Stichpunkt Anästhesie: Deep Scaling für den Patienten nur zumutbar unter Schmerzausschaltung
Eine risikolose Schmerzausschaltung ist auch bei einer Parodontitistherapie die Basis einer erfolgreichen zahnärztlichen Behandlung. Durch die Leitungs- und die Infiltrationsanästhesie wird die Dispositionsfähigkeit des Patienten nach Abschluss der Behandlung stark eingeschränkt.
Die weltweit gelehrte und angewandte Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior und die Infiltrationsanästhesie kann heute sehr weitgehend durch die Einzelzahnanästhesie – gemäß dem Stand von Klinik, Wissenschaft und Technik – substituiert werden.
Bei älteren Patienten mit weitgehend erhaltenem Gebiss lautet die häufigste Diagnose: Parodontitis marginalis, behandlungsbedürftig. Überwiegend sind bakteriell besiedelte Ablagerungen am Zahnhals und zwar sowohl sub- als auch supragingival die Gründe parodontaler Erkrankungen. Die bekannten Erscheinungen mit Entzündungen, Rückbildung des Gingivalsaums und fortschreitendem Verlust von Stützgewebe bis hin zum Zahnverlust werden primär durch die Ansiedlung pathogener Keime im subgingivalen Bereich ausgelöst [1]. Die Therapie einer akuten Parodontitis erfordert mehrere Schritte: primär die Beseitigung der supra- und subgingivalen Anlagerungen an die Zahnhartsubstanz und fallweise eine antibiotische Behandlung möglicherweise vorhandener aerober und anaerober Keime.
Die nichtchirurgische Parodontitisbehandlung lässt sich wegen ihrer hohen Erfolgsaussicht und ihres relativ geringen Aufwands leicht in die tägliche Praxis integrieren. Bei richtiger Indikationsstellung wird sie deshalb als wirksame Methode zur Behandlung und Kontrolle der Parodontitis allen Praktikern empfohlen.
Zumutbar für den Patienten ist der zahnmedizinische Behandlungsschritt dieses Therapiekonzepts – Deep Scaling – nur unter Schmerzausschaltung, in der Regel durch Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior und Infiltrations- beziehungsweise Terminalanästhesie. Die Beeinträchtigungen des Patienten nach Abschluss der Kürettage sind deutlich festzustellen – und zu einem großen Teil durch die Lokalanästhesie bedingt.
Die Wirkung der oben genannten Lokalanästhesie ist deutlich länger, als für die Behandlung – pro Quadrant 20 bis 30 Minuten – medizinisch erforderlich ist. Als alternative Methode der Schmerzausschaltung könnte die intraligamentäre Anästhesie in Betracht kommen, die aber auch aktuell nicht als primäre Lokalanästhesiemethode gelehrt wird [2–3]. In letzter Zeit wurden wieder eine Reihe von Veröffentlichungen [4–11] über die Schmerzausschaltung durch intraligamentale Injektionen publiziert, die die intraligamentäre Anästhesie (ILA) als Möglichkeit auch bei Behandlungen von Parodontopathien sinnvoll erscheinen lässt.
Im vorliegenden Fall stand eine vollständige Kürettage bei einem Patienten an, der nach Abschluss der beiden geplanten Behandlungssitzungen sofort seine berufliche Tätigkeit (Dozententätigkeit) wieder aufnehmen wollte. Der Patient war mit der Methode der intraligamentären Anästhesie vertraut, sodass diese Alternative der Lokalanästhesie sehr gut zwischen Behandler und Patient – in diesem Falle Proband genannt– besprochen und festgelegt werden konnte.
Material und Methode
Für die Behandlung wurden zwei Sitzungen geplant: Die Quadranten 1 und 2 in der ersten Sitzung und in der zweiten die Quadraten 3 und 4 – auf Wunsch des Probanden, um die Alternative zur Leitungsanästhesie besonders deutlich zu erleben. Mit Ausnahme des extrahierten 28 war das Gebiss vollständig saniert. Die bereits vorher gemessene Taschentiefe variierte zwischen 2 und 7 Millimeter (mm).
Für die intraligamentalen Injektionen wurde ein handelsübliches Instrumentarium, eine Dosierhebel-Spritze (Citoject), und systemadaptierte Kanülen 0,3/12 mm ausgewählt. Injiziert wurde 4-prozentige Articainhydrochlorid-Lösung mit 1:200.000 Adrenalinzusatz (Ultracain DS), um im Gingivalsaum durch die intraligamentalen Injektionen eine deutliche Ischämie und damit eine geringere Blutungsneigung zu erreichen [12]. Die intraligamentalen Injektionen erfolgten nach dem veröffentlichten Stand der ZHK [5, 7, 13–14]. Sie wurden jeweils für alle Zähne eines Quadranten sukzessive durchgeführt.
Pro Wurzel wurden etwa 0,15–0,2 Milliliter (ml) Anästhetikum entsprechend den anatomischen Gegebenheiten intraligamental injiziert. Die Injektion erfolgte pro Quadrant Zahn für Zahn jeweils von mesial nach distal. Nach Abschluss der Injektion schloss sich unverzüglich die Entfernung der subgingivalen Konkremente an. Die Wurzelglättung erfolgt mechanisch mit unterschiedlichen Instrumenten, sowohl manuell als auch mit maschineller Unterstützung. Für die Belagsentfernung wurde neben Handinstrumenten (Scalern und Küretten) ein Ultraschallgerät verwendet.
Nach Abschluss der Behandlung des 1. Quadranten wurden die Zähne des 2. Quadranten anästhesiert und unverzüglich anschließend behandelt. In der zweiten Sitzung wurden die Quadranten 3 und 4 unter vergleichbaren Bedingungen behandelt, wobei die Erfahrungen aus der ersten Sitzung berücksichtigt wurden.
Ergebnisse
Mittels der verwendeten Dosierhebelspritze wurde der desmodontale Gewebswiderstand bei der intraligamentalen Injektion des Anästhetikums leicht überwunden. Ohne Latenzzeit war nach Aussage des Probanden die Anästhesie nach Abschluss der intraligamentalen Injektionen sofort ausgeprägt, sodass – ohne Unterbrechung – die Behandlung unverzüglich beginnen konnte.
Vom Probanden wurde kein Injektionsschmerz registriert, im Gegensatz zu Infiltrationsanästhesien vor PAR-Behandlungen, von denen der Proband aus eigener Erfahrung wusste, dass dort der Injektionsschmerz ausgeprägt ist. Die Injektionszeit war – wie vom Probanden am „Klicken“ des Spritzensystems leicht mitzuverfolgen – in der 1. Sitzung pro Wurzel etwa 15 bis 20 Sekunden pro 0,2 ml appliziertes Anästhetikum. Der Verbrauch an Anästhetikum für den Oberkiefer war ≤ drei Zylinderampullen, das heißt ca. 5 ml oder durchschnittlich 0,3 ml pro Zahn.
Die erreichte intraligamentäre Anästhesie war ausgeprägt und tief; die Behandlung wurde vom Probanden nur als eine mechanische Bearbeitung seiner Zähne wahrgenommen. Die Anästhesiedauer betrug – wahrscheinlich wegen der relativ großen Menge applizierten Anästhetikums – etwa 45 Minuten sowohl für den 1. als auch für den 2. Quadranten. In dieser Zeit konnte die Behandlung problemlos durchgeführt werden, Nachinjektionen waren nicht erforderlich.
Nach Abklingen der Anästhesie wurde vom Probanden im 1. und im 2. Quadranten an den Zähnen 17 und 26 ausgeprägter Druckschmerz festgestellt. Dieser war nach etwa 24 Stunden deutlich geringer und nach 48 Stunden vollständig abgeklungen. Diese Feststellung deckt sich mit älteren Publikation, wo von unterschiedlichen Autoren [5, 15–16] von diesen Nebenwirkungen berichtet wurde. Auch im Frontzahnbereich war leichter Druckschmerz zu spüren, der nach etwa 24 Stunden vollständig abgeklungen war. Hier stellt sich die Frage, ob die Kürettage oder die ILA die Ursache dafür war.
Durch die erkennbare Ischämie des marginalen Parodonts sofort nach der intraligamentalen Injektion war die Blutungstendenz reduziert, aber durchaus gegeben.
In der zweiten Sitzung (3. und 4. Quadrant) wurde die Injektionszeit verlängert und die injizierte Menge Anästhetikum reduziert. Insgesamt wurden knapp zweieinhalb Zylinderampullen injiziert, was etwa 0,25 ml pro Zahn entspricht. Die Behandlung erfolgte unverzüglich nach abgeschlossener Injektion; die Anästhesie war auch diesmal ohne Latenzzeit sofort tief ausgeprägt. Kurz nach Abschluss der Behandlung war die Anästhesie abgeklungen, und der Patient war ohne jegliche Beeinträchtigung, er konnte uneingeschränkt seinen beruflichen Aufgaben nachgehen.
Bei den Zähnen 37 und 47 verspürte der Proband noch etwa zwölf Stunden einen leichten Druckschmerz, der am folgenden Tag restlos abgeklungen war.
Diskussion
Die Ursache des ungewünschten Druckschmerzes nach Abklingen der Anästhesie liegt wahrscheinlich in der relativ schnellen Injektion, das heißt zu kurzer Injektionszeit. Die registrierten ungewünschten Effekte lassen sich dadurch erklären, dass während der Injektion ein Flüssigkeitsvolumen in einen Raum gepumpt wird, der bereits vollständig ausgefüllt ist. Da Flüssigkeiten nicht kompressibel sind, kommen als Reaktionen primär nur eine Dehnung des Alveolarfachs oder eine Verlagerung des parodontalen Flüssigkeitspolsters nach Art eines hydraulischen Druckausgleichs in Betracht [17]. Es ist auch möglich, dass der Zahn durch das injizierte Volumen aus der Alveole gehoben wird, was die Ursache für die auch in der Literatur beschriebenen Vorkontakte sein kann.
Um diesen ungewünschten Effekt zu vermeiden, bietet es sich an, die Injektionszeit zu verlängern. In jüngsten Vergleichsuntersuchungen [9, 13, 18–20] wird für die Injektion eine Zeit von ca. 20 Sekunden für die 1., von > 20 s für die 2. und ≥ 25 s für de 3. Wurzel beispielsweise der angesprochenen Molaren 17 und 26 empfohlen. Dies ist im Prinzip mit allen ILA-Spritzensystemen möglich, jedoch ist es bei Dosierhebel- und Dosierradspritzen leichter, die Zeit zu kontrollieren.
Bei den in den jüngeren Publikationen erwähnten Dosierradspritzen ist es für den Behandler zusätzlich auch noch möglich, bei der Injektion den zu überwindenden Gegendruck direkt in seinem Daumen oder Zeigefinger zu spüren, da diese Spritzen keine integrierten Hebel zur Druckverstärkung haben. Die Übersetzung erfolgt über ein Dosierrad, das die vom Behandler aufgebaute Injektionskraft im Verhältnis 1:5,5 verstärkt und direkt – ohne zwischengelagerte Hebel – über eine Zahnstange auf die Zylinderampulle und die damit verbundene Injektionsnadel überträgt (Abb. 2). Zusätzlich bietet dieses Dosierradsystem die Möglichkeit, nach jeder Injektion den Druck durch Zurückdrehen des Dosierrades wieder abzubauen, damit kein Anästhetikum – ungewünscht – in den Mund des Patienten tropft [21].
#Bei den Behandlungen am 3. und 4. Quadranten wurden diese Erfahrungen des Probanden umgesetzt und die Injektionszeit entsprechend verlängert, die Injektion war aber offensichtlich immer noch etwas zu schnell. Der Anästhesieeffekt war von vollständig ausreichender Anästhesietiefe und -dauer. Das Empfindungsvermögen war nach etwa 30 Minuten post operationem wieder vollkommen ausgeprägt; lediglich die relativ große Menge injizierten Anästhetikums beeinträchtigte noch eine kurze Zeit das Wohlbefinden des Patienten.
Wahrscheinlich wäre es möglich gewesen, einen ausreichenden Anästhesieeffekt auch mit weniger Anästhetikum zu erreichen. Der bekannte Ausbreitungsweg bei intraligamentalen Injektionen durch den spongiösen Alveolarknochen (Abb. 3) führt dazu, dass auch benachbarte Zähne anästhesiert werden [15].
Die Dispositionsfähigkeit des Probanden war durch die intraligamentäre Anästhesie in keiner Weise eingeschränkt. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine Behandlung des 3. und 4. Quadranten in derselben Sitzung unter Leitungsanästhesie kaum möglich gewesen wäre und gegebenenfalls zu deutlichen Einschränkungen der Mastikation und Artikulation wegen der bekannten – und nicht gewünschten – Taubheit von Zunge, Lippen und Wange geführt hätte.
Das Risiko einer Bakteriämie durch die intraligamentale Injektion ist sicher nicht größer zu bewerten als durch die Maßnahmen, die im Sulcusbereich durchgeführt wurden und die zu den bekannten Blutungen führen.
Für den Patienten bedeutet die PAR-Behandlung unter ILA eine deutlich geringere Einschränkung seiner Dispositionsfähigkeit. Die Behandlerin/der Behandler hat die Sicherheit einer – ohne Latenz – sofort einsetzenden, tiefen Anästhesie; die bei den konventionellen Methoden der Lokalanästhesie bekannte Möglichkeit von Anästhesieversagern, die bei der Leitungsanästhesie mit 15 bis 20 Prozent angegeben wird [7, 18], ist nicht gegeben.
Auch nach der zweiten Sitzung – beide Unterkieferquadranten – war der Patient nach Abschluss der Behandlung sofort in der Lage, seinen beruflichen Verpflichtungen (Dozent an der WAK), uneingeschränkt nachzugehen, was nach zwei Leitungsanästhesien sicher nicht möglich gewesen wäre. Da aus medizinischer Sicht eine Parodontitisbehandlung aller vier Quadranten in einer Sitzung angestrebt wird, sollten die beschriebenen Erfahrungen bei der erforderlichen Lokalanästhesie mit in die Betrachtung und die Entscheidung über die sinnvollste – den Patienten schonende – Schmerzausschaltung einbezogen werden.
Schlussfolgerung
Die intraligamentäre Anästhesie ist eine wirkungsvolle Methode der Schmerzausschaltung auch vor der Behandlung diagnostizierter Parodontitis unterschiedlicher Form. Mit einer weiteren Schädigung des Parodontiums ist bei lege artis durchgeführter intraligamentärer Anästhesie nicht zu rechnen.
Die Beeinträchtigung der Patienten durch die intraligamentäre Anästhesie zur Schmerzausschaltung vor der durchzuführenden Kürettage und Wurzelglättung ist minimal; die Dispositionsfähigkeit nach Abschluss der Behandlung ist nicht eingeschränkt. Bei größeren chirurgischen Eingriffen, beispielsweise einer offenen Kürettage, ist die Infiltrations- oder die Leitungsanästhesie nach wie vor angezeigt.
Lothar Taubenheim, Erkrath
(wird fortgesetzt)
Literatur
[1] O’Leary, T. J.: The impact of research on scaling and root planing. J Periodontal 1986; 57: 69-75.
[2] Brandau, R.:Angst vor der intraligamentären Anästhesie – beim Patienten oder Behandler? ZMK, 1994 (2); 10: 48-49.
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[4] Dirnbacher, T., Glockmann, E., Taubenheim, L.: Welche Anästhesie ist die richtige. Zahnärztl Mitt, 2003; 23: 44-51.
[5] Glockmann, E., Taubenheim, L.: Die intraligamentäre Anästhesie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart – New York, 2002.
[6] Glockmann, E., Dirnbacher, T. Taubenheim, L.: Die intraligamentäre Anästhesie – Alternative zur konventionellen Lokalanäs-thesie? Quintessenz, 2005; 56, 3: 207-216.
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[14] Zugal, W.: Die intraligamentäre Anästhesie in der zahnärztlichen Praxis. Zahnärztl Mitt, 2001; 91, 46-52.
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[19] Schulz, D.: Per Diffusion statt Druck ins Alveolarfach. DZW, 2000; 36: 20.
[20] Weber, M.: Reduzierung der unerwünschten Nebeneffekte bei der zahnärztlichen Lokalanästhesie unter besonderer Berück-sichtigung der Erfordernisse für endodontische Maßnahmen. Diss, Jena (2005).
[21] Taubenheim, L.: Statusbericht: Intraligamentale Terminalanästhesie. ZWR, 2005; 9: 404-413.