DDr. Christa Eder über die Betrachtung von Krankheitsbildern im systemischen Gesamtkontext
Zahlreiche Zusammenhänge zwischen oralen und systemischen Erkrankungen bestätigen die zentrale Rolle der Mundhöhle für die Gesamtgesundheit des Körpers. Als erster Abschnitt des Verdauungstrakts steht sie in unmittelbarer Verbindung mit Speiseröhre und Magen. Mit der Nahrung aufgenommene, potenziell pathogene Keime, aber auch mikrobiell belasteter Speichel und Keime in der Sulkusflüssigkeit gelangen beim Schlucken in den Gastrointestinaltrakt. Trotz der Säurebarriere der Magenschleimhaut und einem an sich bakterien- und pilzfeindlichen Milieu können sich einige primär orale Mikroorganismen im Magen ansiedeln und etablieren. Umgekehrt geraten, vor allem bei Sphinkterschwäche und/oder gastrointestinalen Reflux, auch Bakterien aus dem Magen in die Mundhöhle und verändern dort gemeinsam mit den pH-Wert-verändernden Magensäften das orale Mikrobiom.
Gastritiserreger mit systemischen Auswirkungen
Besondere Bedeutung kommt dabei dem als Verursacher und Betreiber der B-Gastritis bekannten Helicobacter pylori zu. Er wurde erstmals 1983 von B. Marshall und J. B. Warren aus der Magenmukosa isoliert und beschrieben. H. pylori ist ein gramnegatives, spiralig gewundenes begeißeltes Bakterium, dessen genetisches Material bereits an den Zähnen prähistorischer Menschen nachweisbar ist. Somit zählt er zu den ältesten bekannten Infektionserregern, welche unsere Evolution begleiteten. Der Keim hat weltweit eine Prävalenz von bis zu 50 Prozent (besonders hoch in Entwicklungsländern), ist einer der häufigsten Auslöser chronischer Infektionen und der primäre Verursacher von Duodenalgeschwüren. Aufgrund seiner Fähigkeit zur Induktion von Magenkarzinomen und MALT-Lymphomen zählt ihn die WHO seit 1994 zur Gruppe 1 der definierten Kanzerogene. Daneben zeigen rezente Untersuchungen aber auch Assoziationen zu nicht-gastrointestinalen Krankheiten wie Anämie, Vitamin-B12-Mangel, erhöhten Lipidwerten, atherosklerotischen Herzkrankheiten und neurodegenerativen Störungen.
Helicobacter in der subgingivalen Plaque
Parodontitis ist bekanntlich das Resultat eines gestörten oralen Mikrobioms und der daraus resultierenden, gegen die Hart-und Weichgewebe der Mundhöhle fehlgeleite-ten überschießenden Immunreaktion. Wir kennen bestimmte Keime, besonders aus der Gruppe der anaeroben und fakultativ anaeroben Bakterien, welche eng mit Auslösung und Progression parodontaler Entzündungen assoziiert sind. Bei langfristigem Verlauf der Erkrankung findet man zusätzlich eine Reihe weiterer, primär nicht oraler Keimspezies, welche sich durch ihre potenten Pathomechanismen am Krankheitsgeschehen aktiv beteiligen. Dazu zählen etwa Klebsiella, Escherichia coli, Enterokokken und Staphylococcus aureus.
Auch Helicobacter pylori persistiert im Biofilm von Zahnfleischtaschen mit Tiefen von mehr als 5 Millimetern und wird dort in die potenziell pathogene Biozönose integriert. Untersuchungen bestätigten, dass der Keim im Sulkus von Patienten mit B-Gastritis häufig in hoher Zahl nachweisbar ist. Genetische Analysen zeigen, dass es sich bei den Bakterien in Magen und Zahnfleischtaschen um idente Genotypen handelt. Es stellt sich nun die Frage, ob Helicobacter primär die Mundhöhlengewebe infiziert, oder ob er erst bei eine vorbestehenden B-Gastritis, etwa durch Erbrechen oder gastro-ösophagealen Reflux, eingebracht wird. Da man von einer vorwiegend fäkal/oralen oder oral/oralen Transmission ausgeht, sind wohl beide Wege möglich. Nachdem H. pylori auch durch kontaminiertes Wasser oder verschmutze Lebensmittel aufgenommen wird, ist auch eine mögliche primäre Besiedelung vorbestehender oraler Läsionen sehr wahrscheinlich.
Bei Patienten mit chronischer Parodontitis findet man signifikant häufiger und deutlich mehr oralen Helicobacter als bei parodontal Gesunden. Auch die Sondierungstiefe der Zahnfleischtaschen korreliert mit der Anwesenheit des Keims. Es bestehen enge Zusammenhänge zwischen H.-pylori-Infektionen mit mangelhafter Mundhygiene und mit floriden oralen Entzündungen. Als mikro-aerophiles Bakterium findet er im sauerstoffarmen Milieu des subgingivalen Biofilms ideale Lebensbedingungen vor. Auf der Mundschleimhaut verursacht der Gastritiserreger Ulzerationen im Rahmen einer aphtösen Stomatitis und moduliert bei der oralen submukösen Fibrose aktiv das Entzündungsgeschehen.
Die Pathogenität des Keims wird sowohl im Mund als auch im Magen durch seine
Virulenzfaktoren bestimmt. Diese können bei den verschiedenen Stämmen unterschiedlich ausgeprägt sein. Das mit Zytotoxin assoziierte Antigen (CagA) ist sowohl mit schwerer Entzündung und sogar mit onkopathogener Aktivität assoziiert. Ein weiterer Faktor, das BabA (blodgroup antigenbinding adhesion), ein 78-Kda-Protein, fördert chronische Entzündungen sowie Atrophie und Metaplasie der Schleimhaut.
Oraler Helicobacter und therapierefraktäre Gastritis
Die Infektion von Zahnfleischtaschen mit H. pylori hat entscheidenden Einfluss auf den Behandlungserfolg einer B-Gastritis. Üblicherweise wird zur Eradikation des Keims eine Tripeltherapie, bestehend aus zwei Antibiotika (Amoxicillin und Clarithromycin oder Metronidazol und Clarithro-mycin) und einem Protonenpumpenhemmer durchgeführt. Diese Kombinationen kann H. pylori im Magen in den meisten Fällen erfolgreich eliminieren, da er hier in seiner „freilebenden“ beweglichen Form vorliegt. In der Zahnfleischtasche hingegen ist er in der subgingivalen Plaque gemeinsam mit anderen Bakterien in eine schützende extrazelluläre Matrix eingebettet. Zusätzlich ist die Resistenz gegenüber Antibiotika im Biofilm um ein Vielfaches erhöht. H. pylori überlebt und vermehrt sich weiterhin in der geschützten ökologischen Nische des Sulkus. Von dort ausgehend reinfiziert er in der Folge wiederum die Magenschleimhaut.
Diesen Teufelskreis kann eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Zahnarzt und Internist relativ einfach durchbrechen. Wird bei geplanter Tripeltherapie eine professionelle Mundhygiene mit Scaling gleich zu Beginn der Antibiotikagabe durchgeführt, kann der Biofilm mechanisch aufgerissen werden. Die darin befindlichen Keime samt Helicobacter werden freigesetzt, verlieren ihren Schutz und werden für die Antibiotika angreifbar. Da die verwendeten Wirkstoffe, besonders das Metronidazol, auch gegen typischen anaerobe Parodontalkeimen gute Wirksamkeit zeigen, profitiert der Patient gleich doppelt von diesem Therapiemanagement.
Es zeigt sich einmal mehr, dass Krankheitsbilder immer im Gesamtkontext und nie isoliert für sich allein zu betrachten sind. Die unterschiedlichen entzündlichen Läsionen unserer Mundhöhle stellen den Zahnarzt daher in vielfacher Hinsicht vor große Herausforderungen.
DDr. Christa Eder, Wien
DDr. Christa Eder ist Fachärztin für Pathologie und Mikrobiologin. Seit vielen Jahren schreibt sie für das österreichische Fachmagazin „Zahn.Medizin.Technik“ und die deutsche Fachzeitung „dzw – Die ZahnarztWoche“. Auch ist sie als Vortragende im Bereich der zahnärztlichen Mikrobiologie international bekannt.