Digitalisierung: Die Strategie des Bundesgesundheitsministers
Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach ist mit Öffentlichkeitswirksamkeit gut vertraut – sie ist quasi sein zweites Ich. Dieses Mal suchte er wiederholt die Öffentlichkeit zur Anpreisung seiner neuen „Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege“.
Volkswirtschaft und Versorgung
Auf einer Pressekonferenz zur Digitalisierungsstrategie pries Lauterbach die vorgelegten Pläne als einen „Neustart der Digitalisierung des Gesundheitssystems“. Und weiter: „Das hat eine große Bedeutung für die Volkswirtschaft in der Gänze, aber auch für die medizinische Versorgung. Der Gesundheitssektor hat ungefähr ein Volumen von 487 Milliarden Euro derzeit. Ist somit größer als der gesamte Bundeshaushalt ... und wächst. Das ist ein Wachstum, das als gesundes Wachstum bezeichnet werden kann, weil wir versorgen die Menschen besser. Wir haben aber auch sehr große Erfolge in der Entwicklung von Produkten, bei Arzneimitteln, bei Medizinprodukten, bei Medikalprodukten. ... Das Wachstum betrug in diesem Bereich über die letzten Jahre immer gut sechs Prozent.“ Sprach da jetzt der Bundeswirtschaftsminister?
Klar, wir sind es gewohnt, mit unseren Daten zu bezahlen. Nutzen wir die Dienste der Tech-Giganten, gestalten wir unser Leben einfacher, gelangen schneller zu gesuchten Informationen, finden Produkte und Dienstleistungen. Dafür kriegen wir mehr oder minder passgenaue Werbung eingespielt. Diesen Preis sind viele gewohnt und bereit zu zahlen. Zahlen wir mit unseren Gesundheitsdaten, werden wir – so die skizzierte Vision der Digitalisierungsstrategie – medizinischen Fortschritt, längeres und gesünderes Leben dafür erhalten. Und doch klingt die vorgetragene Argumentationskette von Karl Lauterbach doch irgendwie schräg. Er startet bei der Volkswirtschaft und endet bei der künftig besseren Versorgung. Da wird der Patient ein Stückweit zum Objekt.
Gut beraten?
Wie viel Lobby mag denn in diese Digitalisierungsstrategie geflossen sein? In der farbenfrohen Broschüre des BMG heißt es blumig: „Die Digitalisierungsstrategie für das Gesundheits- und Pflegewesen wurde mit breiter Beteiligung relevanter Akteure aus dem Gesundheits- und Pflegewesen, insbesondere von Patientinnen und Patienten, pflegebedürftigen Menschen, An- und Zugehörigen sowie Wissenschaft, industrieller Gesundheitswirtschaft, ÖGD, Kranken- und Pflegeversicherungen beziehungsweise weiteren Kostenträgern und Leistungserbringern, erarbeitet.“
In der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD (Drucksache 20/6363) heißt bei der Frage nach beteiligten Pharmaunternehmen: „Im Rahmen der Strategieerarbeitung haben sich die folgenden Akteure … eingebracht: ‚Pharmaunternehmen‘: Bayer Vital GmbH, Evocal Health GmbH, Johnson & Johnson Deutschland, Pfizer Pharma GmbH sowie Verbände aus dem Bereich der Pharmazeutischen Industrie“. Nach „externen Beratungsleistungen befragt, laute die Antwort: „Im Strategieprozess wurde das BMG ... durch die Roland Berger GmbH konzeptionell-operativ unterstützt. Darüber hinaus erfolgte eine Unterstützung durch die ifok GmbH und die Bonifatius GmbH.“
Das ist jetzt alles nicht sonderlich skandalträchtig. Derweil ist es ja üblich, dass Beraterfirmen in den Ministerien ihre „Kompetenzen“ einbringen und sich das auch gut bezahlen lassen: „Für die Unterstützung durch die externen Dienstleister, die Planung und Durchführung der Auftaktveranstaltung und der verschiedenen Beteiligungsformate ... wurden in den Haushaltsjahren 2022 und 2023 insgesamt rund 750 500 Euro aufgewendet.“ Geld, dass das BMG vielleicht besser in Öffentlichkeitswirksamkeit für die ePA bei Bürgern gesteckt hätte als für Lauterbach. Heißt es doch in der Digitalstrategie-Broschüre: „Bis zum Jahr 2025 sollen 80 Prozent der gesetzlich Versicherten über eine ePA verfügen.“
Opt-out auch für Forschungsdaten
Aber vielleicht will man im BMG auch nicht primär aufgeklärte Bürger, kommt die Opt-out-ePA doch sowieso für alle, die nicht laut „Nein“ sagen. Erika Musterfrau kann also ein ePA haben, ohne dass sie es weiß. Ihre Krankenkasse wird sie anlegen. Für die aktive Nutzung des Frontends ihrer ePA muss sie sich dann schon bewusst entscheiden.
Bei der Weitergabe der Forschungsdaten sieht es etwas anders aus. „Wir wollen grundsätzlich das Opt-out-Prinzip der ePA auch für die Forschung. Prinzipiell sollen ePA-Daten für die Forschung ans FDZ gehen, solange ich das nicht aktiv ablehne. Da gibt es allerdings eine Besonderheit, die sich aus der technischen Architektur der ePA ergibt: Es können nur dann Daten ans FDZ fließen, wenn der Versicherte ein Frontend, also eine ePA-App, nutzt“, erläutert Dr. Susanne Ozegowski, zuständige Abteilungsleiterin Digitalisierung & Innovation im BMG in einem Interview mit dem Fachmagazin „E-Health-Com“. Gerne hätte das BMG hier offensichtlich auch noch mehr Daten gesammelt, wäre es technisch möglich.
Lauterbachs Opt-out-Neustart kommt durch die Hintertür. Wer sie nicht schließt, wird automatisch zum Datenspender.