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Was Zahlen erzählen

Es geht ums liebe Geld – KBV und GKV-Spitzenverband verhandeln um die Steigerung des Orientierungspunktwertes. Die KBV fordert 10,2 Prozent – Kostensteigerung, Inflation, MFA-Gehälter – und der GKV-SV bietet im Gegenzug 2,1 Prozent. Sie liegen weit auseinander die Verhandlungsparteien. Und alle holen das ganz große Besteck heraus. Protest, Ärzteverbandsversammlungen und mediale Massenpräsenz.

Honorarverhandlungen: „Faktenpapier“ aus dem BMG sorgt für zusätzlichen Ärger in der Ärzteschaft

Rhetorisch gibt es nur noch Großbuchstaben. So sagte Dr. Klaus Reinhardt in seiner Rolle als Vorsitzender des Hartmannbundes: „Die eklatante Vernachlässigung ambulanter Akteure und Strukturen ist entweder Ausdruck der Überzeugung, ‚denen in den Praxen geht es doch eigentlich gut genug und die machen schon so weiter‘ oder sie entspringt dem nüchternen politischen Credo, man könne auf einen Großteil der an dieser Stelle aktuell noch vorhandenen Ressourcen mittelfristig verzichten. Dann gebiete es der Anstand, in der politischen Debatte klar und deutlich zu sagen: ‚Wir planen ohne euch und werden Teile der vorhandenen Strukturen in den nächsten Jahren abwickeln‘.“ Und das Gegenüber bemüht die üblichen Klischees. „Ein immer tieferer Griff in die Taschen der Beitragszahlenden löst keine Probleme“, sagte Helge Dickau vom GKV-Spitzenverband. „Stattdessen wäre es nur ein weiterer Zusatzverdienst für eine Berufsgruppe, die schon jetzt zu den Spitzenverdienern gehört.“

Verhandelt wird nicht um Kekse, sondern um Kuchen, der 2022 immerhin 288.864.000.000 Euro schwer war – und das ist nur der GKV-Kuchen. Im Vergleich: Der aktuelle gesamte Bundeshaushalt 2023 beträgt 476.290.763.0000 Euro. Auf die ärzt­lichen Behandlungen entfielen 2022 im­merhin 46.346.000.000 Euro. Das sind stolze 17 Prozent des ganzen Kuchens.

Das BMG wird zum Akteur bei den Honorarverhandlungen

Zwischen „Seit Jahren wird das ambulante System kaputtgespart“, so Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, und „Wie wäre es denn mit einem finanziellen Ausgleich für Patientinnen und Patienten, die viele Stunden Lebenszeit in Warteschleifen und Wartezimmern ärztlicher Praxen verbringen?“ von Dickau im „Deutschen Ärzteblatt“ liegen Welten. Das ist Teil der Selbstverwaltung. Der eine hat den Kuchen und der andere möchte möglichst große Stücke davon, aus diversen und auch guten Gründen.

Nun platzt aber ein Akteur ins Spiel, der da eigentlich nichts zu suchen hat. Aus dem Hause von Prof. Dr. Karl Lauterbach, dem Bundesgesundheitsministerium, wurde nun ein „Faktenpapier zur ambulanten Versorgung“ an ausgesuchte Redaktionen verschickt. Eine kleine Hilfestellung für eine „ausgewogene Berichterstattung“. Journalisten können offensichtlich nicht mehr selbst recherchieren? Und weiter sei „der angekündigte konzertierte Kampagnenversuch der Ärzteverbände mit vielen Halbwahrheiten durchsetzt“, laut BMG-Sprecher Hanno Kautz.

Die Blätter zu den „Ausgewählten Daten & Fakten ambulanten ärztlichen Versorgung“ beginnt mit den einleitenden Fragen: „Wird die ambulante ärztliche Versorgung ‚kaputtgespart‘? Wie hat sich das Einkommen der Praxen wirklich entwickelt? Sind die Praxen ‚unterfinanziert‘? Wieviel verdienen Praxisinhaber im Durchschnitt? Auf Basis der Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für die ambulante ärztliche Versorgung sowie der Angaben des Statistischen Bundesamtes sind die Vorwürfe nicht nachvollziehbar.“

Dieses Papier ist einseitig und in seinem Kern tendenziös

Das Setting gleich zu Beginn ist schon dreist. Oder wie es eine Allianz deutscher Ärzteverbände in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz schreibt: „Dieses Papier ist einseitig, in seinem Kern tendenziös und wäre ohne wei­tere Quellenangabe auch dem Kassenlager zuordenbar.“ Und der Brief endet: „Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, wir bitten wir Sie, den Bundesminister für Gesundheit, Prof. Dr. Karl Lauterbach, diesbezüglich auf seine Pflichten hinzuweisen – insbesondere ­darauf, dass er in der aktuellen Verhandlungssituation strikte Neutralität zu wahren hat.“

Die „ausgewählten Daten & Fakten“ bestehen aus ausgewählten Daten und Fakten. Wir erfahren hieraus, dass 2019 der „durchschnittliche Reinertrag“ einer Arztpraxis laut Statistischem Bundesamt bei 296.000 Euro lag. Immerhin wird auch erwähnt, dass der Reinertrag nicht mit dem „Gewinn“ einer Arztpraxis gleichzusetzen ist. Ein weiterer ausgewählter Fakt ist, dass bei GKV und PKV zusammen 2021 pro Arztpraxis Ausgaben von 626.000 Euro entfielen. Der Rest des Papiers ist eher ein Werbeformat, wie toll das BMG bei Corona die Ärzte extrabudgetär unterstützte und wie noch toller überhaupt die TI ist.

Kein Wort lesen wir darüber, warum genau diese Fakten ausgewählt wurden, noch werden diese Zahlen in irgendeinen wirtschaftlichen Zusammenhang eines Praxisbetriebes gestellt. Es wird suggeriert, dass eine Gruppe „Spitzenverdiener“ den Hals nicht voll kriegen kann. Hilfreich ist dieses Faktenblatt nur für das Ärztebashing. Das nennt man „Framing“. Eine Methode, die nicht in ein Bundesministerium gehört.

Ärzteverbände reagieren mit schrillem Alarm

Gewohnt schrill ist dann auch die Antwort des SpiFa. Das BMG mutiere zur „Unterabteilung des GKV-Spitzenverbandes“, greife in die Tarifautonomie der Selbstverwaltung ein und verstoße damit gegen die staatlich Neutralitätspflicht.

Das klingt nicht nach Annäherung. Der verständliche Wunsch des BMG, die Ausgaben der GKV nicht ins Unermessliche steigen zu lassen, wäre ja noch nachvollziehbar, sollte aber dann auf politischem Wege erfolgen und nicht auf propagandistischem.

Ein weiteres politisches Ziel Lauterbachs wird in dem „Faktenblatt“ dann noch genannt: „Eine vollständige Entbudgetierung aller vertragsärztlichen Leistungen ist nicht Gegenstand des Koalitionsvertrages.“ Die Kassen werden sich über die politische Rückendeckung aus dem BMG freuen.

Die Zeichen für den Herbst stehen also auf Sturm. Dabei ist der Reformbedarf groß. Die sprechende Medizin und die Prävention müssten dringend aufgewertet werden. Dass das nicht Lauterbachs Fokus ist, hat er ja mit der Budgetierung der PAR-Leistung bewiesen. Die Reformierbarkeit der GKV insgesamt scheint immer unmöglicher. Die Partikularinteressen sind divergent und alle wollen ein möglichst großes Stück vom Kuchen. Das jetzige System ist aber zu teuer und eine Reform derzeit nicht in Sicht.

Ein Bild, das eine weiße Büste mit zwei Gesichtern im Profil zeigt. Im Hintergrund ist unscharf eine Frau, die durch einen Park geht.

Zahlen haben immer zwei Gesichter: „Faktenpapier“ aus dem BMG zu den laufenden Honorarverhandlungen sorgt für zusätzlichen Ärger in der Ärzteschaft.