Interview mit Mark Stephen Pace: Megatrend digitale Technologien und Tendenz zu mehr Nachhaltigkeit
Die 40. Internationale Dental-Schau 2023 übertraf die Erwartungen nach Aussteller- und Besucherzahlen trotz der immer noch andauernden schwierigen geopolitischen Herausforderungen. Der Vorstandsvorsitzende des VDDI (Verband der Deutschen Dental-Industrie), Mark Stephen Pace, nimmt dies im Interview mit Christian Ehrensberger zum Anlass, um weit vorauszudenken.
Herr Pace, wird es die Internationale Dental-Schau in 100 Jahren noch geben?
Mark Stephen Pace: Das weiß ich nicht, und dies hätte wohl auch der Vorsitzende des VDDI-Vorläufers VDDF, der Verband der Deutschen Dental-Fabrikanten, Doktor Adolf Abraham, anlässlich der allerersten Dental-Schau geantwortet. Sein Ziel bestand zunächst darin, „der damals im Verborgenen blühenden Dental-Industrie auch einen äußeren Rahmen der Anerkennung zu schaffen“ und darüber hinaus „ein inniges Verhältnis zwischen der Fachwelt und der Fachindustrie anzubahnen“. Vielleicht hatte Doktor Abraham bereits gehofft, dass sich diese Messe viele Jahrzehnte halten werde.
Nun konnten wir vom 14. bis zum 18. März auf der diesjährigen Internationalen Dental-Schau nach unserem Motto „100 Jahre IDS – shaping the dental future“ ein besonderes Jubiläum begehen. Ich wünsche mir, dass unsere Nachfolger dereinst 200 Jahre IDS feiern dürfen. Nach meinen Erfahrungen in den vergangenen Tagen schätze ich die Chancen dafür, dass mein Wunsch in Erfüllung geht, als ausgesprochen hoch ein.
Was bringt Sie zu dieser Einschätzung?
Pace: Ich beobachte, dass die IDS-Teilnehmer sehr fokussiert und sehr entschlossen und zielsicher aufeinander und auf die ausgestellten Innovationen zugehen: sehen, begreifen, kritisch prüfen, entscheiden. Das zeichnet unsere Dentalfamilie aus! Das ist ganz im Sinne der Gründerväter – und noch etwas: Die IDS wird kontinuierlich internationaler und zum bestimmenden Weltmarktplatz dentaler Medizintechnik. Es ist heute „best practice“, wenn sich Hersteller und Händler aus der Türkei und Australien oder USA und Südafrika in erster Linie auf der IDS begegnen und Geschäftskontakte knüpfen und pflegen.
Worin bestand damit auf der 40. IDS 2023 der Nutzen für die heimischen Besucher aus Deutschland und unseren Nachbarstaaten?
Pace: Das liegt auf der Hand: Die Internationalität der IDS bedeutet für uns, dass die ganze Dentalwelt zu Gast ist auf der Weltleitmesse direkt vor unserer Haustür und unserer Nachbarländer. Mundgerechter kann man den kompletten Stand der Technik in unserer Branche gar nicht serviert bekommen!
Welche Trends stachen für Sie besonders heraus?
Pace: Die Chancen moderner digitaler Technologien mehren sich. Das ist die Fortsetzung eines langjährigen Megatrends. Neu hinzu tritt eine Tendenz zu mehr Nachhaltigkeit – dort, wo es die natürlichen Restriktionen zulassen.
Auf welchem Stand befindet sich die digitale Revolution in der Dentalbranche?
Pace: Wir sehen ein Nebeneinander von volldigitalisierten, teildigitalen und analogen Verfahren. Neben Intraoralscannern bleiben Elastomere bei der Abformung in Gebrauch und sind, je nach der klinischen Situation, sogar teilweise unverzichtbar. Wo es sich anbietet, wird automatisiert. Wir haben auf der IDS verschiedene Roboter beobachten können, die zum Beispiel CAD/CAM-Rohlinge wechseln. Auch Geräte zum Simultanscan von zwei Modellen beschleunigen den prothetischen Workflow. Bei der Fertigung sehen wir Tempogewinne sowohl bei Fräsprozessen als auch bei der additiven Fertigung.
Bei der Eingliederung kann die Okklusion statt mit einer Shimstock-Folie schon seit Jahren auch mit digitalen Verfahren überprüft werden. Jetzt sind sie auch in einer für die Implantologie konfektionierten Varian-te erhältlich. Hier setzt sich eine zügige Evolution digitaler dentaler Verfahren fort.
Und wie grün ist die Dentalwelt heute?
Pace: Nachhaltigkeit wird in der großen Mehrzahl der Unternehmen großgeschrieben. Auch die zahnärztlichen und zahntechnischen Teams legen zunehmend Wert darauf – und zwar zu Recht. Wo wir können, reduzieren wir gemeinsam unseren CO₂-Fußabdruck. Übrigens, mehrere unserer internationalen Gäste sagten, wer die IDS besucht, der kann sich weite Reisen zu anderen Dentalausstellungen sparen. Eine solche Angebotsbreite und -tiefe biete nur die IDS, auch das ein Beitrag zu ressourcenschonendem Verhalten.
Wie schwierig ist der Umweltschutzgedanke angesichts der bestehenden Hygienevorschriften?
Pace: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Während Verbraucher Einmalprodukte aus Plastik in vielen Fällen vermeiden können, tragen sie in der Zahnarztpraxis zu einer Minimierung des Kreuzkontaminationsrisikos bei. Das ist ganz im Sinne des Präventionsgedankens, und sowohl Patienten wie auch das dentalmedizinische Fachpersonal wünschen sich diese Sicherheit. Dennoch sehe ich gewisse Spielräume. Sie betreffen zum Beispiel Kompressoren, die im Teillastbetrieb ihren Energieverbrauch selbsttätig senken. Darüber hinaus stehen auch bei Verbrauchsmaterialien umweltfreundliche Alternativen zur Auswahl: Bestimmte Einweg-Speichelsauger werden beispielsweise aus Bio-Polyethylen auf der Basis von Zuckerrohr gefertigt, einem nachwachsenden Rohstoff.
Welche Innovationsfelder kommen in den nächsten Jahren ganz groß heraus?
Pace: Bei der künstlichen Intelligenz stehen wir noch am Anfang. Wir haben in diesem Jahr auf der 40. IDS eine Reihe praktischer Tools gesehen. Dazu gehört beispielsweise die automatische Rotation von Röntgenaufnahmen, wenn diese zunächst auf dem Kopf stehen. In den nächsten Jahren werden wir auf der IDS verstärkt Software zur Diagnoseunterstützung begutachten. Sie wird Intraoralscans, Röntgenbilder, Computertomogramme und mehr verbinden und daraus „Big-Data-Schlussfolgerungen“ ziehen. Schnelligkeit und Treffsicherheit dürften uns alle erstaunen. Das wird eine höhere Erfolgssicherheit vieler Therapien ermöglichen.
Das ist eine Vision – für wann erwarten Sie die Realisierung?
Pace: Ich bin überzeugt, dass wir schon zur kommenden IDS, vom 25. bis zum 29. März 2025, weitere Fortschritte sowohl in der digitalen Zahnheilkunde also auch bei der Nachhaltigkeit und nicht zuletzt bei der Nutzung künstlicher Intelligenz sehen werden. Es bleibt spannend!
Titelbild: Koelnmesse GmbH, Thomas Klerx