Hygiene in der Zahnarztpraxis: eine Selbstverständlichkeit. Was für das Praxisteam täglich gelebte Realität ist, durchschaut der Patient nicht unbedingt – für ihn sind ISO-9001-Zertifikate, QM-Nachweise oder Hygienepläne ein Buch mit sieben Siegeln. Das möchte Thomas Neef, Geschäftsführer der Hamburger praxis PLUS award GmbH, mit dem „Hygiene Prädikat“ ändern und Praxen in die Lage versetzen, mit ihren Hygieneleistungen aktives Praxismarketing zu betreiben. Welche Voraussetzungen dafür erfüllt werden müssen, erklärt Thomas Neef im Interview.
Herr Neef, mit Ihrem Hygiene Prädikat greifen Sie ein Thema auf, dass für Zahnarztpraxen essenziell ist. Aber wissen die Praxen nicht selbst am besten, wie hoch ihr Hygienestandard ist?
Thomas Neef: Ich gehe davon aus, dass jede Praxis um ihren Hygienestandard weiß und sowohl die verpflichtenden Vorgaben dafür erfüllt, als auch darüberhinausgehend Leistungen im Hinblick auf die maximale Sicherheit für die Patienten, das Praxis-Team und natürlich auch für die Zahnmediziner selbst erbringt.
Aber genau das ist der Punkt: Während für die Praxisinhaber und Inhaberinnen sowie für deren Teams der hohe gesetzlich vorgegebene und der freiwillig erbrachte Standard ihrer Praxishygiene selbstverständlich ist, sind Patienten bei diesem Thema oft eher verunsichert. Mehr als 90% der Bundesbürger wünschen sich bei der Suche nach einer Arztpraxis mehr Informationen über Maßnahmen zur dortigen Hygiene. Und diese Erkenntnis geht auf eine Studie zurück, die die Weisse Liste und die Bertelsmann Stiftung schon im Mai 2018 veröffentlicht haben.
Vor diesem Hintergrund haben wir das Hygiene Prädikat entwickelt. Es soll als eine "Übersetzung" für die etablierten Präventionsmaßnahmen zum Hygiene- und Infektionsschutz dienen – um den Patienten ein sicheres Gefühl zu geben und ihr Vertrauen zu gewinnen.
Wie muss man sich den Weg zum Hygiene Prädikat vorstellen? Reicht es, wenn die Zahnärztin oder der Zahnarzt eine Kopie des Kapitels „Hygienemanagement“ aus dem QM-Handbuch übermittelt?
Thomas Neef: So einfach sollte sich das keiner machen wollen, denn es geht bei der Praxishygiene schließlich um ein hohes Gut.
Die Grundvoraussetzung für eine mögliche Auszeichnung mit dem Hygiene Prädikat, ist daher die vollständige Beantwortung unseres detaillierten Fragenkatalogs über die praxisinternen Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen, die durch Zahlen, Daten, Fakten und Selbstauskünfte dargestellt sowie optional durch Dokumente und Zertifikate nachgewiesen werden müssen.
Diesen Fragenkatalog haben wir – ebenso wie das für die Auditierung eingesetzte Verfahren – auf Basis von fachlichen Anforderungskatalogen und gesetzlichen Vorgaben sowie freiwillig im Sinne der Patienten zu erbringenden Leistungen entwickelt. Und bevor wir mit dem Hygiene Prädikat an den Start gegangen sind wurden sowohl der Katalog als auch das Verfahren vom Zertifizierungsunternehmen acert GmbH als objektiv, reliabel und valide zertifiziert.
Für eine erfolgreiche Auditierung ist es daher zwingend, dass die teilnehmende Praxis in allen Bereichen die Anforderungen an das vorgeschrieben Hygiene-Management erfüllt und zudem freiwillige Leistungen im Sinne der Patienten erbringt. Denn erst die Freiwilligkeit kann mit einem Prädikat belohnt werden, das später als „Aushängeschild“ der Praxis gefeiert werden darf. Ohne das gibt es keine Chance auf das Hygiene Prädikat.
Was sind im Detail die wichtigsten Bereiche, die Sie abfragen?
Thomas Neef: Das sind zunächst die amtlichen Kontrollergebnisse aus Praxisbegehungen, dann natürlich das Qualitätsmanagement mit den notwendigen QM-Zertifizierungen, bzw. die zugrundeliegenden QM-Software-Lösungen und deren Anwendung innerhalb der Praxis sowie die gesetzlich vorgeschriebenen Unterweisungen und die Pflichtdokumente in Sachen Hygiene- und Infektionsprävention. Dann fragen wir die diversen Pläne ab – den Hygieneplan, den Reinigungsplan und den Desinfektionsplan. Besonders im Bereich der Zahnmedizin spielt natürlich das Betreiben, Anwenden und Aufbereiten von Medizinprodukten eine maßgebliche Rolle und wie schon mehrfach betont, sind auch die die freiwilligen Hygienemaßnahmen und Konzepte zum besonderen Schutz der Patienten – und auch der Mitarbeiter – ein entscheidendes Kriterium für das Hygiene Prädikat.
In dem Zusammenhang möchte ich noch kurz erwähnen, dass unser Verfahren auch von führenden Hygiene-Experten – beispielsweise seitens der Pluradent GmbH & Co. KG. oder der medondo AG – als schlüssig, fachgerecht und aussagekräftig beurteilt wird.
Und noch eine Ergänzung: Alle Teilnehmern müssen zum Abschluss des Fragenkatalogs eine Selbstverpflichtung abgeben, die besagt, dass sie alle Angaben wahrheitsgemäß gemacht haben. Und da sollte besser auch niemand flunkern, denn wir führen stichprobenartige Überprüfungen durch – mit unangekündigten Praxisbesuchen.
Wo können sich Praxen bewerben und wo findet das Auditierungsverfahren statt?
Thomas Neef: Niemand braucht sich für die Teilnahme zu bewerben, denn es findet ja keine Auswahl statt. Vielmehr hat jede Arztpraxis mit einem fachgerechten Hygienemanagement die Möglichkeit, am Auditierungsverfahren für die Vergabe des Hygiene Prädikats teilzunehmen. Eine Anmeldung auf unserer Webseite reicht.
Diese Anmeldung ist übrigens ausschließlich aus Gründen des Datenschutzes notwendig. Denn über die Anmeldung erhält jede Praxis einen individuell generierten Zugangs-Code, mit dem nur die jeweiligen Praxisvertreter – seien es die Inhaber, das Praxismanagement oder die Hygienebeauftragten – auf die eigenen, im Fragenkatalog eingegebenen Daten zugreifen können.
Die Auditierung des online ausgefüllten Fragenkatalogs erfolgt dann automatisiert. Das hierfür entwickelte Programm arbeitet unabhängig, objektiv und neutral. Es kann nicht von außen oder durch Dritte beeinflusst werden. Die Antworten werden dabei mit standardisierten Vorgaben abgeglichen und eingeordnet, ohne Punktevergabe oder Vergleichsbewertungen. Für ein erfolgreiches Audit-Ergebnis und die daraus folgende Auszeichnung mit dem Hygiene Prädikat müssen die Anforderungen in allen sieben Prüfkriterien erfüllt sein. Es gibt nur ein „Bestanden“ oder ein „Durchgefallen“!
Was macht die Praxis in dem Fall, dass bei der Auditierung in einem relevanten Bereich ein Defizit festgestellt wird? Gibt es die Chance, nachzubessern?
Thomas Neef: Nun, ich fürchte, eine Praxis, die ein Defizit in Sachen Hygiene hat, muss zunächst einmal direkt vor Ort aktiv werden. Aber das Erkennen dieses Defizit ist auch ein wesentlicher Bestandteil hinter der Idee zum Hygiene Prädikat. Es geht ja nicht einfach darum, Praxen mit einem weiteren Signet auszuzeichnen, sondern wirklich etwas zu bewirken – im Sinne der Praxen und damit natürlich auch im Sinne der Patienten.
Entsprechend kontaktieren wir Praxen, die bei der Auditierung durchgefallen sind – einerseits, um zu prüfen, ob beim Ausfüllen des Fragenkatalogs vielleicht Fehler gemacht wurden, andererseits aber auch um unsere Hilfe anzubieten, wenn wirklich etwas im Argen liegt. Auf Wunsch können wir diese Praxen mit Hygiene-Experten zum Beispiel von Pluradent GmbH & Co. KG. oder der medondo AG zusammenbringen, die dafür sorgen, dass besagte Defizite abgestellt werden. Und dann klappt’s auch mit dem Hygiene Prädikat.
Aber um es nochmals ganz deutlich zu sagen: Praxen, die die Anforderungen in auch nur einer der sieben Prüfkategorien nicht erfüllen, fallen durch! Hygiene ist eben nicht verhandelbar, wie wir immer so schön sagen …
Hygiene Prädikat
Das Hygiene Prädikat ist ein unabhängiges, objektives und neutrales Gütesiegel. Es dokumentiert die Einhaltung und Umsetzung aller gesetzlichen Hygiene-Vorgaben durch ein zertifiziertes Verfahren. Es wurde eigens entwickelt, um die verpflichtenden und die freiwilligen Leistungen, die jede Praxis in Sachen Hygiene erbringt, für die Patienten „zu übersetzen“ und „sichtbar“ zu machen. Es attestiert der Praxis einen hohen Hygienestandard und damit ein Maximum an Sicherheit für Behandler, Praxisteams und Patienten. Schließlich ist vorbildliche Hygiene nicht nur einer der wichtigsten Bestandteile des verpflichtenden Qualitätsmanagements, sondern kann auch als „Aushängeschild“ einer Arztpraxis dienen. Jede Arztpraxis kann am Auditierungsverfahren zur Vergabe teilnehmen. Das Verfahren ist durch die ACERT GmbH zertifiziert und fragt die sieben wesentlichen Bereiche des praxisinternen Hygienemanagements ab:
1. Behördliche Begehung,
2. Qualitätsmanagement,
3. Hygieneplan,
4. Schulungen/Fortbildungen,
5. Reinigungs-/Desinfektionsplan,
6. Umgang mit Medizinprodukten,
7. Hygienemaßnahmen im Sinne der Patienten.
Mehr dazu unter www.hygiene-praedikat.de
Herr Neef, angenommen, ein Zahnarzt hat alle Hürden erfolgreich gemeistert: Welche Möglichkeit hat er, seinen dokumentierten Hygiene-Erfolg zu einem Teil seines Praxismarketings zu machen?
Thomas Neef: Wie schon gesagt, dient das Hygiene Prädikat als „Übersetzungshilfe“ für die erbrachten Leistungen einer Praxis in Sachen Hygiene. Denn ein Patient versteht natürlich nicht, was es mit dem ISO 9001-Zertifikat, QM-Nachweisen oder dem Hygieneplan auf sich hat. Und deshalb macht es auch keinen Sinn, wenn sich eine Praxis diese Dinge an die Wand hängt, um das Vertrauen der Patienten zu gewinnen.
Der Besuch beim Arzt – und das gilt wohl besonders für die Besuche bei Zahnärztinnen und Zahnärzten – ist für jeden Patienten ein höchst emotionales Ereignis. Viele Praxen wissen das sehr genau und wollen ihren Patienten mit einem umfassenden „Behandlungserlebnis“ in einer entspannten Atmosphäre Ängste und Bedenken nehmen.
Zu diesem „Erlebnis“ kann auch das Hygiene Prädikat beitragen – als Vertrauen bildende Maßnahme und in der Kommunikation mit den Patienten. Denn das Hygiene Prädikat macht den hohen Hygienestandard einer Praxis ja „sichtbar“. In der Praxis dienen dafür die Urkunde als Wandbild und die Edelstahlaufsteller mit dem Hinweis „Wir haben für Sie frisch desinfiziert“. In der Außendarstellung können Praxen das Prädikat auf ihrer Webseite einbauen oder in Anzeigen nutzen. Manche haben damit auch schon auf Bussen oder City Lights geworben. Und natürlich kann man besonders im Social Media-Bereich – bei Facebook, Instagram, TikTok, WhatsApp und so weiter – Fotos und Informationen zum Thema Hygiene posten, die mit dem Hygiene Prädikat gleich viel mehr Beachtung finden und zur Interaktion mit den Patienten führen.
Wie geht es weiter, wenn die Praxis das Hygiene Prädikat erhalten hat? Ist sie dann mit dem Thema Hygiene ein für alle Mal durch?
Thomas Neef: Na, ja: Ich denke jede Praxisinhaberin und jeder Praxisinhaber weiß ganz genau, dass die Hygiene ein immer währendes Thema ist. Einerseits ist sie eine Selbstverständlichkeit im Praxisalltag, da eine verantwortungsbewusste medizinische Versorgung ohne die Einhaltung von Hygienestandards und darüberhinausgehende Maßnahmen gar nicht denkbar ist. Und andererseits gibt es immer wieder neue Richtlinien, die es umzusetzen gilt – siehe allein Corona –, aber auch neue Erkenntnisse, neue Produkte und neue Techniken.
Und eines muss auch jedem klar sein: Das Hygiene Prädikat ist kein Freifahrtschein für die nächste Praxisbegehung. Es ersetzt weder die Pflichtzertifikate noch die QM-Maßnahmen oder die Fortbildungen. Die regelmäßige Konsultation von externen Hygieneberatern sei jeder Praxis angeraten.
Wir fordern all unsere Teilnehmer dazu auf, sich ständig weiterzuentwickeln, statt in Stagnation zu verfallen. Auch aus diesem Grund wird das Hygiene Prädikat nur für ein Jahr vergeben. Das „Verfallsdatum“ ist auf der jeweils aktuellen Urkundenplakette angegeben. Nach 12 Monaten werden die Praxen dann zu einem Re-Audit eingeladen, um ihre Angaben im Fragenkatalog zu überprüfen, zu ändern oder zu ergänzen. Denn Hygiene ist – genau wie unser Prädikat – nicht im Abonnement zu haben.
Außerdem ist es im Hinblick auf die Kommunikation und das Vertrauen der Patienten für jede Praxis ja auch wichtig, stets aktuell zu informieren und das Qualitätsversprechen in die Leistungsfähigkeit und in das Verantwortungsbewusstsein der Praxis immer wieder zu erneuern.