Beim mittlerweile 8. Präventionsforum präsentierten Experten aus Hochschule und Praxis Anfang September in der Haranni Academie wieder präventive und therapeutische Konzepte. Neben Details zur Ätiologie der Erkrankungen gab es wie immer praxisrelevante Empfehlungen und Tipps, aber auch spannende Blicke über den dentalen und oralen Tellerrand.
Kurz und klar
- Finanzierungslücke von 100 Millionen Euro im PAR-Bereich wird private Zusatzleistungen erfordern, auch für die Fortschreibung der UPT.
- Eine nach GOZ berechnete Vorbehandlung ist zu empfehlen.
- Parodontale Risikofaktoren müssen kontinuierlich überwacht werden.
- Das Verlustrisiko für Implantate ist bei Parodontitis-Vorgeschichte mehr als zweimal so hoch, ein gut eingestellter Diabetes keine Kontraindikation.
- Bei Erosionen ist der Säuregehalt entscheidend, nicht der pH-Wert.
- Speicheltests unterstützen die karies- und xerostomiebezogene Diagnostik.
- Die zunehmende Zahl pflegebedürftiger Patienten bleibt auch bei mehr Delegation und Weiterbildung von Pflegekräften eine große Herausforderung.
Hygienephase besser zuerst
Mit vorgeschalteter Hygienephase müssen laut Prof. Dr. Georg Gaßmann, an der Europäischen Fachhochschule Rhein/Erft zuständig für Dentalhygiene und Präventionsmanagement, bis zu 70 Prozent weniger Parodontien instrumentiert werden. Mundhygienetraining und Aufklärungsgespräch sind laut PAR-Richtlinie erst nach Genehmigung des Antrags vorgesehen und daher nach GOZ zu berechnen.
Das gilt auch für individuelles Gesundheits-Coaching, das als private Leistung nicht unter die zu erwartende Budgetierung fällt. Die Zahnärztekammer Nordrhein prognostiziert für die PAR im Bema eine Finanzierungslücke von 100 Millionen Euro pro Jahr.
Gaßmann betonte aber, dass Parodontitistherapie fairerweise auch Patienten angeboten werden sollte, die sich eine private Vorbehandlung nicht leisten können. Um gute Mitarbeit zu erreichen, sollte Parodontitis als gut kontrollierbar dargestellt werden, nicht als lebenslange Erkrankung [1]. Im ersten Jahr sei eine vierteljährliches Recall ratsam, unabhängig von Schweregrad und Prognose.
Als neue heilungsfördernde Option für die Initialtherapie (AIT) stellte Gaßmann ein neues subgingival zu applizierendes Gel vor, das entzündungsregulierende Hyaluronsäure und zusätzlich antimikrobiell wirksames Octenidin enthält (Pocket-X, Geistlich Biomaterials). Eine von ihm koordinierte, praxisbasierte Multizenterstudie bestätigt die Ergebnisse einer Split-Mouth-Studie, in der Taschentiefen und Attachmentgewinn signifikant verbessert wurden [2]. Laut Gaßmann könnte eine minimal-invasive Instrumentierung die Heilung fördern, zugleich werde im Vergleich zur traditionellen Wurzelglättung Zahnsubstanz geschont.
Antibiose selten indiziert
Anhand von Beispielen zeigte die Bonner Privatdozentin Dr. Pia-Merete Jervøe-Storm (Universität Bonn) in praxisnaher Weise, wie sie ihre Patienten behandelt. Dabei dient die S3-Leitlinie der DG Paro als Richtschnur („wie ein Lehrbuch“). Da eine saubere Mundhöhle die Heilung nach der Instrumentierung fördert, beginnt Jervøe-Storm auch mit der Schulung einer effektiven Mundhygiene [3]. Sie berät zu gesundheitsrelevanten Themen wie Raucherentwöhnung, überlässt diese aber spezialisierten Hausärzten oder empfiehlt Programme der Krankenkassen. Systemische Antibiose ist nach Leitlinie selten notwendig und sollte entsprechend nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen. Implantate werden erst gesetzt, wenn das Parodont stabil ist, wenn notwendig erst Jahre nach Therapiebeginn.
Parodontitis verdoppelt Implantatverlustrisiko
Der MKG-Chirurg Prof. Dr. Dr. Christian Walter lehrt an der Universität Mainz und praktiziert an zwei Kliniken, mit einem Schwerpunkt auf Implantologie. Alle Implantatpatienten kommen zweimal jährlich zum Recall, bei schlechter Mundhygiene auch dreimal oder öfter. Mit einer solchen konsequenten Betreuung lässt sich die Periimplantitishäufigkeit nach fünf Jahren um mehr als die Hälfte reduzieren [4]. Auch Walter implantiert nur bei parodontal auskurierten Patienten, die aber über das 2,3-fach erhöhte Risiko für Implantatverluste informiert werden müssen [5]. Bei Rauchern steigt das Verlustrisiko signifikant und dosisabhängig [6].
Bei korrekt eingestellten Diabetespatienten gibt es dagegen keine signifikant ungünstigeren Werte für zum Beispiel Sondierungsblutungen oder Knochenverlust [7]. Bei Osteoporose muss der Knochen häufig verdichtet werden, zum Beispiel durch ein unterdimensioniertes Implantatbett, kondensierenden Handinstrumenten oder Linkslauf des Bohrers beim Aufbereiten (Walters Präferenz). Für die sehr heterogenen rheumatischen Erkrankungen gibt es nur wenig Evidenz in Bezug auf orale Implantologie. Zu berücksichtigen sind häufigere Wundheilungsstörungen und Wechselwirkungen mit Medikamenten.
Apfelsaft erosiver als Cola
Erste mit Karies und Gingivitis assoziierte Veränderungen im Biofilm setzen nach drei Tagen ohne Mundhygiene ein, nach 14 Tagen ist der Biofilm mit fester und planktonischer („schwimmender“) Phase ausgereift. In Kombination mit Zucker ist Stärke als enzymatisch spaltbares Substrat co-kariogen. Prof. Dr. Stefan Zimmer (Witten/Herdecke), Präsident der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM), erläuterte auch die Pathogenese von Erosionen, die ohne Beteiligung von Mikroorganismen entstehen. Ein typisches Symptom ist in Abgrenzung zu Karies intakter Schmelz am Gingivarand, der auf die Sulkusflüssigkeit zurückzuführen ist. Interessanterweise bewirken zum Beispiel Apfelsaft oder Sekt aufgrund ihres Säuregehalts höheren Substanzverlust als Colagetränke.
Aktuelle kariespräventive Konzepte präsentierte DGPZM-Vizepräsident Dr. Lutz Laurisch (Korschenbroich). Ein wichtiger Fokus liegt für ihn auf Zuckerreduktion (Kontrolle bakterieller Speichelparameter), aber auch auf kauaktiver Ernährung, ausreichender Flüssigkeitsaufnahme und Stimulation der Speichelsekretion, zum Beispiel mit Kaugummi (funktionelle Parameter). Speichelmangel lasse sich auch indirekt durch anamnestische Hinweise feststellen, wobei Patienten von Trockenheitsgefühl, nächtlichem Trinken oder Mundgeruch berichten. Diagnostisch stehen laut Laurisch quantitative (Speichelmenge), qualitative (Pufferkapazität) und bakteriologische Tests zur Verfügung (Karies-Screen-Test +P, Vertrieb zum Beispiel Minilu).
Körpereigene Schutzfaktoren
Auf die vielfältigen molekularbiologischen Vorgänge beim Übergang in eine Dysbiose des „oro-naso-pharyngealen Raums“ verwies der emeritierte Professor Dr. Dr. h. c. Peter Gängler (Witten/Herdecke). Aufgabe der Mundhygiene sei die Kontrolle von Plaque in Risikobereichen („Untersuchen Sie den ganzen Zahn, Sie sondieren ja auch nicht nur an zwei Stellen!“) sowie von weichgewebiger Entzündung und Xerostomie. In Frage stellte er, dass der Biofilm mit seinen symbiotischen Mikroorganismen vollständig entfernt werden muss („Glauben Sie nicht alles, was Sie hören!“). Körpereigene Schutzfaktoren wie zelluläre Immunität seien vorhanden. Entsprechend könnten für ihre kariesprotektive Wirkung in vitro dokumentierte, schleifkörperfreie Tabletten (Denttabs) eine Alternative sein [8].
Parodontitis ist laut Gängler nicht vermeidbar. In Bezug auf Hyposalivation zeigte seine Arbeitsgruppe, dass ein spezielles Mundpflegegel die Speichelsekretion stimuliert, was zum Beispiel bei Dialysepatienten von Bedeutung ist (Orofan Mundpflege, Dr. Hinz Dental) [9]. Zugleich wurde eine hohe Barrierewirkung gegen Viren nachgewiesen, die zum Beispiel den Schutz gegen Sars-CoV2-Infektionen verbessern kann.
Gesundheitsmanagement und Alterspyramide
Wie die „dentale Zukunft“ aussehen wird, können laut Prof. Dr. Alexander Welk (Universität Greifswald) nur Wahrsager in ihren Glaskugeln erkennen. Ein wichtiger Trend ist für ihn das Biofilm-Management, das chemo-mechanisch sein müsse und bei der persönlichen Mundhygiene zum Beispiel mit GPS-gestützten Sensoren „relativ gut“ funktioniere. Auf molekularbiologischer Ebene sei sowohl in der Diagnostik [10], als auch bei der Entwicklung optimierter Zahncremes noch viel Entwicklungsbedarf. Ziel müsse ein „Gesundheitsmanagement“ (Dr. Volker Scholz) sein, mit dem traditionelle Prophylaxekonzepte weitergedacht werden.
Ein kaum lösbares Problem sieht Welk in der sich verändernden Alterspyramide. Die große Zahl von Menschen mit individuell vielen verbleibenden Zähnen sei auch durch erweiterte Delegationsmöglichkeiten und Schulung von Pflegepersonal nicht zu bewältigen. Als positiven Ausblick hielt Welk fest, dass die Aus- und Fortbildung durch variable Anteile präsenz- und internetgestützter Formate effizienter als in der Vergangenheit funktionieren kann. Altersbezogene, präventive und soziale Aspekte rückten immer weiter in den Vordergrund. Gut aufgestellte Fortbildungsinstitute wie die Haranni Academie in Herne sind hier sicher im Vorteil.
Dr. Jan H. Koch, Freising
Literatur
[1] Caton JG, et al.; J Periodontol 2018. 89 Suppl 1 S1-S8.
[2] Ariel H, et al.; Clin Oral Investig 2022. 26 (4): 3721-3733.
[3] Graziani F, et al.; Periodontol 2000 2017. 75 (1): 152-188.
[4] Costa FO, et al.; J Clin Periodontol 2012. 39 (2): 173-181.
[5] Sgolastra F, et al.; Clin Oral Implants Res 2015. 26 (4): e8-16.
[6] Naseri R, et al.; J Clin Periodontol 2020. 47 (4): 518-528.
[7] Alasqah MN, et al.; Clin Implant Dent Relat Res 2018. 20 (4): 562-568.
[8] Gangler P, et al.; BMC Oral Health 2009. 9 25.
[9] Egbring LC, et al.; Kidney and Dialysis 2023. 3 (1): 111-120.
[10] Jayasinghe TN, et al.; Nutrients 2022. 14 (21).
Dr. Jan H. Koch
Dr. med. dent. Jan H. Koch ist approbierter Zahnarzt mit mehreren Jahren Berufserfahrung in Praxis und Hochschule. Seit dem Jahr 2000 ist er als freier Fachjournalist und Berater tätig. Arbeitsschwerpunkte sind Falldarstellungen, Veranstaltungsberichte und Pressetexte, für Dentalindustrie, Medien und Verbände. Seit 2013 schreibt Dr. Koch als fester freier Mitarbeiter für die dzw und ihre Fachmagazine, unter anderem die Kolumne Oralmedizin kompakt.