Speichel wird im Mund von den kleinen und großen Glandulae salivales in Abhängigkeit von jeweiligem Drüsentyp in unterschiedlicher Zusammensetzung gebildet und sezerniert. Pro Tag werden bei gesunden Personen zwischen 0,6 und 1,5 Liter Speichel freigesetzt. Er dient der Befeuchtung der Mundschleimhaut und der protektiven Pellikelbildung auf den oralen Hart- und Weichgeweben.
Speichel ist ein wichtiger Faktor beim Sprechen, Schlucken und Schmecken. Zudem enthält er eine Reihe von Inhaltsstoffen, welche zum Teil schon in den Drüsen produziert werden, aber in noch weit umfangreicherem Ausmaß durch den Kontakt mit den Strukturen der Mundhöhle hinzukommen. Damit wird die Saliva zu einer Quelle biologischer Marker, welche mit hoher Genauigkeit den aktuellen Zustand der oralen Gewebe reflektiert. Speichel enthält zahlreiche Komponenten des oralen Biotops wie Antigene und Stoffwechselprodukte oraler Keime, aber auch die in Reaktion darauf gebildeten wirtseigenen Komponenten.
So korrelieren erregerassoziierte Erkrankungen wie Karies, Parodontitis und Stomatitis in vieler Hinsicht mit Menge, Zusammensetzung und Inhaltsstoffen der Saliva. All diese Parameter machen den Speichel zu einem diagnostisch wichtigen Medium bei der Dedektierung und Verlaufskontrolle infektiös bedingter Erkrankungen der Mundhöhle.
Karies – eine Folge der Destabilisierung des oralen Mikrobioms
Speicheltests werden bereits seit Langem erfolgreich zur Bestimmung des Kariesrisikos eingesetzt. Die Untersuchungen müssen, um ein möglichst vollständiges Bild zu vermitteln mehrere wichtige Parameter berücksichtigen. Dazu gehören neben der qualitativen und (semi)quantitativen Analyse der kariogenen Bakterien auch eine Messung des Speichel pH-Werts und der Pufferkapazität.
Die dentale Karies ist eine primär mikrobiell verursachte aber durchaus multifaktoriell bedingte Erkrankung. Die Interaktion zwischen säurebildenden Keimen und dem ausreichenden Angebot an fermentierbaren Kohlenhydraten ist die Voraussetzung zur Entstehung der primären Läsionen. Weltweit sind rund 95 Prozent der Bevölkerung von Karies betroffen; die Prävalenz beträgt bereits bei Dreijährigen in westlichen Industrieländern 10 bis 15 Prozent mit durchschnittlich vier befallenen Zähnen pro betroffenem Kind. Angesichts dieser Zahlen empfiehlt die WHO maximal 10 Prozent des täglichen Energiebedarfs in Form von niedermolekularen Kohlenhydraten wie Saccharose, Fructose und Glucose zu decken. Komplexe Kohlenhydrate und auch die weniger rasch fermentierbare Laktose haben ein weit geringeres kariogenes Potenzial. Unabhängig von diesen Faktoren wird das individuelle Kariesrisiko durch den Speichel mit seinen wirtseigenen Moduations – und Abwehrmechanismen getriggert.
Auslöser der Karies ist im Gegensatz zur polymikrobiell bedingten Parodontitis vor allem Streptococcus mutans. Allerdings zeigen neuere Forschungsergebnisse, dass dieser Keim zwar eine zentrale Rolle im Krankheitsgeschehen hat, aber die eigentliche Ursache für die Entfaltung seines pathogenen Potenzials ähnlich wie auch bei parodontalen Erkrankungen in einer tiefgreifenden Veränderung und Störung des oralen Mikrobioms liegt. Stabilität oder Destabilisierung diese „Mini-Ökosystems“ ist von zahlreichen endo- und exogenen Faktoren abhängig. So sind die potenziellen Karieserreger bei zahngesunden Personen nur in geringer Menge im Speichel nachweisbar. Bei einem „Kippen“ der oralen Biozönose steigt der Anteil der Mutans-Streptokokken zu Ungunsten der normalen Residentflora.
Zwar haben neben S. mutans auch andere orale Streptokokken wie S. sobrinus, S. gordonii, S. mitis und S. sanguis ein zumindest unterstützendes kariogenes Potenzial, jedoch ist die derzeitige Datenlage zu dünn um hier endgültige Aussagen zu treffen. Die Besonderheit von S. mutans liegt in seiner hohen Säuretoleranz, seiner Fähigkeit zur Synthese extrazellulärer Polysacharide aus Sucrose, was ihm die Anheftung an den Zahnoberflächen erleichtert, und in seiner raschen und effektiven Fermentation von Kohlenhydraten zu Säuren. In letzter Zeit stehen auch Actinomyces Spezies und Bifidobakterien als Kariesauslöser zur Diskussion. Ihre vermehrte Anwesenheit wird mit der Auslösung von Wurzelkaries korreliert, allerdings haben sie im Vergleich zu den Mutans-Streptokokken eine weitaus geringere Säuretoleranz.
Speicheltests – Möglichkeiten und Grenzen
Eine Speichelanalyse auf kariogene Bakterien bietet sich schon aufgrund der hohen Keimkonzentration in der Saliva an. Speichel ist mit seinem Gehalt von 108 bis 109 CFU (colony forming units) /ml ein Reservoir für diverse orale Mikroorganismen. Bei den handelsüblichen Karies- Speicheltests werden neben S. mutans meist auch Laktobazillen miterfasst. Letztere findet man in hoher Menge in bereits bestehenden tieferen kariösen Läsionen. Sie sind weniger an der Auslösung als an der an der Progression der Erkrankung beteiligt. Andere Keime als S.mutans und Lactobacillus werden in den handelsüblichen Tests nicht miterfasst.
Sicher zu wenig Beachtung findet in Zusammenhang mit Karies derzeit noch der Sprosspilz Candida. Besonders bei hoher Kohlenhydratexposition spielt die Hefe eine wichtige Rolle bei der Koaggregation mit anderen Keimen in Biofilmen. Candida begünstigt Wachstum und Vermehrung von Laktobazillen, welche von den durch Candida gebildeten Vitaminen profitieren. Candida kommt im Kariesgeschehen keine ursächliche, aber durchaus eine betreibende Rolle zu.
Welche Schlussfolgerungen können nun tatsächlich aus den Ergebnissen eines mikrobiellen Speicheltests gezogen werden? Es steht außer Frage, dass eine hohe Speichelkonzentration an Mutans- Streptokokken und auch von Laktobazillen in engem Zusammenhang mit dem Auftreten von Karies stehen. Der Voraussagewert für eine mögliche Entwicklung von Karies ist allerdings nicht verbindlich. Tests auf S. mutans haben hinsichtlich der Vorhersagekraft für eine Erkrankung zwar hohe Spezifität, die Sensitivität ist aber unzureichend. Das bedeutet, dass ein negatives Ergebnis für S. mutans zwar mit Zahngesundheit gut korreliert, aber ein positiver Mutansnachweis nicht unbedingt automatisch zu einer Karieserkrankung führt. Nur für Kleinkinder zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr haben positive Testergebnisse auf S. mutans auch prädiktiven Wert.
Trotz des mangelnden Vorhersagewertes sind die S.mutans/Lactobacillus-Tests aber eine wertvolle Hilfe bei der Evaluation einer Infektion und eines damit erhöhten Risikos. So können etwa bei positiven Tests die Recallintervalle enger gehalten und so möglicherweise auftretende Läsionen bereits im Frühstadium behandelt werden. Auch in der Therapieverlaufskontrolle und bei der Motivation der Patienten zu intensiverer Zahnpflege erfüllen sie eine wichtige Aufgabe.
Pufferkapazität und Biofilmaktivität als Trigger des Krankheitsgeschehens
Noch mehr Aussagekraft bekommen die Untersuchungen wenn gleichzeitig zur Bakterienanalyse auch die Pufferkapazität des Speichels bestimmt wird. Die Fähigkeit zur Kompensation säurebedingter pH-Wert-Schwankungen ist ein wichtiger Indikator, weil er den individuellen Respons auf Säurebelastungen anzeigt. Die pufferenden Komponenten sind vor allem Hydrogencarbonate, Phosphate und Proteine. Sie sind im aktivierten Speichel, der beim Kauen freigesetzt wird, in höherer Konzentration enthalten und können so den pH-Wert-Abfall durch saure Nahrungsmittel und Getränke aber auch bakteriell gebildete Säuren bis zu einem gewissen Grad ausgleichen. Damit wirken sie einer Entmineralisierung des Zahnschmelzes und der damit verbundenen Entstehung primärer Defekte entgegen. Die Tests zeigen, ob in der aktuellen Situation die Pufferkapazität zur Verhinderung derartiger Läsionen ausreichend ist. Da die Pufferkapazität in engem Zusammenhang mit der sezernierten Speichelmenge steht, ist eine Messung von Ruhespeichel und aktiviertem Speichel (Kauen von Paraffin) als ergänzende Diagnostik zu empfehlen. Werte unter 0,3 ml/min bei nicht aktiviertem und unter 0,7 ml/min bei aktiviertem Speichelfluss zeigen ein erhöhtes Kariesrisiko an.
Weiterführende Tests werden in der Regel nicht routinemäßig angewendet, obwohl es hier bereits vielversprechende Ansätze gibt. So konnten einige neue Untersuchungen einen Zusammenhang zwischen Menge und Aktivität bestimmter Speichelproteine mit dem Auftreten von Karies zeigen. Besonders Speichel IgA reagiert sensibel auf S. mutans. Ein neuer Ansatz, der auch in Richtung der Diagnostik parodontaler Erkrankungen wegweisend werden könnte, ist die Feststellung der Biofilmaktivität. Der Level wird mittels Bioluminiszenz an definierten Loci der Zähne gemessen und liefert ein Bild des mikrobiellen Metabolismus.
Viele der Tests liefern uns wertvolle unterstützende Hinweise für Diagnose und Therapie oraler Erkrankungen. Dennoch müssen diese Ergebnisse immer im Konnex mit dem Gesamtbild als Baustein in einer Kette von weiteren Daten gesehen und interpretiert werden.
(wird fortgesetzt)