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Die große Unbekannte

MIH ist neben Karies die wichtigste Zahnerkrankung bei Kindern, doch die Ursachen ihrer Entstehung sind bislang wenig erforscht.

MIH ist neben Karies die wichtigste Zahnerkrankung bei Kindern, doch die Ursachen ihrer Entstehung sind bislang wenig erforscht.

Alle Jahre wieder stellt die Barmer ihren Zahnreport vor - so auch dieses Jahr. Schwerpunkthema 2021 die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH).

Barmer-Zahnreport 2021: Schwerpunkt Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation

Der Report basiert alljährlich auf einer Sekundärdatenanalyse der Barmer-Abrechnungsdaten. Prof. Dr. Michael Walter, Autor des Barmer-Zahnreports und Direktor der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden stellte die Ergebnisse der Studie nun gemeinsam mit den Barmer-Vorstandsvorsitzenden, Prof. Dr. Christoph Straub, vor. „Über die Entstehung der MIH ist wenig bekannt“, so Staub, daher bilde das Thema den Schwerpunkt des aktuellen Barmer-Zahnreports. Straub nahm dann das zentrale Ergebnis der Studie vorweg: „Die Verordnung von Antibiotika steht in einem erkennbaren Zusammenhang mit dem Auftreten von MIH.“

Bislang wurden verschiedene Ursachen häufig ins Spiel gebracht, darunter Infekte, Infektanfälligkeit bei Kindern bis zum vierten Lebensjahr, Zusammenhänge mit Medikamentenverordnungen, Bisphenol A, was das Bundesamt für Risikobewertung allerding bereits 2018 als unwahrscheinlich eingestuft hatte, und Frühgeburtlichkeit. Alle bisherigen Studien, so Walter, hätten gemein, dass sie in der Regel auf einem relativ niedrigen Evidenzniveau anzusiedeln seien und auf geringen Fallzahlen basierten.

Walter und sein Team hatten bei ihrer Studie eine Datenbasis von 298.502 versicherten Kindern zur Verfügung, davon waren 22.947 in der Kreidezahngruppe - nach dem Abrechnungsschlüssel als mittlere bis schwere Fälle in Behandlung. Die Prävalenz lag demnach 2019 bundesweit bei 8 Prozent. Der Zahnreport weist dabei große regionale Unterschiede nach. So hat Hamburg mit 5,5 Prozent die niedrigste Fallzahl und NRW mit 10,2 Prozent die höchste. Noch stärker liegen die Schwankungen der Prävalenz auf Kreisebene. Hier reicht sie von 3 bis 15 Prozent. Wobei Mädchen mit 9,1 Prozent etwas stärker betroffen sind als Jungen mit 7,6 Prozent. Diese regionalen Unterschiede ließen sich, erklärte Walter, bislang nicht erklären.

Ein Schwerpunkt der Studie widmete sich dem Zusammenhang der Entstehung von MIH und der Verordnung von Antibiotika. Prof. Dr. Jan Kühnisch vom LMU-Klinikum in München hatte schon auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaften für Zahnerhaltung (DGZ) und Kinderzahnheilkunde (DGKiZ) vom 27. bis zum 29. September 2018 auf das Thema Antibiotika im Kontext der Ätiologie von MIH hingewiesen. Sie stünden im Verdacht, das Kristallitwachstum zu beschleunigen, ohne dass eine reife und belastbare Schmelzstruktur entstehen könne. „Für eine ätiologische Rolle spricht laut Kühnisch eine größere MIH-Häufigkeit bei Kindern mit Atemwegs- und anderen Erkrankungen, die vermehrt mit Antibiotika behandelt wurden“, berichtete Jan H. Koch in den „zm“ 23/24 2018 von der Tagung.

Für den MIH-Schwerpunt des Zahnreports wurden die Verordnungsmengen von vier verschiedenen Antibiotika-Gruppen analysiert: Penicilline, Cephalosporine, Makrolide (bei Atemwegsinfekten) und eine Kombination gegen Harnwegsinfekte. Hier entdeckten die Wissenschaftler um Walter einen „erkennbaren, relevanten Zusammenhang“ zur Entstehung von MIH. Es zeigten sich deutliche Unterschiede bei MIH-betroffenen Kindern von etwa 10 Prozent zu nicht betroffenen Kindern. Bei den seltener verordneten Kombinationsantibiotika gegen Harnwegsinfekte zeigte sich eine Differenz von sogar 30 Prozent gegenüber nicht betroffenen Kindern. Die Ursachen des Zusammenhangs von MIH und Antibiotika sind auch nach dieser Studie unbekannt. Dazu seien weitere, klinische Studien erforderlich, betonte Walter, kausale Zusammenhänge könne eine Sekundärdatenanalyse nicht klären, und mahnte dringend klinische Studien an.

Auf die Frage welche den Mineralien bei MIH dem Schmelz fehlen, antwortete Walter bei der Vorstellung des Zahnreports: „Es ist mir schon ein wenig peinlich, dass ich immer wieder sagen muss, das muss weiter erforscht werden.“ So der Stand der MIH-Forschung derzeit.

Als weiteres Ergebnis zeigte die Studie bei Frühgeburt, Schnittentbindung und höherer Infektanfälligkeit keine größere Häufigkeit von MIH.