Befestigen – der entscheidende Zug
Mit der vollkeramischen Restauration geriet die adhäsive Befestigung in den Fokus der Zahnmedizin. Hierbei wird die Erfolgssicherheit von mehreren Faktoren beeinflusst – von der langzeitstabilen Retention, der Versieglung des Randspalts und von der Gewährleistung einer ausreichenden Lichtdurchlässigkeit, besonders bei transparenten Keramiken. Die Adhäsivtechnik erlaubt minimal-invasive Restaurationsformen und somit den Erhalt von Zahnhartsubstanz, ermöglicht die Stabilisierung von verbliebenem Schmelz und Dentin und initiiert einen innigen Verbund zwischen Restauration und Zahn. Als Herausforderung bleibt der eingeschränkte Indikationsbereich, da eine sichere Kontaminationskontrolle des Arbeitsfelds Voraussetzung für eine erfolgreiche adhäsive Befestigung ist.
„Kick-off Day 2023“ in Düsseldorf
Auf dem „Kick-off Day 2023“ der Cerec Masters am 1. April in Düsseldorf – unter der Leitung von Dr. Andreas Kurbad (Viersen) als Webinar durchgeführt und somit bundesweit auf digitalen Endgeräten online zu verfolgen – bildete die adhäsive Befestigungstechnik von Silikat- und Zirkonoxidkeramiken den Auftakt.
Oberarzt Dr. Uwe Blunck, Charité Universitäts-Zahnmedizin Berlin, führte die Teilnehmer an den heimischen Bildschirmen mit dem Thema „Einfacher Befestigen ohne klassisches Bonding“ durch das Prozedere der neuen Befestigungsmedien für konservierende und prothetische Restaurationen aus Vollkeramik. Die unterschiedliche Struktur und Zusammensetzung der gebräuchlichen Vollkeramiken erfordert jeweils ein materialspezifisches Vorgehen zur Erzielung eines dauerhaften adhäsiven Verbunds.
Allen Werkstoffen – ob Glaskeramik, Lithiumdisilikat, zirkonoxidverstärktes Silikat oder Zirkonoxide – ist gemein, dass die Klebefläche mikromechanisch oder chemisch angeraut und dadurch vergrößert wird. Im zweiten Schritt wird die nun reaktive Klebefläche mit einem auf das Klebesubstrat abgestimmten Haftvermittler (Primer, adhäsive Monomere) konditioniert, der wiederum die chemische Bindung zu den Befestigungskunststoffen herstellt. Einige Befestigungskunsttstoffe enthalten bereits adhäsive Monomere (Phosphatmonomer, MDP), sodass auf geeigneten Substraten, zum Beispiel bei Oxidkeramik, eine vorangehende Primer-Applikation entfällt.
Sind 3-Flaschen-Systeme out?
Für das adhäsive Befestigen von Keramikrestaurationen wurden über viele Jahre Mehrflaschen-Adhäsive als sogenannter „Gold-Standard“ empfohlen. Der Erfolg hing damit zusammen, dass zum Beispiel mit Syntac, OptiBond FL und ART-Bond eine effiziente Monomermischung erzielt wurde. Der eigentliche Grund war jedoch, dass diese Adhäsivsysteme in der Anwendung nicht techniksensitiv waren.
Durch den zum Teil extrem hohen Wassergehalt (zum Beispiel 48 Prozent in Syntac Adhesive) war das „Post-Etch-Management“ auf Dentin leicht zu bewerkstelligen. Unabhängig vom Trocknungsgrad der Kollagenfasern besaßen diese Adhäsive eine eingebaute „Rewetting“-Funktion und waren somit sehr sicher in der Anwendung. Das separat durchzuführende „Rewetting“ mit Wasser konnte sich nie durchsetzen und ist daher nicht mehr empfehlenswert.
In der adhäsiven Befestigung wurde lange ein Aspekt übersehen: So gering die Techniksensitivität dieser Mehrflaschen-Bondings auch ist, waren sie durch relativ visköse Bonding-Agents charakterisiert. Deren dünnes Verblasen in der Kavität war kaum möglich. Im Falle einer separaten Polymerisation wurden sehr leicht „Poolings“ generiert, die das Gesamtergebnis gefährdeten, wenn die Restauration nicht mehr in die finale Position „rutschen“ konnte.
Aufgrund dessen polymerisierten viele Behandler das Bonding nicht, was aber eine weitere Herausforderung auslöst: Bekommt man genug Licht durch die Keramik, um das Bonding dann auch wirklich durchzuhärten? Das kann zwar mit sehr langen Polymerisationszeiten meist annähernd kompensiert werden; eine komplette Polymerisation der „Resin tags“ im Dentin ist jedoch eine Illusion.
Die effektivste Versieglung der Dentinoberfläche wird durch das sogenannte „Immediate Dentin Sealing“ erreicht. Hierbei wird das Dentin bereits in der ersten Sitzung adhäsiv versiegelt und somit alle oben genannten Probleme in einem Schritt beseitigt.
Aufgrund der beschriebenen Problematik zur Schichtstärke des separat polymerisierten Bondings sowie der mittlerweile anerkannten, sehr geringen Techniksensitivität der neuen Universaladhäsive (auch hier kein Rewetting nötig) sind diese mittlerweile nicht nur in der direkten Technik, sondern vor allem auch in der indirekten Technik erste Wahl. Der größte Vorteil beim adhäsiven Befestigen ist die Tatsache, dass man Universaladhäsive aufgrund ihrer niedrigen Filmschichtstärke jederzeit dünn genug verblasen kann, um sie sicher und separat zu polymerisieren.
Wird die Dentinoberfläche wie beschrieben versiegelt, werden postoperative Hypersensitivitäten und Aufbissempfindlichkeiten praktisch komplett ausgeschlossen und endodontische Komplikationen treten signifikant seltener auf.
Universaladhäsive lösen 3-Flaschen-Systeme ab
Universaladhäsive sind inzwischen eine gute Alternative zu konventionellen Mehrflaschen-Adhäsiven. Universaladhäsive enthalten ein Phosphatmonomer (MDP) und sind mild ätzend (pH 2). Kollagenfasern werden nicht komplett freigelegt, sondern es verbleiben Hydroxylapatitkristalle um die Kollagenfibrillen. MDP ermöglicht eine stabile chemische Bindung zum Kalzium des Dentins; dadurch wird die Beständigkeit des Dentin-Bondings im wässrigen Milieu verbessert. Universaladhäsive mit MDP sind für indirekte Restaurationen freigegeben und verbinden die Substrate Schmelz sowie Dentin mit Keramik und Metall.
Selektive Schmelzätzung
Die selektive Ätztechnik verbindet die Vorzüge der Phosphorsäure-Ätzung des Schmelzes mit der milden Dentinkonditionierung mit sauren Monomeren. Damit wird die Schwachstelle der Selbstkonditionierung – die geringe Ätzwirkung im Schmelz – korrgiert. Eine Ätzung des Dentins mit Phosphorsäure über den Zeitraum der Schmelzätzung vor der Applikation des selbstätzenden Primers muss vermieden werden, weil die Kontamination zu einer Verschlechterung der Dentinhaftung führt, zum Beispiel an zervikalen Dentinrändern von Klasse-II-Restaurationen.
Die Kombination aus selektiver Schmelzätzung und einem Universaladhäsiv ist heute der ideale Weg, einen dauerhaften Verbund an der Zahnhartsubstanz zu erzeugen. Ferner bieten Universaladhäsive eine chemische Verbindung zum Dentin und helfen, die Fehleranfälligkeit bei Dentin-Bonding zu reduzieren. Voraussetzung ist jedoch eine kontaminationsfreie Applikation von Adhäsiv und Befestigungskomposit.
Selbsthaftende Befestigungskomposite
Die oben aufgeführten Probleme beim adhäsiven Einsetzen von Kronen und Brücken treten in den Hintergrund, wenn ein selbsthaftendes (= selbstadhäsiv) Befestigungskomposit zum Einsatz kommt. Mit Universal-Befestigungswerkstoffen wie Calibra Universal, Clearfill SA oder RelyX Universal stehen geeignete Materialien zur Verfügung. Bei den selbstadhäsiven Befestigungskompositen ist eine Vorbehandlung mit Phosphorsäure und Bonding nicht erforderlich. Die Säurewirkung der sauren Monomere ist jedoch weniger ausgeprägt als bei Phosphorsäure. Durch die höhere Viskosität findet kaum eine Diffusion in die Tiefe statt.
Ein Universal-Befestigungskomposit (etwa RelyX Universal) kann im adhäsiven Modus, also mit Bonding Agent (zum Beispiel Scotchbond Universal Plus), verwendet werden.
Adhäsives Befestigen – „step by step“ mit Universaladhäsiv
Universaladhäsiv – Plan A: „Selective Etch“ (mit freiliegendem Dentin)
(zum Beispiel AdheSE Universal, Prime&Bond active, Scotchbond Universal Plus)
Arbeitsschritt: Zeitaufwand (min:sek)
- Entfernen des Provisoriums und Reinigen der Kavität: 02:00
- Kofferdam: 05:00 – 10:00
- Einpassen der Restauration: 01:00 – 10:00
- Vorbehandlung Keramik mit Flusssäure und Silan, verblasen: 03:00 – 08:00
- Selektive Schmelzätzung: 00:30
- Absprayen: 00:10
- Trocknen zur Visualisierung des Ätzmusters: 00:10
- Adhäsiv auftragen, evtl. im Dentin einmassieren: 00:30
- Adhäsiv mit Luftbläser sanft verblasen, trocknen: 00:05
- Adhäsiv polymerisieren: 00:20
- Applikation des Befestigungskomposits: 00:20
- Inlay in Endposition bringen, Überschüsse entfernen und Klebefuge mit Glyzeringel abdecken: 03:00
- Photopolymerisation (dual-härtendes/lichthärtendes Komposit): 02:00 – 04:00
- Überschussentfernung mit Scaler: 00:30
- Ausarbeitung mit Finierstreifen und Finierscheiben: 05:00
- Fluoridtouchierung: 00:30
Universaladhäsiv – Plan B: „Etch & Rinse“ (mit freiliegendem Dentin)
(zum Beispiel AdheSE Universal, Prime&Bond active, Scotchbond Universal Plus)
Arbeitsschritt: Zeitaufwand (min:sek)
- Entfernen des Provisoriums und Reinigen der Kavität: 02:00
- Kofferdam: 05:00 – 10:00
- Einpassen der Restauration: 01:00 – 10:00
- Vorbehandlung Keramik mit Flusssäure und Silan, verblasen: 03:00 – 08:00
- Selektive Schmelzätzung (wo möglich, i.d.R. okklusal): 00:15
- Ätzung der restlichen Kavität (i.d.R. Dentin plus approximaler Schmelz): 00:15
- Absprayen: 00:10
- Trocknen zur Visualisierung des Ätzmusters: 00:10
- Adhäsiv auftragen, evtl. im Dentin einmassieren: 00:30
- Adhäsiv mit Luftbläser sanft verblasen, trocknen: 00:05
- Adhäsiv polymerisieren: 00:20
- Applikation des Befestigungskomposits: 00:20
- Inlay in Endposition bringen, Überschüsse entfernen und Klebefuge mit Glyzeringel abdecken: 03:00
- Photopolymerisation (dual-härtendes/lichthärtendes Komposit: 02:00 – 04:00
- Überschussentfernung mit Scaler: 00:30
- Ausarbeitung mit Finierstreifen und Finierscheiben: 05:00
- Fluoridtouchierung: 00:30
Adhäsive und selbstadhäsive Befestigung von Zirkonoxid
Vorteil der adhäsiven Befestigung ist eine reduzierte marginale Mikroleakage. Ein undichter Zementspalt könnte Sekundärkaries beziehungsweise endodontische oder parodontale Komplikationen auslösen. Grundsätzlich bietet die adhäsive und selbstadhäsive Befestigung von Zirkonoxid-Restaurationen eine bessere Prognose für die Langzeitbewährung im Vergleich zur konventionellen Befestigung.
Die adhäsive und selbstadhäsive Befestigung von Zirkonoxidkeramik (3Y-, 4Y-, 5Y-TZP) hat ihre Berechtigung vor allem dann, wenn zum Beispiel im Frontzahnbereich eine hohe Transluzenz der Restauration erwünscht oder wenn eine geringe mechanische Retention gegeben ist und ein Retentionsverlust befürchtet werden muss. Inlay-Brücken und Adhäsivbrücken dürfen nur adhäsiv befestigt werden.
Aus Sicht der Retention ist die adhäsive Befestigung von Zirkonoxid angezeigt, wenn die Zahnpräparation von der Stumpfhöhe 4 mm und weniger entfernt und die Präparationsform relativ konisch ist (6 bis 15 Grad Konvergenzwinkel). Als Voraussetzung für die Haftwirkung muss die Restaurationsoberfläche modifiziert und aktiviert werden. Dies erfolgt durch Silikatisieren oder sanftes Korundstrahlen (≤50 µm, <1,0–2,5 bar). Dadurch wird die Retention von kurzen klinischen Kronen gesteigert.
Die Zahnoberfläche wird mit einem Dentinadhäsiv vorbehandelt. Erst nach Applikation des Dentinadhäsivs wird das Befestigungskomposit und die Keramikrestauration inkorporiert. Bei der Befestigung mit selbstadhäsivem Komposit mit sauren Monomeren (zum Beispiel Calibra Universal, RelyX Universal) wird eine Klebewirkung ohne weitere Vorbehandlung der Zahnsubstanz erzielt.
Phosphatmonomer (MDP) als Bestandteil des Befestigungsmaterials (zum Beispiel Panavia 21) oder eines Primers/Adhäsivs (zum Beispiel Prime&Bond active, Monobond Plus) wirkt auf der Zirkonoxidkeramik adhäsiv. Die Zahnoberfläche muss mit einem Primer oder Adhäsiv vorbehandelt werden.
Das Abstrahlen von Dentinoberflächen mit Prophypearls bei nachfolgender, selbstätzender Befestigung reduziert die Haftung am Dentin. Das Abstrahlen bei diesem Vorgehen ist nicht zu empfehlen, weil die Carbonat-Partikel die Adhäsion zwischen Befestigungskomposit und Zahn verhindert. Reinigung nur mit Bimssteinpulver.
Befestigung von Zirkonoxid-Restaurationen (Workflow)
• Entfernen des Provisoriums und des temporären Zements
• Einpassen der Restauration, Okklusion prüfen
• evtl. Einschleifen (Feinstkorndiamant), Kontakte prüfen
• nach Einschleifen mehrstufig polieren mit Diamantkorn-gefüllten Polierkörpern (Vor/Nach/Glanzpolitur), ggfs. Glanzbrand erneuern
• Reinigen der Restauration
• Markieren der Abstrahlfläche mit Farbe
• Abstrahlen mit Al₂O₃, 50 µm, 1,0 – 2,5 bar (chairside oder im ZT-Labor)
• Kofferdam anlegen (optional)
• Reinigen der Zahnoberfläche
• Gummikelch, Prophy-Paste, Bimsmehl – Abstrahlen des Dentins mit Prophypearls ist kontraindiziert (Haftungsverlust)
• Applizieren von Dentinadhäsiv
• Anmischen und Applikation des Befestigungskomposits
• Einsetzen der Restauration
• Klebefuge abdecken mit Glyceringel (verhindert Sauerstoffinhibition)
• Polymerisation/Durchhärtung
• Überschusskontrolle
• Entfernen der Überschüsse
• Okklusion statisch und dynamisch, Approximalkontakte prüfen
Step by Step: Adhäsive und selbstadhäsive Befestigung von Zirkonoxidkeramik (3Y-, 4Y-, 5Y-TZP)
Zum Beispiel mit Calibra Ceram, Calibra Universal, RelyX Unicem, RelyX Ultimate, RelyX Universal, Variolink Esthetic, SpeedCem Plus, Panavia 21
Arbeitsschritt: Zeitaufwand (min:sek)
• Entfernen des Provisoriums und des temporären Zements: 02:00
• Einpassen der Restauration: 01:00 – 10:00
• Reinigen der Restauration: Abstrahlen mit Aluminiumoxid >50 μm, 1,0 – 2,5 bar (chairside oder im Labor): 02:00
• Kofferdam anlegen (optional): 05:00 – 10:00
• Reinigen der Zahnoberfläche: Entfernen von Speichelresten und Proteinauflagerungen mit Gummikelch und Prophylaxepaste oder Bimsmehl: 02:00
• Nur bei Panavia 21: Primer anmischen, auftragen und 30 s einwirken lassen, dann sanft verblasen, trocknen: 01:40
• Anmischen und Applikation des Befestigungskomposits: 00:30
• Einsetzen der Restauration, Entfernen der Überschüsse: 01:00
• Klebefuge abdecken (bei Panavia 21: Oxyguard-Glyceringel) für beste ästhetische Ergebnisse): 01:00
• Selbsthärtung: 02:00
• Überschusskontrolle und falls vorhanden entfernen (zum Beispiel per Scaler): 00:30
Die aktuell geltenden Herstellervorschriften für die Materialien sind zu unbedingt zu berücksichtigen.
Manfred Kern, Wiesbaden