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„Man muss das BMG ­zwingen, Stellung zu beziehen“

Zehn Jahre sind seit der vom BDIZ EDI veranlassten Verfassungsbeschwerde gegen die GOZ 2012 vergangen, der Punktwert ist aber unverändert geblieben. Im Interview mit der dzw erläutern Christian Berger, Präsident des BDIZ EDI, und Prof. Dr. Thomas Ratajczak, Justiziar des BDIZ EDI, ihre neue Strategie, die auf eine Klageerhebung vor dem Verwaltungsgericht setzt.

Anpassung der GOZ: Interview mit Christian Berger und Prof. Dr. Thomas Ratajczak zur neuen Strategie einer Verwaltungsgerichtsklage

Herr Berger, Sie sind seit Jahrzehnten als Zahnarzt und als Standespolitiker aktiv. Wie viele GOZ-Punktwerterhöhungen haben Sie in dieser Zeit erlebt?
Christian Berger: Ich habe mein Staatsexamen 1984 abgelegt und war dann fünf Jahre lang angestellter Zahnarzt an der MKG-Chirurgie an der Universität Heidelberg. Seit meiner Niederlassung im Frühjahr 1989 hat es keine einzige Punktwerterhöhung gegeben. Die aktuellen Gebührenhöhen basieren auf Vorschlägen aus den fünfziger Jahren, die 1965 als GOZ festgeschrieben wurden. 1988 wurden sie kostenneutral umrelationiert, um 2012 um einige wenige Leistungen ergänzt zu werden – aber ohne Punktwerterhöhung. Die Punktwerte in der GKV wurden in dieser Zeit dagegen fast verdoppelt: von 1,24 DM im Jahr 1988 auf 1,22 Euro heute – das sind 92 Prozent mehr.

Herr Prof. Ratajczak, die Gebührenordnung der Tierärzte wurde gleich mehrfach angepasst. Gab es Initiativen zur ­Anpassung der GOZ?
Prof Dr. Thomas Ratajczak: Wir haben es versucht und das BMG angeschrieben, ob bis Ende der Legislaturperiode noch etwas passieren wird, andernfalls würden wir klagen, aber wir haben keine Antwort erhalten. Die Anpassungen der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) sind interessant, weil die erste große Anpassung der Punktwerte bei den Tierärzten 1988, im selben Jahr wie die der GOZ, erfolgte. Seit 1988 wurde die Gebührenordnung der Tierärzte aber um rund 135 Prozent angehoben. Allein die letzte Erhöhung betrug rund 60 Prozent. In der Klage vor dem Verwaltungsgericht haben wir uns deshalb erlaubt, zahnärztliche Leistungen der GOZ mit Leistungen der GOT zu vergleichen, um der Öffentlichkeit die Ungleichbehandlung deutlich zu machen.

Ein Bild, das einen Herrn um die 60 in einem hellblauem Anzug, weißem Hemd mit hellblauer Krawatte zeigt

Prof. Dr. Thomas Ratajczak, Rechtsanwalt und Justiziar des BDIZ EDI

Warum hatte die Verfassungsgerichtsklage 2012 keinen Erfolg?
Ratajczak: Es frustriert uns Juristen, dass sich das Bundesverfassungsgericht in erster Linie mit Randthemen beschäftigt, aber um gesundheitliche und gesellschaftliche Themen einen großen Bogen macht. 2012 bekamen wir eine neue GOZ, und man kann gegen neue Gesetze innerhalb einer Jahresfrist klagen. Also haben wir es versucht. Unser Argument war, dass in der GOZ seit Ewigkeiten nichts mehr geschehen ist. Zum Hintergrund: Es gab 2001 eine Entscheidung des BVerfG, dass wenn die Zahnärzte ihre Abrechnungsmöglichkeiten laut GOZ nicht ausschöpfen, diese nicht verfassungswidrig sein kann – eine ziemlich schräge Argumentation. Denn die Gebührenordnung ist ja nicht da, um sie durch Auslegung zu überwinden, sondern um sie anzuwenden.
2004 haben wir eine Entscheidung erstritten, die als Essenz enthält, dass weniger als Bema für Zahnärzte nicht zumutbar sei. Heute haben wir eine GOZ-Subvention durch den Bema, und keine Bema-Subvention durch die GOZ, wie es angedacht war. Ab 1965 galt der Kassensatz als Mindestsatz, der 1,0-fache GOZ- und GOÄ-Satz entsprach dem EBM beziehungsweise dem Bema. 1994, als die Basis- beziehungsweise Standardtarife der PKVen eingeführt wurden, wurde auf den 1,7-fachen Satz kalibriert. Mittlerweile wissen wir in der GOÄ aber schon gar nicht mehr, wie man überhaupt kalibrieren könnte, weil praktisch alles analog abgerechnet wird.
Unsere Argumentation für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist nun, dass der Verordnungsgeber laut den Grundlagen der Gebührenordnungen – Paragraf 11 Bundesärzteordnung, Paragraf 15 Zahnheilkundegesetz oder Paragraf 12 Bundes-Tierärzteordnung – zwar keine Gebührenordnung machen muss, aber dass er, wenn er eine macht, auch liefern muss, und zwar angemessen. Eine jahrelang nicht angepasste Gebührenordnung könnte sogar ihre Rechtsgrundlage verlieren, wie das Bundesverfassungsgericht 1984 zur GOÄ anmerkte. Genau das ist die zentrale Argumentation unserer Klage.

Ein Bild, das einen Mann in einem Büro im Halbporträt zeigt

Christian Berger, Präsident des BDIZ EDI

Herr Berger, gibt es keine Pflicht des Verordnungsgebers, Gebührenordnungen regelmäßig zu überprüfen und anzupassen?
Berger: Diese Verpflichtung gibt es laut Begründung zur GOZ 1988 tatsächlich. Nur ignoriert das BMG die eigene Verpflichtung, die Gebührenordnung an die wirtschaftliche Entwicklung anzupassen. Es wird nicht geprüft, ob die Kalibrierung der einzelnen Leistungen noch angemessen ist. Vielmehr begründet das BMG seine Nichttätigkeit mit Zahlen aus dem Statistischen Jahrbuch der KZBV, nach dem Motto, jede einzelne Praxis verdiene doch statistisch deutlich mehr Euro als noch vor fünf oder zehn Jahren. Also bestehe keine Notwendigkeit, die Honorare anzupassen. Es wird allerdings vergessen, die Inflation und andere Kostenfaktoren zu berücksichtigen. Und es wird vergessen, dass wir nach Corona ein regelrechtes Praxissterben hatten, vor allem in ländlichen Regionen. Denn wenn der Kuchen, der durch Bema-Zuwächse jedes Jahr etwas größer wird, auf immer weniger Praxen verteilt wird, dann verdient tatsächlich jede einzelne Praxis statistisch mehr als noch vor fünf Jahren. Grund genug für das BMG, eine Punktwerterhöhung abzulehnen.

Die Möglichkeiten, die GOZ auszuschöpfen, sind aber mit Klimmzügen verbunden …
Berger: Heute liegen in der GOZ rund 80 Prozent aller Positionen unter dem Bema-Wert der jeweiligen KZV. Wenn also der Zahnarzt bei seinem Privatpatienten die gleichen Leistungen ausführen möchte wie bei seinem Bema-Patienten, dann muss er sich mit analoger Abrechnung oder Abdingungen nach Paragraf 2 GOZ herumschlagen, um das gleiche Honorar wie im Bema zu erzielen. Diese absurde Situation hat uns veranlasst, jetzt erneut den Klageweg zu beschreiten, diesmal beim Verwaltungsgericht.

Herr Prof. Ratajczak, warum jetzt eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin?
Ratajczak: Wir wollen erreichen, dass das BMG in Schriftsätzen Farbe bekennt und nicht wie bislang nur politisch argumentiert. Es soll erklären, warum die GOZ ausreichen soll, obwohl alle anderen sagen, dass dies nicht der Fall ist. So fragt etwa die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Ärztemangel und der aktuellen Gebührensituation gibt. Das BMG sagt, dazu habe man keine Erkenntnisse. Aber es gibt die Äußerung der damaligen Vizepräsidentin der Bayerischen Landesärztekammer, die sich über die Klage, dass Ärztinnen zu wenig arbeiten, bitter beschwert hat und die Frage stellte, warum immer weniger Männer Medizin studieren. Die Antwort lautet: Der Beruf ist für junge Männer unattraktiv geworden, sie befürchten, nicht genug verdienen zu können, also meiden sie ihn. Es brodelt ganz gewaltig bei den Ärzten und Zahnärzten. Man muss das BMG zwingen, Stellung zu beziehen und den Richtern zu erklären, warum kein Handlungsbedarf erkannt wird.

Laut Minister Lauterbach ist aber doch genug Geld im System …
Ratajczak: Wenn Sie sich die Punktwerterhöhung bei den Ärzten anschauen, dann haben wir dort 3,86 Prozent, und am 6. Oktober hat das Statistische Bundesamt den Orientierungspunktwert für die Kliniken von knapp 7 Prozent publiziert, dann ist das ist schon eine Zumutung. Die GOÄ ist als die Grundgebührenordnung, an der sich auch der Bema orientiert, mittlerweile 30 Jahre alt. Wir brauchen also eine aktualisierte GOÄ, nicht nur für die GOZ, sondern für alle ärztlich Tätigen, denn auch die Psychotherapeuten rechnen nach GOÄ ab. Das BMG unternimmt aber nichts, verweigert sich. Das für die Tierärzte zuständige Bundesernährungsministerium hat keine Schwierigkeiten, bei den Tierärzten die wirtschaftliche Situation zu berücksichtigen und angemessen mit einer Anpassung zu reagieren. Die Tierärzte haben in den vergangenen 35 Jahren um insgesamt rund 135 Prozent zugelegt, die Zahnärzte sollen sich aber nicht beklagen dürfen?

Wie lange wird es im günstigsten Fall dauern, bis eine Reaktion des BMG und daraus resultierend eine GOZ-Anpassung erfolgreich abgeschlossen sein wird? Sprechen wir von Jahren?

Ratajczak: Das kann sein, aber die Ärzte und der PKV-Verband sind zuversichtlich, dass dem BMG gar nichts anders übrig bleibt, als die GOÄ und damit die GOZ anzufassen. Unsere Argumentation geht ja auch auf den unterschiedlichen Punktwert in GOÄ und GOZ ein, der nicht zu rechtfertigen ist. Es widerspricht dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, wenn ein MKG-Chirurg und ein Zahnarzt unterschiedliche Vergütungen für dieselben Leistungen erhalten. Wir rechnen damit, dass es in der nächsten Legislaturperiode so weit sein wird, wenn das Verwaltungsgericht feststellt, dass GOÄ und GOZ ohne Rechtsgrundlage sind und wir die Bundesregierung verpflichten können, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts tätig zu werden.
Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten: Die Aufhebung der Gebührenordnung, dann gilt nach BGB die übliche Vergütung, die es festzulegen gilt. Schwierig, aber machbar. Man könnte zweitens an die Punktwerte herangehen. Und die dritte Alternative wäre eine Neubewertung der Leistungen insgesamt, weil deren Beschreibung völlig veraltet ist. Das bestätigt im Übrigen sogar das BMG selbst, ohne allerdings tätig zu werden. Eine Ausnahme ist der Klinikbereich, wenn auch auf Kosten des ambulanten Bereichs. Ich kann die KBV verstehen, wenn sie in der Klinikreform den Versuch sieht, die ambulante Versorgung zu ruinieren. Ich vermisse dazu ähnlich markante Worte aus BZÄK und KZBV. Dort ist man offenbar der Meinung, die Klinikreform habe nichts mit den Zahnärzten zu tun.

Berger: Der erste Schritt, die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Argumentation des BMG falsch und eine Aktualisierung der Gebührenordnung schon lange überfällig ist, ist für mich entscheidend. Dann werden die Mitglieder des BDIZ EDI vorangehen und wie die Ärzte analog abrechnen.

Ratajczak: Dann wird es für uns öffentlich, und dann beginnt die Politik. Das BMG kann nicht in einer Bundestagsdrucksache die völlig veraltete Gebührenordnung feststellen und es dabei belassen. Dann wird es Klagen geben. Alle akademischen Heilberufe haben dieselbe gebührenrechtliche Grundlage, die sich nur in Nuancen unterscheidet, und damit sind auch die Pflichten des Verordnungsgebers identisch. Wir haben hier einen Verordnungsgeber, der gegenüber dem Bundestag als Gesetzgeber Auftragnehmer ist, sich diesem Auftrag aber verweigert. Wenn aber das BMG Rechtstreue von Ärzten und Zahnärzten erwartet, müssen diese auch Rechtstreue seitens des BMG erwarten dürfen.

Wie viel Zeit bliebe dem BMG, den Auftrag in die Tat umzusetzen?
Ratajczak: Das ginge theoretisch sehr schnell, weil die GOÄ mit ihrem ca. 7.000 Punkte umfassenden Vorschlag schlüsselfertig in der Schublade liegt. Da selbst die Neuregelung der GOT, die ja sehr umfangreich ausgefallen ist, nur zwei Jahre gedauert hat, gehe ich ebenfalls von zwei Jahren aus. Die Frage ist, ob man es will oder nicht will, aber es ist keine Frage der Kapazitäten.
Berger: Die Situation ist diesmal anders als 1988 oder 2012, als es in den Gremien ein jahrelanges Ringen gab. Damals hing über dem gesamten Abstimmungsprozess immer das Damoklesschwert, die Erhöhung dürfe nicht mehr als 5 oder 6 Prozent mehr kosten. Man hat also versucht, die Bewertung der einzelnen Leistungen diesem Diktum unterzuordnen. Wenn jetzt festgestellt würde, dass die Gebührenordnungen nicht mehr zeitgemäß sind, dürfte es sehr viel schneller gehen, denn erstens hat die BZÄK schon vorgearbeitet, und es gibt immer noch den Bema, an dem man sich orientieren kann.

Das Interview führten dzw-Chefredakteur Oliver Pick und Dr. Helge David.

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