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EU-Binnenmarkt: Wenn Brüssel die Deregulierung will

Wir haben uns schnell an die Annehmlichkeiten und Vorteile des europäischen Binnenmarkts und der in vielen EU-Ländern einheitlichen Währung gewöhnt. Reisen fast ohne Grenzkontrollen dank Schengen-Abkommen, kein Umtausch und Umrechnen mehr in den beliebtesten Urlaubsländern, viele Waren und Dienstleistungen sind im Verhältnis günstiger als früher zu bekommen.

Natürlich treiben uns Ängste und Sorgen mit Blick auf die Banken- und Eurorettung, und in Zeiten von Flüchtlingsströmen und Terrorismusgefahr wären Grenzkontrollen für viele sinnvoll. Und können wir wegen des Brexits künftig noch so einfach nach Großbritannien reisen? Aber im Alltag wird das schnell verdrängt.

Entscheidungen aus Brüssel werden unübersichtlich

Das gilt auch für die vielen Gesetze und Verordnungen, die in Brüssel oder Straßburg auf europäischer Ebene entstehen und dann zu deutschem Recht werden. Vieles davon erscheint für die Zahnarztpraxis oder das Dentallabor weit weg, die Warnungen und Diskussionen bei Zahnärztekammern und Zahntechnikerinnungen vor Brüsseler Aktionismus empfinden viele als Bedenkenträgerei und weit hergeholt. Auch, weil laut EU-Vertrag das Gesundheitswesen in nationaler Hoheit bleiben und nicht EU-Regelungswahn unterliegen soll.

Wenn dann Bundeszahnärztekammer, Bundesärztekammer und Council of European Dentists vor den Folgen neuer Pläne und Gesetzesvorhaben der EU warnen, wird das oft überlesen und selten ernst genommen. Man behält ja auch kaum den Überblick, an wie vielen Stellen und mit welchen Hebeln da eventuell bedrohliche Aktivitäten auf EU-Ebene entwickelt werden, die am Ende die eigene Berufsausübung – von der eigenen Ausbildung über die des Fachpersonals, die Praxisführung, die  Therapiefreiheit (Amalgam, siehe EU-Quecksilberverordnung), den Patientenschutz bis hin zur Abrechnung oder zur Zulassung von Kollegen aus anderen EU-Ländern – berühren könnten. Schon die vielen Neuregelungen in Deutschland sind ja kaum nachzuhalten.

Gerade in Deutschland mit seinem qualitativ hoch angesiedelten und in Breite und Tiefe sehr leistungsfähigen, sehr stark national regulierten Gesundheitswesen (haben Sie schon einmal versucht, einem britischen oder italienischen Kollegen das deutsche GKV-System zu erklären? Für "Kassenzahnärztliche Vereinigung" gibt es gar keine englische Übersetzung.) gäbe es aber viel zu verlieren, realisierten die EU-Wettbewerbsapostel ihre Deregulierungspläne.

Untergrenze bei Honoraren

Dass sie es ernst meinen, zeigt die Klage der EU-Kommission vor dem Europäischen Gesetzhof gegen die Honorarordnung für Architekten und Ingenieuren mit ihren Mindest- und Höchstsätzen. Auch die Steuerberater standen mit ihrer Honorarordnung schon im Fokus, konnten sich mit einigen Änderungen aber dem Verfahren vorerst entziehen.

Eine Untergrenze bei den Honoraren, zum Beispiel definiert über den Steigerungsfaktor, ebenso wie eine nur gut begründet zu überschreitende Höchstgrenze, erscheinen Ärzten und Zahnärzten im Ausgleich mit Patienten und in Übereinkunft Kostenerstattern in einer Gebührenordnung durchaus sinnvoll und gerecht. Aber gerade Untergrenzen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Sicht auch des EuGH nicht zulässig und wettbewerbswidrig. Da können Kammerversammlungen und Verbände beschließen, was sie wollen.

Die Sorge, die die ärztliche/zahnärztliche Standespolitik bei all diesen EU-Bestrebungen umtreibt, ist das Ausweiten einmal gelockerter Berufsregelungen oder von Urteilen in anderen Bereichen auch auf das Gesundheitswesen. Diese Sorge ist nicht unbegründet. Wenn auch die EU-Kommission mit Deregulierungsversuchen im Gesundheitswesen bislang am Ende noch gescheitert ist, kleine Schritte erreicht sie doch immer wieder. Zur Not per Gericht.