Empathie ist im Umgang mit Patienten und Kollegen enorm wichtig. Aber wie weit darf sie gehen, bevor sie ungesund wird? Und ist sie erlernbar? Antworten gibt der Psychologe Prof. Dr. Matthias Hoenen von der FOM Hochschule in Wesel.
Herr Professor Hoenen, häufig wird mehr Empathie gefordert. Ist das ein neues Phänomen?
Prof. Dr. Matthias Hoenen: Die Frage danach, wie Empathie in unserer Gesellschaft wirkt, ist schon lange ein Thema, mit dem sich die Wissenschaft befasst. Schließlich geht es dabei um Grundlegendes, zum Beispiel, wie wir unser soziales Zusammenleben organisieren.
Bevor wir in die Tiefe gehen: Wie würden Sie Empathie definieren?
Hoenen: Das ist gar nicht so leicht, weil es unendlich viele Konzepte gibt, die nicht trennscharf auseinanderzuhalten sind. Im Wesentlichen besteht Empathie aus drei Komponenten.
Erstens kognitiv: Dabei handelt es sich um die Übernahme einer anderen Perspektive. Kann ich mich in eine andere Person hineinversetzen?
Zum zweiten: affektiv. Hier geht es um emotionales Nachvollziehen.
Und zuletzt sprechen wir von einer motivationalen Komponente, also der Bereitschaft, aktiv zu werden. Bin ich beispielsweise bereit, einer in Not geratenen Person zu helfen?
Mit etwas Zynismus könnten wir sagen: Das ist schön und gut, aber bringt uns diese Fähigkeit überhaupt etwas?
Hoenen: Natürlich, die Natur ist da sehr effizient. Ich würde zwei große Funktionen der Empathie benennen. Auf der einen Seite erleichtert sie Kommunikation. Wir alle leben in unserer eigenen Wirklichkeit. Da ist es von Vorteil, sich in die Sichtweise einer anderen Person hineinfühlen zu können. Dadurch erhalten wir mehr Informationen, die wir interpretieren können.
Auf der anderen Seite existiert eine soziale Ebene. Empathie fördert unser pro-soziales Verhalten, so sind wir überhaupt in der Lage, ein gesellschaftliches Leben zu organisieren. Emotional kann dies aber auch persönlich von Vorteil sein, denn Studien belegen, dass Empathie ein Faktor bei der Vorbeugung von Krankheiten wie Burn-out sein kann. Das eigene Wohlbefinden wird gesteigert.
Wir haben aber nicht bei allen Menschen gleichermaßen die Bereitschaft, uns einzufühlen.
Hoenen: Das stimmt: Soziale Nähe schafft soziale Relevanz. Wir verwenden mehr Energie darauf, Kenntnisse über jene Personen zu gewinnen, die uns nahestehen, weil sie für uns und unser Leben von Bedeutung sind. Grundlegend empathisch-affektive Prozesse sind jedoch immer aktiv. Wir können auch uns unbekannten Menschen Empathie entgegenbringen, wie beispielsweise die Hilfsbereitschaft nach Naturkatastrophen zeigt.
Empathie steigert Patienenzufriedenheit
Und wie sieht das im beruflichen Kontext aus?
Hoenen: Das hängt sehr davon ab, wo wir uns befinden. In manchen Berufen ist Empathie per se Teil der Arbeit. Durch sie wird die Zufriedenheit von Patienten und Patientinnen, Kunden und Kundinnen gesteigert – der Outcome verbessert sich. Innerhalb von Teams kann es zudem förderlich sein, wenn empathisch miteinander umgegangen wird. Das senkt das Konfliktpotenzial und führt zu mehr Zufriedenheit.
Aber?
Hoenen: Es gibt durchaus kritische Stimmen, die anmerken, es könne ein Zuviel an Empathie geben. Das Argument: Empathie ist anstrengend, kann ermüden und wiederum psychische Belastungen fördern. Zudem werde das Entscheidungsverhalten negativ beeinflusst, wenn starke emotionale Anteilnahme vorliegt. Aus Mitgefühl kann dann Mitleid werden, unangenehme Entscheidungen werden umgangen. Meine persönliche Meinung ist: Ich würde Empathie weder verdammen noch hochjubeln.
Können wir diese Fähigkeit denn erlernen?
Hoenen: Grundsätzlich sind Menschen zur Empathie fähig. Deshalb würde ich weniger von „erlernen“ als vielmehr von „trainieren“ sprechen. Beispielsweise lässt sich Empathie durch das Lesen von fiktiver Literatur trainieren. Denn so versetzen wir uns in die Innenperspektive anderer Menschen, haben teil an ihren Gefühlen. Außerdem gibt es bestimmte Meditationen, die das Mitgefühl fördern.
Nicht zuletzt hilft allein das Wissen darüber, dass wir Kontrolle über unsere empathischen Fähigkeiten haben, sie trainieren können, empathisch zu sein.
Wo sehen Sie künftige Ansatzpunkte für weitere Forschung?
Hoenen: Ein spannendes Feld bieten sicherlich Fragen, die sich mit Empathie abseits des Menschen befassen. Tieren gegenüber können wir empathisch sein, deren Vermenschlichung spielt da sicherlich eine Rolle. Aber der Gedanke geht weiter: Wie sieht es mit leblosen Gegenständen aus – etwa Empathie für Technik? Besonders bei Robotern, die beispielsweise in der Pflege eingesetzt werden könnten, ist das eine spannende Angelegenheit.
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