Den Weiterbildungsstudiengang MSc Kinderzahnheilkunde bieten die Universitäten Gießen und Marburg gemeinsam bereits seit 2014 an. Die Entwicklung wurde aus BMBF- und EU-Mitteln gefördert. Über die Besonderheiten und Rahmenbedingungen dieses Studiengangs sprach Prof. Klaus Pieper (Studiengangleiter Marburg) mit DZW-Redakteurin Evelyn Stolberg.
Herr Prof. Pieper, warum gibt es die Notwendigkeit für einen Weiterbildungsstudiengang MSc Kinderzahnheilkunde?
Prof. Dr. Klaus Pieper: Seit Jahrzehnten nimmt die Kinderzahnheilkunde im Undergraduate-Training, also in der normalen Ausbildung der Zahnmedizinstudenten, zu wenig Raum ein. Kinderzahnheilkunde wird zwar an allen Universitäten geprüft und unterrichtet, weil die Approbationsordnung es vorschreibt, aber dies geschieht jeweils in unterschiedlichem Umfang.
Gibt es eine Fachzahnarztausbildung für Kinderzahnheilkunde in Deutschland?
Pieper: Nein. Es gibt hierzulande zwar Fachzahnärzte für Kieferorthopädie, Oralchirurgie und teilweise auch für Parodontologie, aber keine für Kinderzahnheilkunde. In der DDR war das noch anders. Da gab es eine hohe Zahl an Kinderstomatologen. Doch mit der Wende wurde das West-System übernommen. Wahrscheinlich haben die meisten dieser Kolleginnen und Kollegen damals als allgemeine Zahnärzte weitergearbeitet. Mittlerweile dürfte mehr als die Hälfte von ihnen in Rente sein. Unser Weiterbildungsstudiengang setzt hier an und kann einen Beitrag dazu leisten, die Lücke zu schließen.
Wie funktioniert die Kooperation mit der Universität Gießen?
Pieper: Sehr gut. Das liegt sicherlich auch daran, dass Prof. Norbert Krämer und ich uns seit Jahrzehnten kennen. Er ist außerdem Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde.
Wie war es, den gemeinsamen Studiengang auf die Beine zu stellen?
Pieper: Anstrengend, weil es mit sehr viel Arbeit verbunden war. Erst einmal muss man, wenn man ein Masterprogramm auflegt, zeitgleich ein Curriculum sowie eine Studien- und Prüfungsordnung entwickeln. Das war die erste Hürde. Die zweite war, angemessen mit den Unterschieden der administrativen Vorgehensweisen der beiden Universitäten – die im selben Bundesland in unmittelbarer Nachbarschaft liegen – umzugehen Das beginnt etwa beim Notensystem, das jeweils anders ist. Wir haben uns aber sehr gut und schnell einigen können.
Welche Voraussetzungen muss ich als Zahnarzt erfüllen, um mich für diesen besonderen Studiengang einzuschreiben?
Pieper: Bei berufsbegleitenden Weiterbildungs-Masterprogrammen gelten andere Spielregeln als beim grundständigen Masterstudium, weil ein großer Teil der Leistung angerechnet wird, der in der Praxis erbracht wird. Grundvoraussetzung ist also: Sie müssen im Beruf tätig sein.
Wie viele Stunden muss ich vor Ort sein? Und wie lange dauert der Weiterbildungsstudiengang?
Pieper: Insgesamt dauert er drei Jahre. Wir pausieren aber während der Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel etwa fünf Wochen lang, und im Sommer gibt es eine Pause von rund zehn Wochen. In der übrigen Zeit finden ungefähr an einem Wochenende pro Monat jeweils zweitägige Präsenzveranstaltungen statt. Auf die drei Jahre verteilt kommen wir so auf insgesamt 450 Präsenz-Stunden. Pro Jahr sollten außerdem rund 1.200 Stunden in der Praxis gearbeitet werden. Neben der gängigen Literatur stellen wir zahlreiche Lernvideos zur Verfügung, mit denen unsere Studierenden zu Hause lernen können.
In drei Jahren kann viel passieren. Was ist, wenn beispielsweise Familienzuwachs den Studierenden einen Strich durch die Rechnung macht?
Pieper: Die Universitäten Marburg und Gießen sind als familienfreundliche Hochschulen zertifiziert. Aktuell haben wir 27 Studierende im Weiterbildungsmaster, überwiegend Kolleginnen. Im ersten Durchgang war bei zwölf Teilnehmern ein Mann dabei, im zweiten Durchgang waren es zwei Männer von insgesamt acht Studierenden, und im dritten Durchgang ein Kollege und sechs Teilnehmerinnen. Fünf unserer Studierenden sind während ihrer Weiterbildung schwanger geworden. Wir haben sie persönlich beraten und eine individuelle Lösung für die wenigen Modul-Wochenenden gefunden, an denen eine Teilnahme nicht möglich war. Jede Teilnehmerin konnte so Versäumtes nachholen, und am Ende haben alle die Prüfungen bestanden. Egal was passiert – wir finden eine Lösung.
An wen wendet sich der Weiterbildungsstudiengang?
Pieper: An jede und jeden, der sich für eine intensive Ausbildung auf dem Gebiet der Kinderzahnheilkunde interessiert. Die Altersstruktur bei uns ist bunt gemischt. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die ganz am Anfang ihrer Karriere stehen, aber auch solche mit Familien, die schon größere Kinder haben. Das Alter unserer Studienanfängerinnen und Studienanfänger betrug bisher 27 bis 51 Jahre. Bezüglich der Berufserfahrung lag die Spanne zwischen einem Jahr und mehr als 20 Jahren. Eine Kollegin ist bereits 50 plus. Ihre Kinder sind fast erwachsen und sie wollte die Chance nutzen, etwas Neues anzufangen.
Wie hoch sind die Kosten?
Pieper: 23.000 Euro, aber auf die drei Jahre des Weiterbildungsstudiengangs verteilt. Im ersten und zweiten Jahr liegen die Kosten bei jeweils 9.500 Euro, im dritten bei 4.000 Euro. Leider schreckt diese Summe den einen oder anderen Interessenten ab. Das liegt daran, dass Masterstudiengänge, die bezahlpflichtig sind, in Deutschland noch keine Tradition haben. Das ändert sich aber langsam.
Was lerne ich alles in den drei Jahren?
Pieper: Eine Menge. Dadurch, dass die Kolleginnen und Kollegen berufsbegleitend studieren, liegen viele Fallpräsentationen vor. Weil die Gruppen nicht zu groß sind, sind intensive Diskussionen möglich. Wir setzen Referenten ein, die Kinderzahnheilkunde seit vielen Jahrzehnten praktizieren. Dadurch haben alle die Chance, Fälle kontrovers zu diskutieren. Auch zahlreiche praktische Übungen sind in den Studiengang integriert.
Welchen Vorteil bringt mir der Abschluss?
Pieper: Insgesamt gibt es drei Weiterbildungs-Stufen in der Kinderzahnheilkunde. Die unterste ist die Weiterbildung im Rahmen von speziellen Curricula wie etwa die Kindercurricula der Akademie Praxis und Wissenschaft der DGZMK und einiger Zahnärztekammern. Dabei bestehen deutliche Unterschiede, was den Umfang angeht. Eine Abschlussprüfung muss nicht immer abgelegt werden.
Die mittlere Stufe ist der „Spezialist für Kinderzahnheilkunde“ der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde. Dafür muss man einen Leistungskatalog erfüllen und drei Publikationen schreiben. Wer die Abschlussprüfung, die die DGKiZ abnimmt, erfolgreich absolviert, wird auf deren Homepage gelistet. Eltern können darüber einen qualifizierten Kinderzahnarzt in ihrer Nähe finden.
Die dritte und höchste Stufe ist das Masterprogramm, das sich vom Umfang deutlich abhebt. Kinderzahnarzt darf man sich übrigens bereits mit einer wenig umfangreichen Weiterbildung nennen, Spezialist für Kinderzahnheilkunde, sobald man die Spezialisierung bei der DGKiZ absolviert, und wer den Masterabschluss hat, darf den Titel MSc Kinderzahnheilkunde führen. In größeren Städten spielt das mittlerweile durchaus eine Rolle, weil man sich dadurch deutlich von der Konkurrenz abhebt.
Was glauben Sie: Warum ist die Kinderzahnheilkunde eine Frauendomäne?
Pieper: Vielleicht haben Frauen eine größere Affinität zu Kindern, weil sie diejenigen sind, die sie auf die Welt bringen? Ich kann nur mit Sicherheit sagen, dass die Zahl der Frauen in der Zahnmedizin insgesamt deutlich angestiegen ist. Als ich damals studiert habe, gab es vielleicht zehn Prozent Studienanfängerinnen, heute sind es bereits mehr als die Hälfte.
Was sind aktuell die größten Herausforderungen in der Kinderzahnmedizin?
Pieper: Nach wie vor ist es ECC, also frühkindliche Karies. MIH ist natürlich auch ein Thema. Ein spezialisierter Zahnarzt sollte allerdings in der Lage sein, sich allen Herausforderungen zu stellen und auch medizinisch kompromittierte Kinder, etwa mit Herzproblemen oder Behinderungen, adäquat behandeln können. Das lernt man bei uns.
Was macht einen guten Kinderzahnarzt aus?
Pieper: Er muss Empathie mitbringen. Das Wohl des Kindes muss für ihn immer an erster Stelle stehen. Und er braucht viel Geduld und ein Händchen, um nicht nur mit schwierigen Kindern, sondern auch mit schwierigen Eltern umzugehen. Ich nenne da mal das Stichwort Helikoptereltern.
Warum haben Sie sich für diesen Schwerpunkt entschieden?
Pieper: Ich habe 1975 mein Examen gemacht. Die Prävalenzzahlen waren da noch zehnmal höher als heute. Damals war mir klar, dass dieses Problem nicht von einigen wenigen Zahnärzten durch Bohren allein gelöst werden kann. Gegen so eine Karieslast kann man nicht anbohren. Deshalb habe ich ein starkes Standbein in der Prävention. Ich habe mir viel selbst beigebracht, aber auch viel im Ausland gelernt. Und ich konnte schon immer gut mit Kindern umgehen. Ich habe selber drei und mittlerweile schon vier Enkel.
Weitere Informationen zum gemeinsamen Weiterbildungsstudiengang MSc Kinderzahnheilkunde in Marburg und Gießen gibt es hier: https://www.uni-marburg.de/fb20/kinderzahnheilkunde/wbm-kzhk