Zahnärzte sind häufig überzeugt, dass ihre Patienten zufrieden sind. Weil es keine Reklamationen gibt, schließen sie auf einen hohen Grad der Zufriedenheit. Ist dieser Schluss richtig? Niedrige Beschwerdezahlen können das Ergebnis einer hohen Beschwerdebarriere sein. Kritische Äußerungen von Patienten werden gar nicht als Beschwerde angesehen und erfasst.
Kritik der Patienten ist ein aussagefähiger Indikator für die Zufriedenheitsquote. Kritische Patienten sind die „Qualitätsbeauftragten“ der Zahnarztpraxis, denn sie liefern Informationen zur Verbesserung und erhöhen damit die Chance der Wettbewerbsfähigkeit. Um die Meinungen möglichst vieler Stammpatienten zu erfahren, ist eine systematische Meinungsumfrage geeignet. Allgemeine Fragen über den Zufriedenheitsgrad des Patienten sind ungenau und lassen wenig Änderung zu.
Eine Beschwerde entsteht grundsätzlich als Folge einer wahrgenommenen Diskrepanz zwischen erwarteter und erlebter Leistung. Ansprüche entstehen, weil Zahnarztpraxen miteinander verglichen werden und auch die Homepage Erwartungen weckt. Die erstklassige Zahnbehandlung kann schwach beurteilte Punkte der Praxis (zum Beispiel Wartebereich oder der Terminabsprache) kompensieren.
Praxisbewertung durch Patienten
Die Beurteilung wird in drei Kernbereiche unterteilt: Organisation der Praxis, Betreuung durch das Team und Behandlung durch den Zahnarzt. Zur Organisation zählen Sprechzeiten und das Warten auf einen Termin. Besonders das Erscheinungsbild der Praxis wird bewertet: Anmeldung, Garderobe, Toilette, Lektüre beim Warten. Wartebereich und Rezeption müssen voneinander getrennt sein, es wird kritisiert, wenn wartende Patienten Telefonate mithören müssen. Billige und alte Zeitschriften sind für Patienten ein Ärgernis, das sie selten zur Sprache bringen. Wenn die Stühle zu dicht stehen, empfinden wartende Patienten das als unangenehm. Ein angenehmes Warten bereitet den sensiblen Patienten mental auf eine unangenehme Behandlung vor. Das Praxisteam qualifiziert sich, wenn es sich freundlich und hilfsbereit verhält.
Im Fokus der Bewertung steht die Behandlung durch den Zahnarzt. Patienten wollen immer mehr und besser informiert werden, und zwar schon vorher, auch wenn sie nicht ausdrücklich fragen. Ein ausführliches und beratendes Gespräch schafft Zufriedenheit. Behandlungsvarianten werden von den meisten Patienten sehr begrüßt, zumal die Vorinformationen aus dem Internet für viele Patienten verwirrend sind. Der Erfolg der Zahnbehandlung wird nicht erst nach Abschluss festgestellt, jede Behandlung unterliegt einer Bewertung. Ein standardisierter Bewertungsbogen wird aber erst nach Abschluss aller Behandlungen geliefert.
Patienten wissen, dass sie negativ kategorisiert werden, wenn sie reklamieren. Sie rechnen mit einer Abwehrhaltung und äußern sich deshalb häufig nur bei einem eklatanten Ereignis. Vielen Patienten ist es lieber, sie äußern sich mit den aus dem Content-Marketing bekannten „Likes“ anonym, damit sie keine „Folgen“ befürchten müssen. Andererseits kann der Zahnarzt dann nicht individuell reagieren. Der Patient erfährt auch nicht die Reaktion des Mediziners auf seine Beschwerde und kann kein Verständnis für Argumente des Zahnarztes entwickeln.
Auch eine geringe Responsequote rechtfertigt die Umfrage, denn sie wird auch von Patienten positiv wahrgenommen, die nicht aktiv an der Befragung teilnehmen. Schon die Tatsache, dass der Zahnarzt an der Meinung und den Erwartungen der Patienten interessiert ist, wirft ein positives Bild auf seine Praxis. Auch wenn Patienten die Praxis kritisch bewerten, zeigt das ihr Interesse. Ein „Danke“ an den Patienten ist die richtige Reaktion, auch bei Unzufriedenheit.
Die in Beschwerden enthaltenen kritischen Informationen geben jeder Praxis die Chance, Fehler zu analysieren und auszuräumen, das heißt, sich ständig zu verbessern und dabei den Patienten von heute auch morgen an die Praxis zu binden. Dabei sollten auch unberechtigte Beschwerden des Patienten, die aus überzogenen Erwartungen entstehen, ernst genommen werden.
Schriftliche Befragung
Nur durch eine detaillierte Befragung, zum Beispiel einen Fragebogen, kann der Zahnarzt den Zufriedenheitsgrad seiner Patienten genau feststellen. Grundsätzlich sollte ein Fragebogen nicht mehr als zehn Fragen enthalten, die auf eine DIN-A-4-Seite passen. Wenn die Antworten nur angekreuzt werden müssen, vereinfacht das die Aktion, denn Patienten möchten nicht viel Zeit aufwenden. Für den Fragebogen hat sich die fünfstufige Skalierung bewährt. Bei der Reihenfolge der Fragen sollten die leichteren zuerst gestellt werden. Planen Sie für die Befragungsaktion einen festen Zeitraum ein, zum Beispiel jeden dritten Monat.
Patienten sind enttäuscht, wenn es nicht zu einer Verbesserung kommt. Denn eine Umfrage verpflichtet den Zahnarzt zu Veränderungen. Der Zahnarzt muss mit der Skepsis seines Teams rechnen, denn auch die Mitarbeiterin unterliegt der kritischen Bewertung durch den Patienten. Das Team sieht in der Beurteilung eine Kontrollaktion, und auch Patienten könnten diese Meinung vertreten und das Gefühl haben, dass der Zahnarzt sein Team kontrolliert. Trotz dieser Bedenken befassen sich immer mehr Zahnärzte mit dem Thema der Meinungsumfrage. Unabhängig von einer systematischen Meinungsabfrage erfährt auch die Mitarbeiterin am Telefon so manche Kritik vom Patienten. Auch diese Äußerungen sollten außerhalb des Systems erfasst und geklärt werden. Jede Kritik ist für den Zahnarzt auch eine Standortbestimmung. Entscheidend ist die Wahrnehmung des Patienten, nicht die Rechtfertigung der Situation durch den Zahnarzt. Wer Kritik persönlich nimmt und abwehrt oder gleichgültig ist, irritiert seine Patienten.
Die meisten Patienten nehmen eine Zufriedenheitsabfrage grundsätzlich positiv wahr, zeigt sie ihnen doch, wie sehr ihre Meinung geschätzt wird. Ziel der Abfrage ist die kontinuierliche Verbesserung des Praxismanagements und der Mitarbeiterinnen und damit die Intensivierung der Patientenbindung.
Leistungsbewertung durch Patienten
Die Leistungsbeurteilung wird in drei Kernbereiche unterteilt: Muss, Plus, Soll.
- Muss-Faktoren: Sie lösen bei Nichterreichen der Patientenerwartungen auf jeden Fall Unzufriedenheit aus, erzeugen aber bei einem Erreichen oder Übertreffen der Erwartungen noch keine Zufriedenheit. Das Einhalten des Termins mit einer Toleranzgrenze von etwa zehn Minuten Wartezeit ist ein Muss-Faktor. Eine Verkürzung der Wartezeit würde zwar Unzufriedenheit abbauen, aber deshalb noch keine signifikante Zufriedenheit hervorrufen.
- Plus-Faktoren: Das sind Leistungen, die der Patient nicht automatisch erwartet, weil sie auch in anderen Arztpraxen nicht angeboten werden. Patienten kann man mit besonderen Dienstleistungen überraschen, verblüffen, begeistern. Wer zum Beispiel einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe bietet, wird den Patienten erfreuen. Werden diese Leistungen nicht angeboten, kommt es nicht zur ausdrücklichen Unzufriedenheit. Patienten sind aber nicht bereit, Plus-Faktoren gegen Muss-Faktoren aufzurechnen.
- Soll-Faktoren: Sie liegen zwischen den Muss- und Plus-Faktoren. Je nachdem, ob sie stark, neutral oder schwach wahrgenommen werden, können sie Zufriedenheit, Indifferenz (Grauzone) oder Unzufriedenheit erzeugen. Indifferenz wird oft fälschlich vom Leistungserbringer als Zufriedenheit gedeutet. Beispiel für Soll-Faktoren sind die Wohlfühlatmosphäre im Wartezimmer, die Begrüßung des Patienten am Empfang und die Aufmerksamkeit und Freundlichkeit des Personals. Sowohl die Ausprägungen dieser Faktoren als auch ihre Wahrnehmung durch den Patienten sind unterschiedlich. Umfassende Informationen, die der Zahnarzt, auch ohne Aufforderung durch den Patienten, erteilt, wirken sich positiv in der Beurteilung aus.
Rolf Leicher, Heidelberg