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Parodontitis und Covid-19 – eine bidirektionale Beziehung?

Corona-Virus

DDr. Christa Eder über den parodontalen Status und seinen ­Einfluss auf den Krankheitsverlauf 

Die Mundhöhle verbindet die Außenwelt mit sensiblen Organsystemen, wie dem Resiprations- und Verdauungstrakt und ist damit eine unmittelbare Eintrittspforte für Infektionserreger, wie das Sars-Cov-2-Virus. Inwieweit chronische entzündliche Läsionen oraler Gewebe, wie Gingivitis, Parodontitis, aber auch Mukositis und Sialadenitis Auswirkungen auf den Verlauf und Schweregrad einer Covid-19-Erkrankung haben und zum Auftreten von Komorbiditäten beitragen, war und ist deshalb Gegenstand zahlreicher aktueller Untersuchungen. Auch wenn noch viele Fragen geklärt werden müssen, gibt es doch bereits deutliche Hinweise auf derartige Zusammenhänge.

Rezeptorproteine oraler Gewebe begünstigen die Infektion

Zellen der Mundschleim­haut, der Speicheldrüsen und des Zahnfleischs exprimieren eine hohe Anzahl von ACE-2-Rezeptoren, welche die wichtigste Membranstrukturen für das Andocken und Eindringen des Vi­rus sind. Vor allem der gingivale Sulkus ist eine potenzielle Nische für Sars-Cov-2. Es ist bekannt, dass sich, besonders im Falle einer floriden Parodontitis in den Biofilmen der tiefen Zahnfleischtaschen, neben atypischen, nicht-oralen Bakterien auch Viren ansiedeln. So stehen Erreger wie das Cytomegalievirus (CMV), das Epstein-Barr-Virus (EBV) und Herpes-simplex-Viren (HSV) in einer Art symbiontischen Wechselbeziehung zu der bakteriell-fungalen Biozönose. Ähnliche Mechanismen nutzt auch das Sars-Cov-2-Virus. Dabei stellt sich die Frage, ob es sich nur passager und kurzfristig im Sulkus befindet oder ob es dort persistiert und die Zahnfleischtaschen damit zu einem Dauerreservoir und einem gefährlichen infektiösen Streuherd werden.

Parodontitis – ein Risikofaktor für die Covid-Erkrankung

Eine Studie an 568 Patienten hat gezeigt, dass der oralen Mukosa eine wichtige Rolle bei der Transmission und Pathogenität von Sars-Cov-2 zukommt und dass chronische Entzündungen des Zahnhalteapparats ein unabhängiger Risikofaktor für die Schwe­re des Verlaufs einer Covid-Erkrankung sind. Die American Academy of Periodontology postuliert ein gegenüber parodontal Ge­sunden signifikant erhöhtes Risiko für Komplikationen einer Covid-Infektion bei gleichzeitigem Vorliegen einer moderaten bis schweren Parodontitis. Die Zahl der Patienten, die auf eine Intensivpflege oder sogar eine künstlichen Beatmung angewiesen waren, war gegenüber einer parodontal gesunden Vergleichsgruppe um das Dreifache erhöht. Covid-Kranke mit florider Parodontitis zeigten deutlich höhere Level von mit bekanntlich schlechtem Outcome assoziierten Biomarkern wie D-dimer und C-reaktivem Protein. Umgekehrt führt eine Covid-Infektion auch zur Progression einer vorbestehenden Parodontitis.

Wechselwirkungen zwischen ­Sars-Cov-2 und oralem Mikrobiom

Die Ursachen für diese fatale Wechselbe­ziehung sind vielfältig. Die Integration des Virus in das orale Mikrobiom führt vermutlich zu einer Veränderung des Mundhöhlenmilieus. Damit kommt es zu einer Dysbiose, welche mit einer Artenverarmung und einem Überhandnehmen potenziell patho­gener Bakterien einhergeht. Dies verstärkt einerseits die parodontale Entzündung, beeinflusst aber auch durch systemische Dissemination der beteiligten Keime die Gesamtgesundheit.

Bakterien aus den Zahnfleischtaschen werden über Aspiration, Verschlucken und bakteriämische Aussaat fast im gesamten Körper verbreitet. Orale Bakterien aus subgingivalen Biofilmen, etwa Porphyromonas gingivalis, Prevotella intermedia, Fusobacte­rium nucleatum und Aggregatibacter actinomycetem comitans, verändern ihrerseits die Umweltbedingungen in Darm und Bronchien und schaffen eine entzündungsaffine Umgebung. Sie induzieren, obwohl selbst oft nur in geringer Menge vorhanden, als sogenannte „keystone“-Bakterien eine pathologische Veränderung der ortsständigen Mikrobiome und machen die Gewebe anfällig für chronisch entzündliche Erkrankungen und sogar für Dysplasie und Karzinomentstehung. Auf diesem Weg etablieren bakteri­elle Erreger ein inflammatorisches Netzwerk mit Sars-Cov-2. Sie induzieren durch die von ihnen hervorgerufene Entzündung in der Mundhöhle, in den tiefen Atemwegen und im Gastrointestinaltrakt eine stark vermehr­te Expression von ACE-2-Rezeptoren auf den Zellmembranen und fördern die Bildung von Endopetidasen. Sie schaffen so ideale Voraussetzungen für das Eindringen des Coronavirus in sensible Strukturen. Diese einander verstärkenden Pathomechanismen gefährden besonders Patienten mit vorbestehenden Komorbiditäten wie Diabetes mellitus, Immunschwäche oder konsumierenden Allgemeinerkrankungen.

 Möglicherweise – noch liegen keine ein­deu­tigen Ergebnisse vor – erhöhen Parodon­titiskeime zusätzlich die Virulenz des Virus durch Spaltung des S-Glykoproteins. Bei der Immunreaktion gegen parodontal-pathogene Bakterien werden vermehrte TH17-Lymphozyten gebildet. Dabei handelt es sich um einen speziellen Typ von T-Helferzellen, welche eine wichtige Rolle bei der Aktivierung neutrophiler Granulozyten spielen. Über die­se Schiene wird in der Folge der bei Covid- 19-Infektionen so gefürchtete Zytokinsturm gefördert und verstärkt.

Wenn auch noch viele Fragen über die kom­plexen Mechanismen im Zusammenspiel zwischen oralen Keimen und dem Coro­na­virus offen sind, so kann man auf Grund der vorhandenen Daten doch davon ausgehen, dass der parodontale Status und die orale Ge­sundheit wichtige Faktoren für Schwe­re und Verlauf einer Covid-19-Infektion sind. Gerade in Zeiten der Pandemie dürfen Mundhygiene, regelmäßige zahnärztliche Kontrollen und frühzeitige Intervention zur Vermeidung aufflammender Entzündungen nicht vernachlässigt oder verschoben werden. Wie bei vielen anderen interdisziplinären medizinischen Fragestellungen erweist sich auch bei der Covid-19-Krankheit die Mundhöhle als Drehscheibe der Gesamtgesundheit.

DDr. Christa Eder, Wien

Christa Eder DDr. Christa Eder ist Fachärztin für Pathologie und Mikrobiologin. Seit vielen Jahren schreibt sie für das österreichische Fachmagazin „Zahn.Medizin.Technik“ und die deutsche Fachzeitung „dzw – Die ZahnarztWoche“. Auch ist sie als Vortragende im Bereich der zahnärztlichen Mikrobiologie international bekannt.