Anzeige

„Zahlen wenig aussagekräftig“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

Die 105 gesetzlichen Krankenkassen haben in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres rund 1,3 Milliarden Euro mehr ausgegeben als eingenommen. Die Finanzreserven der Krankenkassen lagen trotzdem Ende März 2020 bei rund 18,3 Milliarden Euro und entsprechen damit im Durchschnitt 0,83 Monatsausgaben. Die gesetzlich vorgesehene Mindestreserve für die einzelnen Krankenkassen beträgt 0,2 Monatsausgaben.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: „Die Pandemie wirkt sich auch auf die Finanzen der Krankenkassen aus. Die aktuellen Zahlen sind allerdings wenig aussagekräftig. Belastbare Prognosen werden wir erst im Herbst treffen können. Nach vielen Jahren finanzieller Stabilität müssen wir uns aber darauf einstellen, dass die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben größer werden wird. Deshalb wird es bereits in diesem Jahr einen zusätzlichen Bundeszuschuss von 3,5 Milliarden Euro an die gesetzliche Krankenversicherung geben. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist das ein gutes und richtiges Signal an Beitragszahler und Arbeitgeber.“

Den Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von rund 65,1 Milliarden Euro standen Ausgaben von rund 66,4 Milliarden Euro im 1. Quartal 2020 gegenüber. Damit sind die Einnahmen der Krankenkassen, die sie durch Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds erhalten, um 4,0 Prozent gestiegen. Die Ausgaben für Leistungen und Verwaltungskosten verzeichneten bei einem Anstieg der Versichertenzahlen von rund 0,2 Prozent einen Zuwachs von 5,6 Prozent. Der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz lag wie im Vorjahr stabil bei 1,0 Prozent und damit um 0,1 Prozentpunkte unterhalb des vom BMG zum 1. November 2019 bekannt gegebenen ausgabendeckenden Zusatzbeitragssatz von 1,1 Prozent für 2020.

Finanzentwicklung nach Krankenkassenarten

Bis auf die Landwirtschaftliche Krankenkasse (LKK), die ein ausgeglichenes Finanzergebnis erzielte, verzeichneten alle Krankenkassenarten Defizite: die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) ein Minus von 435 Millionen Euro, die Ersatzkassen von 542 Millionen Euro, die Betriebskrankenkassen (BKK) von 198 Millionen Euro, die Innungskrankenkassen (IKK) von 99 Millionen Euro und die knappschaftliche Krankenversicherung von 58 Millionen Euro. Bei der Entwicklung der Ersatzkassen (EK) ist zu berücksichtigen, dass sich ein erheblicher Teil dieses Defizits durch die Gründung eines Pensionsfonds einer großen Krankenkasse erklären lässt.

Ergebnis des Gesundheitsfonds

Der Gesundheitsfonds, der zum Stichtag 15. Januar 2020 über eine Liquiditätsreserve in einer Größenordnung von rund 10,2 Milliarden Euro verfügte, verzeichnete im 1. Quartal 2020 ein Defizit von rund 3,2 Milliarden Euro. Dieses ist zu erheblichen Teilen darauf zurückzuführen, dass Einnahmen aus der Verbeitragung von Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeldzahlungen sowie Zusatzeinnahmen aus den Rentensteigerungen zur Jahresmitte in der ersten Jahreshälfte noch nicht berücksichtigt sind. Gleichwohl blieb auch der Anstieg der beitragspflichtigen Einnahmen gegenüber dem Vorjahresquartal im 1. Quartal 2020 mit 3,4 Prozent deutlich hinter den Zuwächsen der Vorquartale zurück. Im gesamten Jahresverlauf sind jedoch – trotz der Stabilisierung der Sozialversicherungseinnahmen durch die Regelungen beim Kurzarbeitergeld – nach derzeitigem Erkenntnisstand konjunkturell bedingte Mindereinnahmen der GKV in einer Größenordnung von 4 bis 5 Milliarden Euro zu erwarten.

Entwicklungen bei den Ausgaben

Bei den Krankenkassen gab es im 1. Quartal 2020 einen absoluten Ausgabenzuwachs von 5,6 Prozent. Die Leistungsausgaben stiegen um 5,7 Prozent, die Verwaltungskosten um 4,0 Prozent. Bei der Interpretation der Daten des 1. Quartals ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass die Ausgaben in vielen Leistungsbereichen von Schätzungen geprägt sind, da Abrechnungsdaten häufig noch nicht oder nur teilweise vorliegen.

Zweistellige Zuwachsraten bei Arzneimitteln, Krankengeld und Heilmitteln

Auffällig sind im 1. Quartal 2020 vor allem zweistellige Ausgabenzuwächse bei Arzneimitteln, Krankengeld und Heilmitteln, die die Veränderungsrate der Gesamtausgaben deutlich erhöht haben.
Der Ausgabenzuwachs für Arzneimittel von 11,5 Prozent ist zu wesentlichen Teilen auf Mengenentwicklungen und Vorzieheffekte in den letzten Wochen des 1. Quartals zurückzuführen. So registrierte die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) im März 2020 gegenüber dem Vorjahresmonat einen Anstieg der GKV-Umsätze von 25 Prozent, der offenkundig mit einem überproportionalen Zuwachs der Verordnungszahlen und einer verstärkten Verordnung von Großpackungen einherging. Im April verzeichnete die ABDA hingegen im Vorjahresvergleich wieder einen Ausgabenrückgang von rund 1 Prozent.
Die sich in der jüngeren Vergangenheit ohnehin dynamisch entwickelnden Ausgaben für Krankengeld sind im ersten Quartal mit 11,3 Prozent nochmals stark gestiegen.
Die Zuwachsraten bei Heilmitteln in Höhe von 10,3 Prozent dürften im Wesentlichen auf die bis Mitte 2019 schrittweise vom Gesetzgeber vorgegebenen Honorarsteigerungen zurückzuführen sein, die zu einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Heilmittelerbringer beitragen.
Der Ausgabenanstieg für Krankenhausbehandlung von 2,6 Prozent kann angesichts der sich ab Mitte März verstärkt auswirkenden COVID-19-Pandemie und der vielfältigen Einflussfaktoren ebenso wenig bewertet werden wie die Ausgabenzuwächse für ärztliche Behandlung von 4,3 Prozent, bei denen für das 1. Quartal noch keinerlei Abrechnungsdaten vorliegen.

Entwicklung im weiteren Jahresverlauf

Mit dem am 17. Juni vom Bundeskabinett beschlossenen Nachtragshaushalt wird der gesetzlichen Krankenversicherung ein zusätzlicher Bundeszuschuss von 3,5 Milliarden Euro für 2020 zur Verfügung gestellt. Damit soll die Liquiditätssituation des Gesundheitsfonds verbessert werden. Im Ergebnis wird auch die Liquidität und finanzielle Stabilität der Krankenkassen gestärkt. Ferner tragen die zusätzlichen Mittel zum Erhalt der gesetzlich vorgesehenen Mindestreserve des Gesundheitsfonds im Jahr 2020 bei.
Die Bundesregierung hat sich in Ihrem Konjunkturprogramm ferner darauf verständigt, dass zur Vermeidung einer Belastung von Arbeitnehmern und Betrieben die Sozialversicherungsabgaben in den Jahren 2020 und 2021 eine Grenze von 40 Prozent der Löhne und Gehälter nicht überschreiten sollen.
In welchem Umfang dafür im Jahr 2021 zusätzliche Bundesmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung bereitgestellt werden müssen, wird im Herbst zu entscheiden sein.

Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes

Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes

„Teure Reformen drücken das Quartalsergebnis“

Anlässlich der nun bekannt gewordenen Finanzergebnisse der gesetzlichen Krankenversicherung für das erste Quartal 2020 erklärt Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands:

„Die gesetzliche Krankenversicherung hat das erste Quartal 2020 mit einem Minus abgeschlossen. Für die gesetzlichen Krankenkassen bedeutet das rund -1,3 Milliarden Euro, für den Gesundheitsfonds rund -3,2 Milliarden Euro. Aus diesen Zahlen lässt sich allerdings keine Prognose für das Gesamtjahr ableiten. Die hohen Leistungsausgaben im Vergleich zum Vorjahresquartal sind vor allem auf die kostentreibenden Reformen der letzten Jahre, wie etwa das Terminservice- und Versorgungsgesetz, zurückzuführen. Sowohl die zusätzlichen Ausgaben durch die Corona-Pandemie, wie etwa Hilfen für Krankenhäuser, Ärzte, Physiotherapeuten und andere Leistungserbringer, als auch die Minderausgaben, auch durch verschobene Operationen, sind lediglich in den Märzdaten und hier nur anteilig enthalten und beeinflussen das Quartalsergebnis nur wenig. Wie sich das weitere Jahr finanziell entwickelt, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf den Gesundheitsfonds und die Krankenkassen haben wird, wird sich erst im Jahresverlauf zeigen. Fest steht aber, dass die Corona-Pandemie die GKV insgesamt in einer Situation des – gesetzlich vorgegebenen und politisch gewollten – Vermögensabbaus trifft. Denn der Gesetzgeber hat die Krankenkassen ab 2020 verpflichtet, Reserven stärker abzubauen, als für eine nachhaltige Finanzplanung geboten wäre.“