elmar Ludwig, Vorsitzender des Arbeitskreises Alterszahnheilkunde und Behindertenbehandlung sowie Referent für Alterszahnheilkunde der Landeszahnärztekammer in Baden-Württemberg, möchte Zahnärzte dafür sensibilisieren, dass die zahnärztlich Betreuung pflegebefürftiger alter Menschen vielseitige Kompetenzen erfordere, auf der therapeutischen Seite jedoch „weniger ist mehr“ gelte, da aufwendige und invasive Behandlungen aufgrund eingeschränkter Belastbarkeit dieser Patientengruppe häufig gar nicht sinnvoll seien. „Mit Kreativität und Augenmaß finden sich aber in der Regel einfachere, mitunter unkonventionelle Lösungen“, so Ludwig.
Diese dürften in Zukunft häufiger gefragt sein, denn der Anteil an älteren Menschen mit Pflegegrad steige. Ende 2018 seien 4 Millionen Menschen mit Pflegegrad registriert gewesen, in der Gruppe der über 60-Jährigen seien es mittlerweile in vielen Regionen 25 bis 30 Prozent oder mehr. Mit zunehmendem Alter – bis hin zu 90 Jahren – steige auch die Pflegequote sehr deutlich an, bis zu 60 oder 75 Prozent.
Zudem habe sich in den letzten drei Jahrzehnten die Situation im Mund dahingehend verändert, dass viele Menschen nicht mehr zahnlos, sondern teilbezahnt in die Pflege kämen – eine zusätzliche Herausforderungen für die Pflegekräfte. Aber auch viele Zahnarztpraxen seien nur sehr unzureichend auf alte Menschen mit Pflegebedarf vorbereitet, ob auf dem Weg in die Praxis, beim Toilettengang, der Terminvergabe oder der Prophylaxe bei Patienten mit kognitivem Abbau. „Die sogenannten geriatrischen Giganten, das sind Themen, mit denen sollten wir uns in der zahnärztlichen Praxis beschäftigen“, betont Ludwig.
Die Landeszahnärztekammer in Baden-Württemberg habe in den vergangenen 15 Jahren mit dem Wirken vieler sehr engagierter Menschen ein komplexes Konzept entwickelt, das sich Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf in besonderer Weise widme, und zudem viele wichtige Instrumente entwickelt sowohl für die Schulung der Pflegenden als auch für die Betreuung. Verschiedene Aspekte seien hier aufgenommen worden: Barrierefreiheit, rechtliche Aspekte, berufsrechtliche und vertragszahnärztliche Aspekte in der zugehenden Betreuung, Abrechnungsfragen, Ansprechpartner, Informationen für den geräuscharmen Ablauf in der Praxis, Vorträge, Lehr- und Lernmittel, die eingesetzt werden können, um Pflegekräfte kompetent zu machen.
Immer wichtiger würde auch in Zukunft die Versorgung von Patienten in Pflegeheimen oder in der häuslichen Umgebung. Ludwig: „Ich erlebe leider immer wieder Vorbehalte, die sich darauf konzentrieren: Was soll ich denn da eigentlich machen, ich hab doch gar nicht meine Praxis dabei?“ Jedoch ließe sich auch ohne großes Instrumentarium und ohne großen Aufwand einiges machen. Aufgabe sei, die Pflege mit zahnärztlicher Kompetenz so gut wie möglich zu unterstützen mit dem Ziel, mit möglichst wenig Aufwand ein Ergebnis zu erreichen, mit dem der Patient wieder die größtmögliche Lebenszufriedenheit erreichen könne.
Was heißt das konkret? Ludwig nennt ein paar Beispiele aus seiner Praxis, um zu zeigen, dass mit Erfahrung und Kreativität viel erreicht werden kann. So ginge es einmal um eine Prothese, die sich nicht mehr eingliedern ließe, und es reichte zu zeigen, dass es die Riegelblätter gebe, die man öffnen müsse. „Und bei der Gelegenheit konnte man auch noch ein bisschen die Pflegesituation besprechen, damit die Beläge hier sich nicht weiter kumulieren“, sagt Ludwig. In einem Fall musste eine okklusal verschraubte Krone wieder befestigt werden, dazu habe man nur die Schraube wieder etwas anziehen müssen. Im Rahmen einer Kontrolluntersuchung sei festgestellt worden, dass ein Kronenblock abgebrochen war; ein Stift steckte noch relativ fest in der Zahnwurzel, aber der andere war lose, und ob dieser vielleicht dann in der Nacht „in den falschen Hals“ gerutscht wäre – „Wir wissen es nicht, ich konnte ihn rechtzeitig entfernen“. Auch scharfe Kanten seien ein großes Thema, die man mit ganz geringem Aufwand entfernen könne, ob diese am Zahn oder Wurzelresten aufträten oder an herausnehmbaren Prothesen.
Bei den stationären Pflegeeinrichtungen gebe es Mentoreneinheiten, um die Auszubildenden für dieses Thema zu gewinnen. Eine Auswertung der Mundgesundheitspläne habe gezeigt, dass der Mundpflegestatus sich seit der Einführung des Mentorenprogramms deutlich verbessert habe. Ludwig: „Dieses Ergebnis gilt es jetzt im Rahmen weiterer Untersuchungen zu sichern.“ Auch die Pflegeampel, in der die individuellen Maßnahmen festgehalten und zum Beispiel im Bewohnerschrank aufgehängt werden, empfiehlt Ludwig als einfacheres und praxisnahes Mittel zur Verbesserung der alltäglichen Mundhygiene.
„Es gibt noch eine gute Nachricht, nämlich dass die Professionalität beziehungsweise die Profession der Pflege auch im Bereich der Mundgesundheit weiter gefördert wird, denn es wird einen Expertenstandard zur Förderung der Mundgesundheit geben, der wird im März 2021 veröffentlicht. Und dann bekommt dieses Thema auch ein ganz anderes Gewicht. Wir sollten in der Praxis auf diese Leistungen, auf diese Möglichkeiten unbedingt hinweisen.“
Wie sieht die zahnärztliche Versorgung aus von Menschen mit besonderem Betreuungsbedarf?
Wie steht es derzeit um die Versorgung von Menschen mit besonderem Betreuungsbedarf? Was gibt es schon, wo gibt es noch dringenden Handlungsbedarf? Diesen Fragen widmete sich Dr. Guido Elsässer, Mitglied der Prüfungskommission der LZK BW, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Gesellschaft für Medizin für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung und Sprecher der Sektion Zahnmedizin sowie stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für die zahnärztliche Betreuung von Menschen mit Behinderungen der Bundeszahnärztekammer. Dazu hat sich Elsässer die Bereiche Barrierefreiheit, Informationen für Zahnarztpraxen, Betroffene und Angehörige vorgenommen, Qualifikation für Zahnärzte und zahnmedizinisches Fachpersonal sowie die zahnärztliche Versorgung, gesundheitspolitische Entwicklungen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit.
„Mir als Referent für Behindertenzahnheilkunde ist immer wichtig zu unterscheiden zwischen Menschen mit Behinderungen und Menschen mit Pflegebedarf“, erklärt Elsässer. Unter anderem, weil sich hier Verfahren und Kostenträger unterschieden. Pflegebedürftigkeit: Dem Pflegegrad entsprechend gebe es Pflegegeld, der Kostenträger sei die Pflegekasse. Menschen mit Behinderungen können staatliche Hilfe beanspruchen und beantragen, dazu werde ein Gesamtplanverfahren erstellt und danach die Eingliederungshilfe festgelegt. Kostenträger für die Eingliederungshilfe seien die Stadt- und Landkreise.
2017 habe es 3,4 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland gegeben, also etwa 4 Prozent der Bevölkerung; davon wurden 76 Prozent zu Hause versorgt. Menschen mit einem Schwerbehindertenausweis habe es 7,7 Millionen, also nahezu 9 Prozent der Bevölkerung gegeben. „Die Bema-Definition von Menschen mit Behinderung wird gleichgesetzt mit Empfänger von Eingliederungshilfe, und da sind es nur noch 911.000, also so etwa ein Prozent der Bevölkerung“, erklärt Elsässer. Darunter rund 250.000 Kinder, das Durchschnittsalter der Erwachsenen läge bei 34 Jahren. 43 Prozent aller Menschen mit Behinderungen werden zu Hause versorgt, der Rest sei in Einrichtungen untergebracht.
2017 habe es 67.200 Zahnärzte gegeben, es sei zwar in den nächsten Jahren mit einer Zunahme zu rechnen, danach aber wieder mit weniger Zahnärzten, wenn die Babyboomer allmählich in Ruhestand gingen. 2017 habe demnach jeder Zahnarzt 50 pflegebedürftige Menschen betreuen müssen – wenn jeder Pflegebedürftige zahnärztliche Behandlung in Anspruch genommen hätte – im Jahr 2030 wären es nach heutigen Prognosen schon 68; Menschen mit Eingliederungshilfe wären pro Zahnarzt nur 13 Patienten.
„In puncto barrierefreier Zugang hat der Gesetzgeber schon viel in die Wege geleitet, die Landesbauverordnung in den alten (Bundes-)Ländern schreibt vor, dass neue Praxen barrierefrei gestaltet werden müssen und dass größere Umbauten auch barrierefrei sein müssen“, erläutert Elsässer.
An Informationen für die Zahnarztpraxen gebe es keinen Mangel. Von wissenschaftlicher Seite gebe es Informationen, etwa von der DGAZ, über viele Jahre seien hier viele Angebote für die Zahnärzteschaft entwickelt worden, und auch von der Arbeitsgemeinschaft Zahnmedizin für Menschen mit Behinderungen (AGZMB), eine junge, aber sehr aktive Arbeitsgemeinschaft innerhalb der DGZMK. Auch bei Informationen für Betroffene und Umfeld bestehe kein großer Handlungsbedarf mehr außer in Informationen für Betroffene in leichter Sprache. „Aber wir von der Landeszahnärztekammer sind bereits dabei, gemeinsam mit Special Olympics entsprechendes Material zu entwickeln“, verspricht Elsässer.
Die Universitäten in der Alterszahnmedizin seien auch bereits auf gutem Weg, da verspricht man sich Möglichkeiten durch die neue Approbationsordnung. In der Behindertenzahnmedizin fehle es insgesamt noch an Wissenschaftlichkeit.
Präventionsleistungen: Zeitlich, personell und apparativ sei die Behandlung von diesen Patienten sehr aufwendig, was noch fehle seien Zuschläge für den Mehraufwand. „Unter den bisherigen Rahmenbedingungen im Kassenzahnarztrecht ist wirtschaftliches Arbeiten nicht möglich“, betont Elsässer. „Auch in der Beratung vermisse ich persönlich Zuschläge. Wir beraten viel: Wir beraten die Angehörigen, wir beraten die Patienten natürlich – in einfacher Sprache – wir beraten das pflegende Personal, das unterstützende Personal, und der rechtliche Betreuer muss noch entsprechend informiert sein.“
Wie sieht es beim interdisziplinären Zusammenhalt und der Kooperation aus? Elsässer: „Ich kann letztlich nur für Baden-Württemberg all diese Dinge beurteilen, aber die ambulante Versorgung sieht eigentlich recht gut aus, es gibt sehr viele Kinderzahnärzte, die mit Anästhesisten zusammenarbeiten. Oralchirurgen, Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen arbeiten mit Anästhesisten zusammen, sodass man als Hauszahnarzt vor Ort immer seine Ansprechpartner hat, wenn es mal um Narkosen geht.“ Im Übergang zwischen ambulant und stationär müsse man noch Konzepte entwickeln.
Es gebe Kooperationsverträge mit den Pflegeheimen, jedoch noch keine Konzepte für die Zusammenarbeit mit ambulanten Pflegediensten, für die Zusammenarbeit mit pflegenden Angehörigen, da werde es sicher noch viel Arbeit für alle Beteiligten geben. Es fehle die Möglichkeit, Kooperationsverträge mit Behindertenwohneinrichtungen abzuschließen, mit Werkstätten für Menschen mit Behinderungen oder für die neugegründeten Medizinischen Zentren für Erwachsene mit Behinderungen (MZEB), auch hier müsse noch viel getan werden. „Zusammenfassend möchte ich sagen: Die Zahnärzteschaft hat ihre Hausaufgaben gemacht, wir haben gute Konzepte entwickelt, jetzt muss der Gesetzgeber durch entsprechende Rahmenbedingungen ermöglichen, dass wir diese Konzepte auch flächendeckend umsetzen können.“