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Chancen in der Kinderzahnmedizin

Ein Kind lernt spielerisch den Zahnarztbesuch kennen.

Kinder sollten spielerisch an die zahnärztliche Behandlung herangeführt werden. 

Kinder sind besondere Patienten. Was Zahnärzte, die sich in diesem Bereich spezialisieren möchten, mitbringen sollten, erklärt Dr. med. Gisela Zehner, FZÄ für Kinderstomatologie, im DZW-Interview. 

Was sind die besonderen Herausforderungen im Bereich Kinderzahnmedizin?

Dr. Gisela Zehner: Diese Frage ist sehr komplex, denn neben den Zahnärzten selbst müssen sich in erster Linie die Verantwortlichen im Gesundheitswesen und in der zahnmedizinischen Ausbildung den besonderen Herausforderungen im Bereich Kinderzahnmedizin stellen. Sie werden den Versorgungsansprüchen der Kinder bei der Zahnbehandlung bei Weitem noch nicht gerecht, denn in unserem heutigen Gesundheitssystem werden die besonderen fachlich-zahnärztlichen und psychologischen Anforderungen an die Behandlung, aber auch die stärkere psychische Beanspruchung des Behandlungsteams und der höhere zeitliche und personelle Aufwand bisher nur unzureichend berücksichtigt. Das brachte die bundesweite Befragungsstudie von Dr. Nele Kettler und Prof. Dr. Christian Splieth, IDZ Information 1/2013, zutage (siehe Kasten Befragungsstudie).

Worüber gibt die Studie Auskunft?

Zehner: Aus ihr geht deutlich hervor, dass viele Zahnärzte die Kinderzahnbehandlung als „sehr belastend“ und „sehr anstrengend“ empfinden, da ihnen meistens die entsprechende Ausbildung in diesem Fachgebiet fehlt. Außerdem wird auch die mangelnde Honorierung des zeitlichen Mehraufwands, der für die Zahnbehandlung von Kindern erforderlich ist, als Problem angesehen.

Worin liegt die Herausforderung in der Ausbildung?

Zehner: Die Ausbildungsstandards an den Universitäten sind bisher noch immer nicht einheitlich auf die Anforderungen der Kinderzahnmedizin ausgerichtet, obwohl es durchaus möglich gewesen wäre, die in den neuen Bundesländern gut etablierten Ausbildungsinhalte nach der Wende für das gesamte Bundesgebiet zu übernehmen. Während eine umfangreiche Ausbildung in Kinderzahnheilkunde in der ehemaligen DDR bereits ein Teil des Zahnmedizinstudiums war und die Zahnärzte danach noch eine fünfjährige Fachzahnarztweiterbildung absolvieren mussten, in der sie sich auch zum ‚Fachzahnarzt für Kinderstomatologie‘ spezialisieren konnten, wurden die universitäre und postgraduale Ausbildung in Kinderzahnmedizin im bundesdeutschen Gesundheitssystem eher vernachlässigt. Die Fachzahnarztweiterbildung in diesem Bereich wurde nach der Wende abgeschafft, und auch wenn es inzwischen mehrere Universitäten gibt, die für ihre Studierenden eine hervorragende Ausbildung in Kinderzahnmedizin anbieten, ist das derzeit noch immer nicht flächendeckend an allen Universitäten üblich.

Welche Möglichkeiten gibt es noch in dem Bereich?

Zehner: Die inzwischen an vielen Fortbildungsinstituten angebotenen Curricula für Kinder- und Jugendzahnmedizin können die Ausbildungslücken im Zahnmedizinstudium zwar teilweise schließen, und auch die entsprechenden Fachgesellschaften bieten ausgezeichnete Fortbildungen und Tagungen an, sodass sich in den letzten Jahren immer mehr Zahnärzte und vor allem Zahnärztinnen auf Kinderzahnmedizin spezialisiert haben. Die Anzahl der Spezialisten auf diesem Gebiet reicht aber bei Weitem noch nicht aus, um den großen Bedarf zu decken, und wir sind in Deutschland von dem Ziel einer flächendeckenden Versorgung unserer Kinderpatienten durch gut ausgebildete Kinderzahnärzte, die möglichst ihre gesamte Praxis und auch das Praxisteam auf diesen Behandlungsschwerpunkt ausrichten und diesen Aufwand auch entsprechend vergütet bekommen, leider noch sehr weit entfernt. An dem Engagement der Kollegen mangelt es keineswegs, doch schrecken sie häufig davor zurück, sich vollkommen auf die Behandlung von Kindern einzustellen und eine Praxis speziell für die Kinderzahnbehandlung einzurichten und zu führen.

Wie sieht es mit der Honorierung aus?

Zehner: Eine Spezialisierung auf Kinderzahnmedizin wird derzeit von unserem Krankenkassensystem leider überhaupt nicht unterstützt. Obwohl die Aufgabe der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen darin bestehen sollte, eine flächendeckende zahnärztliche Versorgung der Bevölkerung und somit auch die Zahnbehandlung jüngerer Kinder optimal sicherzustellen, wird der Bereich Kinderzahnmedizin noch immer sehr vernachlässigt und nicht adäquat honoriert. Aus der Erfahrung meiner fast 30-jährigen Tätigkeit als Kinderzahnärztin im bundesdeutschen Kassensystem musste ich leider feststellen, dass sehr viel Idealismus und ein gutes Organisationstalent nötig sind, um eine reine Kinderzahnarztpraxis wirtschaftlich effektiv führen zu können. Ohne zusätzliche Behandlungsangebote, beispielsweise in Form von kieferorthopädischen Behandlungen, kann der Mehraufwand bei der Behandlung von Kindern aufgrund der unzureichenden kassenzahnärztlichen Honorierung kaum kompensiert werden. Die wenigen Kinderzahnarztpraxen wurden bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen wegen statistischer Auffälligkeiten regelmäßig zur Kasse gebeten.

Welche Erfahrungen haben Sie persönlich gemacht?

Zehner: Da meine Praxis in Herne eine der ersten auf Kinderzahnmedizin spezialisierten Zahnarztpraxen in Westfalen-Lippe war, musste ich mich in regelmäßigen Abständen für meine auffallende Behandlungsweise rechtfertigen und wie auf einem orientalischen Basar um die Verringerung der Abzüge verhandeln, die trotz Angabe von Praxisbesonderheiten in enormer Höhe vorgesehen waren. Es wurde mir sogar im Bereich der Individualprophylaxe mit Sanktionen gedroht, falls ich meine Behandlungsweise nicht am Durchschnitt der gesamten Zahnärzteschaft orientiere, denn meine Kinderzahnarztpraxis war in diesem Bereich natürlich Spitzenreiter.

Was muss sich ändern, damit sich mehr Zahnärzte für diese Spezialisierung entscheiden?   

Zehner: Das Ziel einer flächendeckenden Versorgung unserer Kinder durch spezialisierte Kinderzahnärzte kann nur erreicht werden, wenn auch die Strukturen in unserem Kassensystem „kinderzahnmedizinfreundlicher“ gestaltet werden und die dringend notwendige Anpassung der Honorare an den tatsächlichen Aufwand bei der Kinderzahnbehandlung erfolgt, was ich als eine ganz besondere Herausforderung ansehe. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Kinderzahnmedizin in Deutschland derzeit noch immer als Stiefkind bezeichnet werden muss und weit hinter den Standards der USA und der skandinavischen Länder liegt, die auf diesem Gebiet Vorreiter sind (vgl. Splieth et al. 2009). Die größte Herausforderung besteht deshalb darin, Deutschland im internationalen Vergleich wieder an einen der führenden Plätze zu bringen.


Bundesweite Befragungsstudie

Ausschnitte aus der Studie „Erfahrungen, Probleme und Einschätzungen niedergelassener Zahnärzte bei der Behandlung jüngerer Kinder – Ergebnisse einer bundesweiten Befragungsstudie“ von Dr. Nele Kettler, IDZ Köln, und Prof. Dr. Christian Splieth, Universität Greifswald (IDZ Information 1/2013).

„Knapp die Hälfte aller Zahnärzte gibt an, die Kinderbehandlung … als „anstrengend“ bis „sehr sehr anstrengend“ … zu empfinden, wohingegen nur etwa 20 Prozent die Beanspruchung als „sehr sehr leicht“ bis „leicht“ … wahrnehmen.“

„Ein Unterschied in der Belastung ergibt sich interessanterweise weder geschlechter- noch altersspezifisch, allein auf dem Gebiet der Kinderzahnheilkunde fortgebildete Zahnärzte fühlen sich weniger stark beansprucht als nicht fortgebildete Zahnärzte.“ …

„Bei der Kariessanierung im Milchgebiss, insbesondere bei kleinen Kindern, äußern deutsche Zahnärzte und Zahnärztinnen in der vorliegenden Studie dieselben Probleme, die auch andere Studien unterstreichen: das zu behandelnde kleine Kind per se, die Eltern, aber auch die eigene Unsicherheit im Umgang mit dem Kind und mit den Prozeduren im Milchgebiss“ (vgl. Splieth et al. DZZ 64/2009).

„Wie … beschrieben, wurde insbesondere in den alten Bundesländern Deutschlands

lange die zahnärztliche Behandlung jüngerer Kinder nicht systematisch entwickelt und sie weist selbst heute noch bei der universitären Ausbildung einige Lücken auf

(vgl. Basner, Hirsch und Splieth, DZZ 67/2012). Es verwundert daher nicht, dass die Behandlung kleiner Kinder von Zahnärzten als belastend empfunden wird.“ …

„Ein letzter als problematisch empfundener Gesichtspunkt ist der zeitliche Mehraufwand, welcher für die Kleinkindbehandlung benötigt wird, jedoch nicht entsprechend honoriert wird.“ … Die Kinderbehandlung erfordere einen „hohen Zeit- und Personalaufwand ohne entsprechende Honorierungsmöglichkeit“ und es erfolge „keine entsprechende Anpassung des Kassenhonorars“.