Rund die Hälfte der im Jahr 2016 geborenen Kinder hat bis zum zweiten Geburtstag nicht alle empfohlenen Impfungen vollständig erhalten. Das zeigt eine aktuelle Auswertung der Techniker Krankenkasse (TK). Vollständig gegen Masern, Keuchhusten, Windpocken und Co. geimpft – also inklusive aller Teilimpfungen – sind knapp 47 Prozent. 3,6 Prozent der Kleinkinder haben gar keine von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlene Impfung bekommen.
Gegen Masern sind elf Prozent der überprüften Kinderkohorte unvollständig geimpft, sieben Prozent gar nicht. „Wenn Kinder nicht alle notwendigen Teilimpfungen erhalten, sind sie nicht sicher immunisiert. Entscheidend ist, dass die Kinder schnell alle Impfungen erhalten, um geschützt zu sein. Die Voraussetzungen dafür sind gegeben, weil die Eltern ihre Kinder generell impfen lassen und folglich nicht zur Gruppe der Impfgegner gehören“, sagt Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK. Teilimpfungen können meist problemlos nachgeholt werden, ohne dass die Impfserie von vorn begonnen werden muss.
Kleinkinder regional unterschiedlich geimpft
Die Analyse der Impfdaten der im Jahr 2016 geborenen Kinder zeigt starke regionale Unterschiede. Während die Anteile der nicht vollständig Geimpften in Hessen bei 69 Prozent und in Sachsen bei 62 Prozent liegen, fallen in Sachsen-Anhalt und Brandenburg 39 Prozent der Kinder in diese Gruppe, in Mecklenburg-Vorpommern 37 Prozent.
Erinnerungen durch Krankenkassen ermöglichen
Die Psychologin Prof. Dr. Cornelia Betsch von der Universität Erfurt forscht zu Impfentscheidungen und sagt: „Die meisten Menschen sind impfbereit – aber Impfen ist oft nicht einfach genug. Es gibt viele praktische Hürden. Erwachsenen ist außerdem oft auch gar nicht bekannt, dass oder wann sie sich impfen lassen sollten. Darauf sollte gezielt mit Maßnahmen reagiert werden.“ Und TK-Chef Baas ergänzt: „Die Daten zeigen, dass es Verbesserungsbedarf gibt. Es gilt, Eltern noch stärker für das Thema zu sensibilisieren. Hier könnten wir Kassen noch deutlich besser unterstützen, wenn wir aktiv und gezielt auf vergessene Impfungen hinweisen dürften – am besten auf digitalem Wege.“
Impfpflicht als Ultima Ratio
Vor dem Hintergrund zu niedriger Quoten wird seit einiger Zeit eine Impfpflicht diskutiert; die Masern-Impfpflicht soll zum 1. März 2020 kommen. „Eine Pflicht sollte das letzte Mittel der Wahl sein“, sagt Professor Dr. Gerd Glaeske von der Universität Bremen. „Wir brauchen mehr Aufklärung, um zu erreichen, dass Kinder wie Erwachsene vollständig geimpft sind. Dabei sollte allen klar sein, dass es um die Gesundheit der Gemeinschaft geht.“ Und Cornelia Betsch ergänzt: „Insbesondere ist vor der Einführung einer teilweisen Impfplicht zu warnen. Andere freiwillige Impfungen können so weniger wichtig erscheinen oder von impfkritischen Personen häufiger weggelassen werden.“