Bei der Praxiswertermittlung werden der immaterielle und der materielle Wert der Praxis getrennt ermittelt und zu einem Gesamtwert addiert. Dabei kommt dem immateriellen Wert mehr Bedeutung zu, weil er oft mehr als zwei Drittel des Gesamtwertes ausmacht und mit Anwendung des modifizierten Ertragswertverfahrens auch komplexer zu ermitteln erscheint. Tatsächlich ist aber die Bestimmung des materiellen Teils erheblich schwieriger. Diese wird regelmäßig ohne modellmäßige Rechenbasis vorgenommen, indem beispielsweise einfach ein Depot mit der Wertermittlung beauftragt wird. Der größte Fehler bei der Wertermittlung durch ein Depot besteht in der Regel darin, dass ihm keine konkrete Vorgabe über die gesuchte Wertart gemacht wird. So fertigt das Depot möglicherweise eine Liste mit Einzelpreisen an, die aussagen, was das Depot dem Praxisinhaber beim Verkauf – also für die Abholung – zahlen würde, oft mit dem Zusatz: „Sie erhalten unsere Bewertung als An-/Wiederverkäufer aus Erfahrungswerten sowie des aktuellen Wissensstandes der Dentalindustrie.“ Das ist unpräzise und im Regelfall gar nicht gesucht. Manchmal wird auch der „Nutzwert“ bestimmt, ohne dass exakt beschrieben wird, was genau dieser sein soll und er daher ohne bewertungstheoretischen Hintergrund ist.
Gesucht ist im Verkaufsfall meistens der Wert bei Fortführung des Betriebes durch den Käufer. Es bleiben die Anlagen also dort, wo sie sind. Worin besteht unter diesem Aspekt ihr Wert? Die Antwort lautet: Der Wert besteht darin, dass ein gedachter Übernehmer eine Zeit lang nicht in neue Anlagen investieren muss, wenn er Ihnen die vorhandenen abkauft. Beispiel: Sie verkaufen Ihre Praxis und haben eine zehn Jahre alte Behandlungseinheit. Die würde heute neu 50.000 Euro kosten. Sie gehen davon aus, dass eine solche Einheit 20 Jahre lang hält und der Käufer sie über eine entsprechend lange Laufzeit finanziert. Dann beträgt die Finanzierungsrate bei 3 Prozent Zinsen 3.361 Euro pro Jahr. Diese Rate spart der Käufer jetzt 10 Jahre lang, in denen er nicht investieren muss. Ohne finanzmathematische Aufbereitung spart er also insgesamt rund 34.000 Euro, wenn er Ihnen die Einheit abkauft. Ganz exakt berechnet verringert sich der Wert noch etwas, weil eine Ketteninvestitionsrechnung gemacht werden muss, aber hier soll es nur um das Prinzip gehen. Und das Prinzip ist das des „Ausgabenersparniswertes“. Er hat übrigens die Eigenschaften eines Ertragswertes und passt daher ideal zur Ermittlung des immateriellen Wertes.
Mit dieser Wertbestimmung wird ein materieller Wert ermittelt, der für den Käufer einen Entscheidungswert darstellt. Will der Abgeber einen höheren Preis (als hier 34.000 Euro) erzielen, müsste dem Käufer geraten werden, lieber gleich eine neue Einheit zu kaufen. Im Normalfall wird allerdings der „Verkehrswert“ gesucht, den es eigentlich beim Kauf/Verkauf von Praxen gar nicht gibt, weil der Markt nicht vollkommen ist. Wir sagen also vereinfachend, dass wir einen „üblichen Preis“ wissen möchten. Und der wiederum wird von den Depots gebildet. Depots fungieren, ohne dass es ihnen bewusst ist, als „Preissetzer“.
Das ist zunächst gar nicht schlimm, obwohl diese Bewertung ja keine belastbare Grundlage hat. Die Depots haben eine gute Übersicht über marktübliche Preise. Das Problem ist, dass diese marktüblichen Preise in der Regel viel kleiner sind als die vergleichbaren Ausgabenersparniswerte. So nehmen wir hier mal exemplarisch an, dass das Depot die oben genannte Einheit mit lediglich 15.000 Euro bewertet.
Welcher Preis am Ende der Verhandlung dann der „richtige“ Preis ist, steht auf einem anderen Blatt. Der Abgeber sollte sich aber darüber klar sein, dass es für den Käufer außerordentlich vorteilhaft ist, die alten Anlagen zu übernehmen. Und entsprechend sollte er verhandeln.
Leider ist es oft so, dass die Preise entweder „gefühlt“ festgestellt werden, also für die Praxis materiell und immateriell zusammen beispielsweise 200.000 Euro, ohne dass eine belastbare Wertermittlung durchgeführt wurde. Der häufigste Fall ist aber der, dass ein Sachverständiger oder der Steuer- bzw. sonstige -Berater den immateriellen Wert mehr oder weniger berechnet und zur Ermittlung des materiellen Wertes einfach das Depot fragt. Und dieser Wert wird meistens unhinterfragt akzeptiert. Hinzu kommt noch, dass die vielen Kleinteile wie Hand- und Winkelstücke, Instrumente und sonstige geringwertige Wirtschaftsgüter gar nicht berücksichtigt werden, obwohl sie einen beträchtlichen Ausgabenersparniswert haben.
Mit den Erkenntnissen aus diesem Beitrag und ein bisschen Verhandlungsgeschick können Sie bei Ihrem Praxisverkauf wahrscheinlich einen um viele tausend Euro höheren Erlös erzielen. Viel Erfolg dabei.
Prof. Dr. Thomas Sander, Hannover
Prof. Dr. Thomas Sander gründete 1997 die Sander Concept GmbH, die Zahnärzte in ganz Deutschland begleitet. Sander Concept wird heute in Familiennachfolge geführt. Prof. Sander leitet an der Medizinischen Hochschule Hannover das Lehrgebiet „Praxisökonomie“ und lehrt und forscht im Bereich Praxismarketing und Praxiswertermittlung. Er ist außerdem öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Bewertung von Arzt- und Zahnarztpraxen sowie Wirtschafts- und Praxismediator (zertifiziert nach ZMediatAusbV). Kontakt: www.sander-kollegen.de / sander.thomas@mh-hannover.de.