Anzeige

Premium Article

Premium Article
0

Advertorial

Advertorial
0

Medikationsrisiken richtig abschätzen

Nach einem Vor-Ort-Event im vergangenen Jahr fand der Deutsche Zahnärztetag Mitte September 2024 wieder einmal online statt. Die zugleich als 50-jähriges APW-Jubiläum beworbene Veranstaltung hatte offenbar zu wenige Anmeldungen. Dieser Bericht bezieht sich auf eine subjektive Auswahl der insgesamt 18 Vorträge im Hauptprogramm, mit Schwerpunkten einerseits auf pharmakologischen und allgemeinmedizinischen, andererseits auf funktionellen Aspekten. Dabei zeigte sich auch eine Reihe aufschlussreicher Schnittstellen.

Kurz und klar

  • Immer mehr Patienten stehen unter antiresorptiver Medikation und müssen vor oralen Entzündungen geschützt werden.
  • Das Risiko lässt sich mit einem Laufzettel der DGI individuell ermitteln
  • Zu berücksichtige sind zum Beispiel die Grunderkrankung, die Häufigkeit und Dauer der Medikamenten-Einnahme und der dentale Status.
  • Indizierte Extraktionen und Implantationen sind bei Einhaltung strenger operativer Vorgaben erfolgreich und sollten präventiv und interdisziplinär abgeklärt werden (AGSMO-Laufzettel: Link siehe oben).
  • Bei Gerinnungshemmung mit neuen oralen Antikoagulanzien (NOAKs, zum Beispiel Xarelto, Pradaxa) kann vor oralchirurgischen Eingriffen eine Dosisreduktion angezeigt sein, immer in Absprache mit Hausarzt oder Internist.
  • Orale Pathologie: Mundkrebs-Screening muss sehr sorgfältig erfolgen, wird aber mit der Position 01 nur unzureichend honoriert.
  • Trauma: Zahnrettungsboxen und Schutzschienen bereits im Wechselgebiss reduzieren Risiko für Folgeschäden bei Trauma.
  • CMD und Schlafmedizin: Die Therapie mit Unterkieferprotrusions-Schienen kann bei Funktionsstörungen erschwert sein, die Schienen können aber positive Wirkungen haben.

Antiresorptiva und Extraktionen

Eine antiresorptive Medikation kann mit entzündlichen Veränderungen bis hin zu Kiefernekrosen verbunden sein. Um diese zu verhindern, sollten notwendige oralchirurgische Eingriffe mit entsprechender Vorsicht durchgeführt werden. Wie der Heidelberger Oberarzt Prof. Dr. Dr. Oliver Ristow ausführte, sind im Zusammenhang mit Extraktionen antibiotische Abschirmung, modellierende Osteotomien und plastische Deckungen angezeigt.

Beispiele für Antiresorptiva sind Bisphosphonate und Denosumab, ein monoklonaler Antikörper-Wirkstoff, der an das Knochenabbau-stimulierende Protein RAN-KL bindet. Die Medikamente werden unter anderem bei onkologischen Erkrankungen und primärer oder sekundärer Osteoporose verschrieben (Abbildung 1).

Folie  mit farbigen Elementen

Abb 1: Indikationen und Wirkeffekte antiresorptiver Medikamente: Bei oralchirurgischer Behandlung sind je nach Risiko Vorsichtsmaßnahmen laut Leitlinienempfehlungen angezeigt.

Bei der Indikation für oder gegen orale Implantate bei Patienten unter antiresorptiver Therapie sind laut Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz (Wiesbaden) zum Beispiel der glykämische Status und die Medikationsdauer von Glukokortikoiden und kombinierte Medikationen zu beachten. Zur Qualitätssicherung gehört die Nutzung einschlägiger Laufzettel (siehe Kasten „kurz und klar“) und Leitlinien. Die für den Bereich Implantologie verfügbare, aber bereits im Jahr 2021 abgelaufene Leitlinie wird laut Grötz in Kürze in aktualisierter, in weiten Teilen unveränderter Form vorliegen [1].

Leitlinie Gerinnungshemmer veraltet

Ebenfalls nicht mehr aktuell ist die S3-Leitlinie zum oralmedizinischen Management von Patienten unter Gerinnungshemmung, Ablaufjahr war bereits 2020 [2]. Bei diesen Patienten gilt nach Auskunft von Prof. Dr. Dr. Michael Schneider (Köln) besondere Vorsicht zweimal täglicher Medikation mit niedermolekularem Heparin und bei einer Kombination von Clopidogrel mit ASS. Angezeigt sind hier Hämostyptika (Kollagen) und – wie bei antiresorptiver Medikation – adaptierende Nähte. 

Dies besonders, wenn beim antikoagulierten Patienten vertikale Inzisionen, Osteotomien oder multiple Extraktionen durchgeführt wurden (eigene Recherche des Autors) [3]. Ein Absetzen oder Reduzieren von Medikationen (NOAKs) erfolgt nur in Absprache mit der hausärztlichen Praxis. Patienten benötigen zudem für den Notfall eine Telefonnummer.

Mehr Krebs-Screening gefordert

„Wir sind die Mundhöhlen-Spezialisten.“ Prof. Dr. Jochen Jackowski ist an der Universität Witten/Herdecke für zahnärztliche Chirurgie und orale Pathologie zuständig, einschließlich oraler Manifestationen seltener Erkrankungen. Er plädiert für eine deutlich bessere Honorierung der Routine-Mundhöhlenuntersuchung, zum Beispiel im Rahmen der 01. Dabei muss eine große Zahl potenziell maligner Erkrankungen mit weißen, nicht abwischbaren Veränderungen durch gezielte Inspektion und angepasste anamnestische Befragung eingeordnet werden, laut Jackowski mit entsprechend hohem Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten [4].

Wichtigste Risikofaktoren für die häufigen Leukoplakien und prämalignen Erythro-Leukoplakien sind Nikotin und Alkohol. Diagnostisch sind Biopsien verdächtiger Läsionen nach wie vor die Maßnahme der Wahl. Bürstenbiopsien werden an Jackowskis Abteilung nur durchgeführt, wenn sie nach klinischer Einschätzung mit Sicherheit nicht maligne und zudem wegen zu großer flächiger Ausdehnung nicht gut biopsierbar sind. 

Die Therapie von Lichen planus beginnt immer topisch, an erster Stelle mit Kortikosteroid-Haftpasten, -Gelen oder -Spülungen. Auch in der Onkologie werden laut Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang (Kiel), DGZMK-Präsident und Co-Moderator der Veranstaltung an beiden Tagen, zunehmend pharmakologische Optionen erforscht. Diese könnten zukünftig chirurgische Maßnahmen in vielen Fällen ersetzen oder ihren Aufwand reduzieren.

Folie mit Abbildung zu Overjet und fehlender Lippenbedeckung

Abb. 2: Die Prävalenz dentaler und dentoalveolärer Traumata ist im frühen Wechselgebiss am höchsten. Overjet und fehlende Lippenbedeckung sind wichtige Risikofaktoren.

Zähne frühzeitig schützen

Das Management dentaler Traumapatienten erläuterte Prof. Dr. Christian Gernhardt (Halle) anhand der aktualisierten, konsensbasierten S2k-Leitlinie zum Thema [5]. Chirurgische und endodontologische Gesichtspunkte können dort für das bleibende Gebiss nachgelesen werden, einschließlich Informationen zu Alveolarfortsatz-Frakturen und fazialen Weichgewebsverletzungen. Die höchste Prävalenz für dentale Traumata besteht nach Auskunft der Kieferorthopädin Prof. Dr. Heike Korbmacher-Steiner (Marburg) im Wechselgebiss im Alter zwischen acht und elf Jahren (Abbildung 2). Wichtiger Risikofaktor ist ein vergrößerter Frontzahn-Overjet und frontal offener Biss, insbesondere bei fehlender Bedeckung der Zähne durch die Lippen („Airbag“). Entsprechend sollte das Problem nach Möglichkeit mit früh einsetzenden funktionsorientierten Maßnahmen gelöst werden.

Exakte Informationen zu Sport-Zahnschienen lieferte der Oberhausener Zahnarzt Dr. Stavros Avgerinos, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Sport-Zahnmedizin. Diese müssen die drei Funktionen Protektion (Schutz), Retention und Okklusion (PRO) erfüllen. Damit die Schienen auch verwendet werden (häufig nicht gegeben), ist zudem ein guter Tragekomfort wichtig und die Kommunikation muss ohne Einschränkung gewährleistet sein (Abbildung 3). Sportschienen sind bereits im Wechselgebiss einsetzbar und angezeigt, Anpassungen für Zahnlücken sind möglich. Eine funktionell bedingte Parallele zwischen Kieferorthopädie und Sportmedizin ist, dass ein geschlossener Mund mit an den Gaumen gelagerter Zunge orofaziale Entwicklung beziehungsweise sportliche Leistungsfähigkeit verbessert.

Abbildung einer Sportschiene auf Modell

Abb. 3: Sportschienen sollen schützen (Protektion). Dafür müssen sie sicher sitzen (Retention), den Mundschluss unterstützen und auch okklusal (Okklusion) individuell angepasst sein. Das Foto zeigt den „DGSZM one4all-Sportmundschutz nach Avgerinos“.

Schlafmedizin auch bei CMD

Von der Sportmedizin (DGSZM) ging es online weiter zur Deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Schlafmedizin (DGZSM). Analog zu Sportschienen muss das Therapiemittel bimaxillär verankerte Unterkieferprotrusionsschiene (UPS) laut Leitlinie nachjustierbare Protrusionselemente aufweisen [6]. 

Wie der in Saarbrücken niedergelassene Spezialist Dr. Horst Kares erklärte, müssen die Schienen daher nach Abformung und Relationsbestimmung im Labor individuell hergestellt werden. Auch diese Schienen wirken unter anderem dadurch, dass sie den Mundschluss fördern. Bei craniomandibulärer Dysfunktion (CMD) kann die Wirksamkeit zum Beispiel durch hypomobile Kiefergelenke reduziert sein. Da Muskel- und Gelenkschmerzen durch UPS reduziert werden können, sind diese laut Kares nicht kontraindiziert, sollte ihr Einsatz aber gut überwacht werden.

Live-Event mit geringer Resonanz

Mit rund 400 Teilnehmern, einschließlich des Programms für Studenten und Berufsstarter, war die Resonanz des Online-Zahnärztetages sehr mäßig. Angesichts der Qualität der Beiträge hätte dieser ein Vielfaches der Aufmerksamkeit verdient. Die Vorträge sind zudem leider nicht als Aufzeichnung verfügbar und damit für alle verloren, die nicht teilgenommen haben.

Wegen der Industriebeteiligung unter Vorbehalt hinzurechnen ließen sich die etwa 1.500 Teilnehmer der seit Mai des Jahres online angebotenen Web-Seminare. Diese wurden laut DGZMK/APW zudem rund 20.000-mal heruntergeladen und haben damit ein sehr breites Publikum gefunden. Die Vorträge zu klinischen, Praxisführungs- und Abrechnungsthemen können weiterhin unter diesem Link aufgerufen werden.

DGZMK-Präsident Professor Wiltfang (unten) und Vizepräsident Dr. Bijan Vahedi (rechts oben) moderieren den Vortrag von Dr. Kares (Beisitzer DGZSM). 

Tagungsmotto inhaltlich nicht nachvollziehbar 

Fazit: Das Tagungsmotto „Welche Qualität müssen wir uns leisten“ war beim Deutschen Zahnärztetag 2024 nicht wirklich nachvollziehbar. Dessen ungeachtet hatte der APW-Vorstand um Dr. Dr. Markus Tröltzsch (Ansbach) das Programm inhaltlich stark aufbereitet. Ein weiterer Schwerpunkt war zum Beispiel „Zahnerhaltung“ mit den Themen selektive Kariesexkavation, direkte Füllungstherapie und Paro-Endo-Läsionen. 

Soweit vorhanden, bezogen sich Referenten auf Leitlinien, die den zu ihrem Publikationszeitpunkt aktuellen therapeutischen Standard definieren. Die Vortragenden machten aber auch deutlich, dass jederzeit Spielraum für eine „personalisierte“, also individuell abgestimmte Behandlung angezeigt ist. Diese müssen wir uns auch in Zukunft leisten können.

Dr. Jan H. Koch, Freising


Der Autor erklärt, dass er in Bezug auf diesen Beitrag keinen Interessenkonflikt hat. Für Recherche oder Verfassen des Texts wurden keine KI-Werkzeuge genutzt.

Hinweis: Im Bericht genannte behandlungsbezogene Empfehlungen beruhen auf Informationen aus den Vorträgen und unterliegen möglichen Irrtümern bei der Wiedergabe. Sie können in keinem Fall die klinische Einschätzung des Lesers oder der Leserin ersetzen und müssen eigenverantwortlich geprüft werden. Details enthält gegebenenfalls die Literatur.

Dr. Jan H. Koch

Dr. med. dent. Jan H. Koch ist approbierter Zahnarzt mit mehreren Jahren Berufserfahrung in Praxis und Hochschule. Seit dem Jahr 2000 ist er als freier Fachjournalist und Berater tätig. Arbeitsschwerpunkte sind Falldarstellungen, Veranstaltungsberichte und Pressetexte, für Dentalindustrie, Medien und Verbände. Seit 2013 schreibt Dr. Koch als fester freier Mitarbeiter für die dzw und ihre Fachmagazine, unter anderem die Kolumne Oralmedizin kompakt.

Mitglied seit

7 Jahre 2 Monate

Literatur

[1] DGI, DGZMK. Zahnimplantate bei medikamentöser Behandlung mit Knochenantiresorptiva (inkl. Bisphosphonate); AWMF, S3-Leitlinie; Registernummer 083 - 026; Stand: 31.07.2016 , gültig bis 30.07.2021; http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/083-026.html . 2016.
[2] DGZMK, DGMKG. S3-Leitlinie (Langversion). Zahnärztliche Chirurgie unter oraler Antikoagulation/ Thrombozytenaggregationshemmung. AWMF-Registernummer: 083-018. Stand: August 2017. Gültig bis: August 2020. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/083-018 . 2017.
[3] Ueda K, Inokoshi M, Kubota K, et al. Factors influencing postoperative bleeding after dental extraction in older adult patients receiving anticoagulation therapy. Clin Oral Investig. 2023;28(1):22. Epub 20231226. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38147161/ 
[4] van der Waal I, Axell T. Oral leukoplakia: a proposal for uniform reporting. Oral Oncol. 2002;38(6):521-6. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12167428  
[5] DGMKG, DGZMK. S2k-Leitlinie (Langfassung). Therapie des dentalen Traumas bleibender Zähne. AWMF-Registernummer: 083-004. Stand: März 2022. Gültig bis: März 2027 https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/083-004 . 2022.
[6] Deutsche Gesellschaft für Zahnärztliche Schlafmedizin (DGZS). Die Unterkieferprotrusionsschiene (UPS): Anwendung in der zahnärztlichen Schlafmedizin beim Erwachsenen; AWMF-Registernummer 083 - 045. Stand: November 2021. Gültig bis: November 2026  https://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/083-045.html 2021.