Dieser Sachverhalt hat eine wachsende Bedeutung für das allgemeine Wohlbefinden von an Demenz erkrankten Menschen, da wir mit immer mehr eigenen Zähnen immer älter werden. Somit können mehr Zähne erkranken, und die Belastung des Gesamtorganismus durch orale Entzündungsprozesse nimmt zu.
Neben lokalen auch systemische Auswirkungen
Dies führt einerseits zu schmerzhaften Beschwerden in der Mundhöhle mit negativen Auswirkungen auf das allgemeine Wohlbefinden und die Ernährung. Andererseits wissen wir heute aufgrund zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen, dass orale Infektionskrankheiten, vor allem die Parodontitis, nicht nur lokale, sondern auch systemische Auswirkungen haben können.
So beeinträchtigt die Parodontitis die Behandelbarkeit des Altersdiabetes. Dieser wiederum begünstigt das Fortschreiten der Zahnbetterkrankung. Zahnfleischentzündungen können aber auch Atemwegsinfekte auslösen oder unterstützen. Interventionsstudien haben gezeigt, dass das Auftreten von Lungenentzündungen in Altersinstitutionen um mehr als 10 Prozent gesenkt werden kann, wenn Zahnfleischentzündungen behandelt werden. Es gibt auch Hinweise, dass Zahnverlust im Alter die Gangsicherheit und die kognitive Leistungsfähigkeit zu beeinträchtigen vermögen.
Masterstudiengang in Alterszahnmedizin und Orale Medizin
An der Dresden International University startet dieses Jahr ein Masterstudiengang in Alterszahnmedizin und Oraler Medizin. Er trägt erstmals der Tatsache Rechnung, dass die Betreuung alternder Menschen nicht erst in den Alters- und Pflegeheimen beginnt, sondern in der zahnärztlichen Praxis, leben doch mehr als 90 Prozent der 65-Jährigen und Älteren zu Hause. Diese vielen Menschen bedürfen dringend einer ihren besonderen Bedürfnissen angepassten zahnmedizinische Betreuung. Diesem Paradigmenwechsel eines grundlegend erweiterten Blickwinkels auf das Altern begegnet der neue Masterstudiengang in Dresden mit wirksamen neuen diagnostischen, präventiven und therapeutischen Instrumenten für die Praxis.
In einer eigenen Studie [1] haben wir dokumentiert, dass in einer Institution für demenzkranke Menschen fast 60 Prozent der Bewohner, die eigene Zähne hatten, Karies aufwiesen. Eine Entzündung des Zahnfleischs lag bei diesen Menschen zu 85 Prozent vor. Entzündungen der übrigen Mundschleimhäute, zum Beispiel Pilzinfekte, traten bei 35 Prozent der Bewohner auf. Diese Daten waren gerade deshalb besonders alarmierend, weil die Bewohner von einer qualitativ hochwertigen Betreuung profitierten, die auch eine möglichst regelmäßige Zahn-, Mund- und Prothesenhygiene umfasste. Der letzte Zahnarztbesuch lag im Mittel 25 Monate, im Extremfall länger als 60 Monate zurück.
Maßnahmen für die Zukunft
Dieser Sachverhalt unterstreicht die Notwendigkeit, dass in Zukunft bei der Betreuung von Menschen mit Demenz auch die Zahn- und Mundgesundheit Berücksichtigung erfährt, da orale Erkrankungen das Wohlbefinden der Betroffenen deutlich zu beeinträchtigen vermögen, auch wenn dies oft nicht einfach erkennbar ist.
Eine zentrale Rolle kommt der frühzeitigen Erkennung kognitiver Einschränkungen im Alter in der ärztlichen und auch zahnärztlichen Praxis zu [2]. Bei der Diagnosestellung Demenz sollte gleich zu Beginn auch ein in der Behandlung von Demenzkranken erfahrenes zahnmedizinisches Team in die individualisierte Patientenbetreuung einbezogen werden. Hierzu bedarf es einer vertieften Ausbildung zahnmedizinischer Fachpersonen zur Betreuung mehrfach erkrankter älterer Menschen, insbesondere mit Demenz [3].
Aktuelle präventive und therapeutische Konzepte kritisch prüfen
Schließlich wäre es auch an der Zeit, die aktuellen präventiven und therapeutischen Konzepte in der Zahnmedizin in Bezug auf ihre Wirksamkeit bei alternden Menschen zu überprüfen.
Für die Erhaltung der Mundgesundheit bei Demenz ist wichtig, dass die oralen Erkrankungsrisiken frühzeitig reduziert werden, beispielsweise durch Extraktion fraglicher Zähne oder, falls indiziert, durch prothetische Maßnahmen, um die Kaufähigkeit und Beschwerdefreiheit im Mund während der stationären Betreuung einfacher und besser gewährleisten zu können. Diese Maßnahmen sollten unmittelbar nach der Diagnosestellung erfolgen, also in einer Lebensphase, in der der an Demenz Erkrankte meist noch kooperationsfähig ist und sich an eine veränderte Mundsituation gewöhnen kann.
Orale Prävention in der ambulanten Betreuung
In der ambulanten Betreuung sollte darauf geachtet werden, dass Mund- und Prothesenhygiene an die kognitive Leistungsfähigkeit des an Demenz erkrankten Menschen laufend angepasst werden und die erforderliche Unterstützung durch Angehörige und spitalexterne Dienste gewährleistet ist. Mit Abnahme der Eigenständigkeit muss die mechanische Zahn- und Mundhygiene in zunehmendem Maße durch ausreichend entzündungs- und karieshemmende Zahnpasten, -gele und -spüllösungen ergänzt beziehungsweise unterstützt werden.
Zuckerhaltige Nahrungsmittel und Getränke sollten soweit möglich auf jene Hauptmahlzeiten beschränkt werden, nach welchen Zahn- und Mundhygiene erfolgen kann. Schließlich wird auch der betreuende Zahnarzt mit seinem Team, bestehend aus Dentalhygienikerin und/oder Prophylaxeassistentin, seine präventiven und therapeutischen Leistungen der sich verändernden Situation des Demenzkranken und den sich ebenfalls wandelnden Bedürfnissen der betreuenden Personen laufend anpassen.
Orale Prävention in der stationären Betreuung
Beim Übergang in eine stationäre Betreuung sollten anhand einer Eintrittsuntersuchung die oralen Gesundheitsrisiken bestimmt und entsprechend ein oraler Präventionsplan in Zusammenarbeit von Zahnarzt, Arzt und Pflegenden erstellt werden. Dieser umfasst einerseits wiederkehrende Kontrollen durch den Zahnarzt. Dieser kann auch einfache therapeutische Maßnahmen in der Institution durchführen, zum Beispiel die Inaktivierung von kariösen Läsionen mit Silbernitrat.
Regelmäßige bedarfsgerechte Zahnreinigungen
Die Dentalhygienikerin und/oder die Prophylaxeassistentin führen in der Institution regelmäßig und bedarfsgerecht Zahnreinigungen durch und schützen die Zähne mit hochkonzentriertem Fluorid- oder Chlorhexidinlack vor Erkrankung. Sie unterstützen zudem die Pflegenden bei der Etablierung einer gewissenhaften Reinigung der Zähne und der Mundschleimhäute mindestens einmal pro Woche mit hochfluoridhaltiger Zahnpaste (5 Milligramm/Gramm Paste), soweit dies einmal täglich nicht möglich ist.
Abnehmbarer Zahnersatz sollte einmal täglich mit pH-neutraler Seife gereinigt und nach jeder Mahlzeit abgespült werden. Abnehmbare Prothesen werden nachts besser nicht getragen und sollten dann zur Desinfektion trocken gelagert werden. Dadurch werden auch Bakterienbeläge deutlicher sichtbar und können gezielter entfernt werden. Wenn die Möglichkeit besteht, lohnt es sich, abnehmbaren Zahnersatz mit Initialen und Geburtsdatum des Bewohners zu beschriften.