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Sind Zahnmediziner bereit für die molekularbiologische Revolution?

molekularbiologische_Tests

„Point-of-Care“: Neue molekularbiologische Tests könnten auch direkt in zahnärztlichen oder anderen Praxen zum Einsatz kommen – ohne Versand an ein Labor.

Genom, Epigenom, Transkriptom, Mikrobiom, Inflammasom, Metabolom … Die Begriffe stehen für einen grundlegenden Wandel in der Diagnostik, der auf molekularbiologischen Methoden beruht. Diese untersuchen unter anderem, wie die Erbanlagen in Zellaufbau und Stoffwechsel übersetzt werden.

Beispiele sind das Gen-Editing, also die gezielte Veränderung von DNA-Strängen zur Behandlung erblicher Erkrankungen (CRISP/Cas), oder eine maßgeschneiderte Krebstherapie mithilfe von Biomarkern. Näher am zahnärztlichen Alltag sind für die nähere Zukunft angekündigte Speicheltests, mit denen sich das individuelle Parodontitisrisiko viel exakter als bisher voraussagen lässt.

Die mit großen Datenmengen und künstlicher Intelligenz arbeitende Molekularbiologie wird also auch die Zahnmedizin verändern. Das Problem: Die zahnärztliche Praxis ist mit ihrer aktuellen Ausrichtung kaum darauf vorbereitet, an dieser Entwicklung Teil zu haben. Es mangelt an der seit Langem beschworenen medizinisch orientierten Ausbildung ebenso wie an einer mehr diagnostisch-präventiven Ausrichtung der Gebührenordnungen. Veränderung ist zwar möglich, aber aktuell – angesichts fehlender Reformwilligkeit auf verschiedenen Seiten – nicht nachhaltig erkennbar.

Die Reise könnte für die Zahnmedizin sogar in eine andere Richtung gehen, weg von der „großen“ Medizin. Beispiele nannte im vergangenen Jahr der Berufsverband Deutscher Oralchirurgen (BDO, dzw Nr. 48/2018, Seite 9). So raten einzelne Zahnärztekammern, auf systemisch wirksame Medikationen zu verzichten – wie Analgosedierung (Lachgas) oder Antihistaminika und Anti-Hypertensiva in Notfallsituationen. Zahnärzte erhalten zum Teil in Apotheken keine Medikamente, die über Antibiotika oder Schmerzmittel hinausgehen (siehe aktuelle Diskussion um Impfungen in Apotheken). Der BDO fordert im Gegenteil eine „Gleichstellung“ von Zahnmedizinern mit ihren Kollegen aus anderen medizinischen Disziplinen. Weiter gedacht erscheint es an der Zeit, die Sonderstellung von Zahnärzten in ihrer universitären Ausbildung zu beenden und diese, so weit wie es sinnvoll ist, in die medizinische Curricula zu integrieren – entsprechend dem noch immer auf Eis liegenden Entwurf zur ZapprO.

Mit den neuen molekularbiologischen Entwicklungen wird Zahnärzten und Zahnärztinnen eine Möglichkeit eröffnet, „medizinischer“ als bisher zu praktizieren. Ihr bisher überwiegend manuell ausgerichtetes Aufgabengebiet kann um wichtige oral-medizinische Leistungen erweitert werden. So steht das von der EU geförderte Diagoras-Projekt kurz vor dem Abschluss. Auf einer Kunststoffscheibe befinden sich kleine Kammern mit biochemischen Tests, mit denen neben respiratorischen Erkrankungen und Antibiotikaresistenzen auch Risiko-Indikatoren für Karies und Parodontitis bestimmt werden können – innerhalb einer Stunde in der Praxis.

Zugegeben – bis zur Praxisreife dieser oder anderer Tests wird noch etwas Zeit vergehen. Die „molekularbiologische Revolution“ ist noch nicht wirklich in der Zahnmedizin angekommen. Doch dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die ersten hilfreichen Tests für die Praxis verfügbar sind. Zahnärzte und Zahnärztinnen, aber auch ihre Standesvertretung, Kostenerstatter und KZVen, sollten die daraus entstehenden Chancen wahrnehmen. Nicht zuletzt wäre das ein wichtiger Baustein auf dem Weg zum Oralmediziner, der sich auf Augenhöhe mit anderen Medizinern befindet. Patientinnen und Patienten werden davon profitieren.