Eines ist sicher: TI-Turbo-Jens-Spahn ist schon bald nicht mehr Herr im BMG. Die Erleichterung in der Standespolitik ist allenthalben zu spüren. So fristen- und sanktionsgetrieben wie unter Spahn waren die Zeiten selten.
Positionierung zur Nach-Spahn-Ära
Ein Gesetz folgte dem nächsten und stets lief die Standespolitik einen Schritt hinterher und versuchte, Schlimmeres zu verhindern. Mit verhaltenem Erfolg. Der weitere Umbau des Gesundheitswesens zum Gesundheitsmarkt hatte hohe Priorität unter Spahn. So auch die Telematikinfrastruktur. Nach jahrelangem Dornröschenschlaf zündete Spahn den TI-Turbo: Übernahme der Gematik und eine Frist folgte der nächsten Sanktion.
Nach dem Machtwechsel in Berlin versucht die Standespolitik, jetzt wieder einen Fuß in die Tür zum BMG zu bekommen – gerade auch in puncto TI. Der 125. Deutsche Ärztetag hat gerade allein zehn Beschlüsse zur TI und Digitalisierung gefasst. Und freundlich waren die gewählten Worte nicht: keine Prüfung auf Praxistauglichkeit, erhebliche Fehlentwicklungen – gefordert wird mehr Fachexpertise statt politischer Basta-Entscheidungen – ein TI-Moratorium. Klare Worte.
Auch die KZBV positioniert sich. Martin Hendges, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KZBV spricht von „Chaos“ bei der Einführung der eAU. Der Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Eßer, verlangt einen „Mehrwert“ der TI für die Praxen. Und die Vorstandsvorsitzende des GKV-SV, Dr. Doris Pfeiffer, fordert statt „eines Durchregierens mittels Anteilsmehrheiten“ müsste die Selbstverwaltung wieder weit mehr in das Digitalisierungsprojekt eingebunden werden.
In der Gematik versucht man indes, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Da wird nun schnell mal Volksnähe demonstriert und eine Kooperation mit der Ärztekammer Berlin aus dem Hut gezaubert. Dazu kommt der neue TI-Atlas der Gematik. „Mit dem TI-Atlas sorgen wir für noch mehr Transparenz hinsichtlich unserer Arbeit und zeigen Ihnen, was wir bereits erreicht haben“, so Dr. med. Markus Leyck Dieken, Geschäftsführer der Gematik. Die „Executive Summary“ kommt zum Schluss: „Die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens steht am Ende des Jahres 2021 an einer Trendwende.“ Guckt man sich die Zahlen des TI-Atlas einmal genauer an, klingt das nach einem Versuch von Leyck Dieken, im Amt zu bleiben, wenn sein Spezi Jens Spahn es nicht mehr ist.
Die Zahlen der repräsentativen Befragung unter den Heilberuflern und Krankenhäuser wurden von IGES Institut gewohnt geschickt aufbereitet. So verfügten zum Ende des dritten Quartals 2021 93 Prozent der Arztpraxen über einen TI-Anschluss und bei den Zahnarztpraxen sogar 97 Prozent. Doch zwischen Haben und Handeln sieht es hier schon anders aus. Lediglich 31 Prozent der Arztpraxen sind so weit ausgestattet, dass wenigstens eine Anwendung der TI vollumfänglich einsatzbereit wäre, 29 Prozent bei den Zahnarztpraxen und nur 5 Prozent der Krankenhäuser.
Bei den Anwendungen und Diensten der TI ist die Diskrepanz von „Bekanntheit“ und „Nutzung“ noch deutlicher. Die bekannteste Anwendung ist mit 90 Prozent die elektronische Patientenakte. Ihre Nutzung liegt bei den (Zahn-)Arztpraxen bei 3 Prozent. Ähnlich sieht es mit dem E-Mail-Dienst KIM aus. Die Bekanntheit von KIM in Praxen und Krankenhäuser ist mit rund 80 Prozent sehr hoch. Doch genutzt wird er kaum: 8 Prozent der Arztpraxen, 3 Prozent der Zahnarztpraxen nutzen KIM.
Zwischen Anspruch und TI-Wirklichkeit klafft eine Riesenlücke. An der Politik aus Fristen und Sanktionen hat sich bislang aber noch nichts geändert. Trotz des aktuellen Fiaskos bei der Einführung von eAU und E-Rezept, setzen die Gematik und das BMG auf ihre Einführung zum 1. Januar 2022, auch die Einführungsphase werde nicht verlängert.
Bleibt nur das Hoffen auf die Ära Nach-Spahn.