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„Die zu Hause untergebrachten ­Pflege­bedürftigen sind die ­größte ­Herausforderung“

Wie kann man den Herausforderungen der Alterszahnmedizin begegnen?

Wie kann man den Herausforderungen der Alterszahnmedizin begegnen?

Wie kann man den Herausforderungen der Alterszahnmedizin begegnen? Und welche Rolle spielt sie bereits an der Universität Witten/Herdecke? Darüber sprach Prof. Dr. Stefan Zimmer, Leiter des Departments für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, mit DZW-Redakteurin Evelyn Stolberg.

Was ist die größte Herausforderung in der Alterszahnmedizin?

Prof. Stefan Zimmer: Schon heute gibt es in unserem Land drei Millionen Pflegebedürftige, die zahnmedizinisch nicht optimal betreut werden können. Das Problem wächst, und es gibt nicht für alle Fragestellungen überzeugende Konzepte. Hierbei denke ich insbesondere an die Patienten, die in der häuslichen Pflege untergebracht sind. Wir müssen dringend Lösungen entwickeln und uns als Berufsstand überlegen, wie wir dieser Herausforderung gerecht werden können.

Wie könnte ein möglicher ­Lösungsansatz für die zu Hause untergebrachten ­Pflege­bedürftigen aussehen?

Zimmer: Aktuell werden deutschlandweit etwa 25 Prozent der Pflegeeinrichtungen im Rahmen von Kooperationsverträgen zahnmedizinisch betreut. Das bedeutet allerdings nicht, dass auch jeder Bewohner davon profitiert, denn in der Regel stimmt nur ein Teil der Betreuung durch den entsprechenden Zahnarzt zu. Das liegt vor allem daran, dass alte Menschen sich meist schwertun, sich auf einen neuen Zahnarzt einzustellen. Außerdem haben viele einen Betreuer, der der Behandlung zustimmen muss. Denn natürlich besteht auch in einer Pflegeeinrichtung das Recht auf freie Arztwahl, und jeder Einzelne muss der Behandlung durch den Zahnarzt mit Kooperationsvertrag zustimmen.

Noch viel schwieriger ist der Zugang zur häuslichen Pflege. Die zahnmedizinische Betreuung in der ambulanten Pflege ist aber aus zwei Gründen besonders wichtig: Erstens leben etwa drei viertel der Pflegebedürftigen in Deutschland zu Hause, zweitens waren nahezu alle Pflegebedürftigen, die in einem Pflegeheim leben, schon vorher längere Zeit zu Hause pflegebedürf­tig. Die gravierende Verschlechterung der Mundgesundheit setzt mit Eintritt der Pflegebedürftigkeit ein, wenn der Patient nicht mehr selbständig in der Lage ist, für eine gute Mundhygiene zu sorgen. Deshalb braucht er dann sofort zahnmedizinische Unterstützung. Wenn jemand zwei Jahre in häuslicher Pflege gelebt hat und die zahnmedizinische Betreuung erst beginnt, wenn er anschließend in die stationäre Pflege kommt, ist es zu spät. Dann sind in der Regel bereits schwere Zahnschäden entstanden. Übrigens liegt die mittlere Verweildauer in den stationären Pflegeeinrichtungen im Schnitt zwischen sieben und neun Monaten und ist damit deutlich kürzer als in der ambulanten Pflege.

Ich denke, dass wir den Zugang zur häuslichen Pflege am besten durch eine enge Kooperation mit den Hausärzten und vor allem den ambulanten Pflegediensten erreichen. Letztere leisten die häusliche Pflege entweder selbst oder sie übernehmen bei Pflegegeldempfängern die nach Paragraf 37.3 SGB XI vorgeschriebenen Beratungen der pflegenden Angehörigen. Diese Beratungen erfolgen je nach Pflegegrad zwischen zwei- und viermal pro Jahr. Damit ist ein enger Kontakt zwischen Pflegediensten und häuslich Pflegebedürftigen gewährleistet. Diesen Kontakt sollten wir Zahnärzte für den Zugang zu dieser Patientengruppe nutzen.

Im September wird Paragraf 22 a bereits einige Monate in Kraft sein. Erwarten Sie dadurch eine Zunahme bei den Kooperationsverträgen für die aufsuchende Betreuung?

Zimmer: Paragraf 22 a ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch längst nicht das, was für eine wirksame Prävention erforderlich ist. Ich glaube, dass vor allen Dingen mehr Kooperationsverträge abgeschlossen werden, wenn wir die Kollegenschaft besser über alle vorhandenen Möglichkeiten aufklären. Viele Kollegen haben in Bezug auf die Alterszahnmedizin Berührungsängste. Sie glauben, dass die zahnmedizinische Versorgung Pflegebedürftiger unwirtschaftlich ist und nicht in den Praxisalltag integriert werden kann.

Um die Zahnmediziner zu ­entlasten: Sollte die Prophylaxe in Pflegeheimen selbstständig von Zahnmedizinischen Fach­angestellten ausgeführt werden ­dürfen?

Zimmer: Pflegebedürftige sind in der Regel mehrfach erkrankt und nehmen viele Medikamente. Sie sind also meist als Hochrisikopatienten einzustufen. Ich kann es daher nicht empfehlen, die Regeln der zahnärztlichen Delegation gerade bei dieser Patientenklientel aufzuweichen. In der stationären Pflege sehe ich auch organisatorisch nicht so große Probleme, eine Pflegeeinrichtung mit einem Team aus Zahnarzt und Prophylaxefachkraft zu besuchen, weil dort üblicherweise mehrere Patienten zu versorgen sind und sich das gut verzahnen lässt. In der häuslichen Pflege ist das schwieriger, und da müssen wir sicherlich noch Ideen entwickeln.

Eine Pflegekraft kann keine zahnmedizinischen Aufgaben übernehmen, auch nicht die einer Prophylaxefachkraft. Die Pflegefachkraft kann und muss aber das übernehmen, was der Patient früher selbst geleistet hat, also die häusliche Mundhygiene. Aber auch hier müssen wir dafür sorgen, dass die Pflegekräfte befähigt werden, das zu tun. Hier gibt es in Deutschland schon an vielen Stellen tolle Projekte.

Was halten Sie vom geplanten Expertenstandard in der Pflege?

Zimmer: Ein Expertenstandard hat in der Pflege eine ganz besondere Bedeutung. Er muss nämlich dort auch umgesetzt werden. Deshalb ist die Entwicklung dieses Expertenstandards ein ganz entscheidender Faktor, der die Mundhygiene von Pflegebedürftigen in Deutschland deutlich verbessern kann.

Welche Rolle spielt die Alterszahnmedizin während des ­zahnmedizinischen Studiums an Ihrer Universität?

Zimmer: Wir haben im vergangenen Semester erstmals eine Vorlesungsreihe für Alterszahnmedizin angeboten. Uns geht es darum, dass unsere Studierenden lernen, welche Ressourcen Pflegebedürftige haben. Eingebunden haben wir Pharmakologen, Pflegewissenschaftler, Psychologen, Juristen und Geriater, aber auch Zahnärzte aus den Körperschaften und mit Erfahrung in der Betreuung von Pflegebedürftigen.

Sie unterrichten die Studierenden etwa darin, wie sie die Behandlung eines Pflegebedürftigen struk­turieren können und informieren sie über die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten von Kooperationsverträgen. Im nächsten Semester werden unsere Studierenden in einer entsprechenden Einrichtung hospitieren. Das ist entweder unsere Geriatrie, ein ambulanter Pflegedienst oder eine stationäre Einrichtung. Und ein Semester später werden sie Zahnärzte begleiten, die Kooperationsverträge mit Pflegeheimen abgeschlossen haben.


Dieser Artikel ist Teil unseres Schwerpunktes "Patienten mit Beeinträchtigungen".