Seit der Antike haben Philosophen, Psychologen und Ärzte eine Vielzahl von Charaktertypen identifiziert, denen sie Menschen zuordneten, beispielsweise die Temperamentenlehre, das Enneagramm oder die vier Typen der Persönlichkeit aus „Grundformen der Angst“, die auf den Tiefenpsychologen Fritz Riemann Anfang der 1960er Jahre zurückgehen [1]. Gemeinsam ist diesen Charaktertypisierungen, dass sie versuchen, Einzelpersonen aufgrund von körperlichen und seelischen Eigenschaften einem oder mehreren bestimmten Topoi zuzuordnen. Die Charakterkunde war bis in die 1960er Jahre als psychologische Typenlehre in der Psychologie populär.
Heute sprechen Fachleute von Persönlichkeitspsychologie. Sie betont das Zusammenspiel der verschiedenen Persönlichkeitseigenschaften (relativ stabile, zeitlich überdauernde Persönlichkeitsmerkmale), die eine Person einzigartig und besonders macht und deren Handeln prägt. Es gibt viele Persönlichkeitstests, die im privaten und beruflichen Bereich eingesetzt werden, zum Beispiel den Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI), den DISG (Dominanz, Initiative, Stetigkeit und Gewissenhaftigkeit), den Opensource-Persönlichkeitstest „Big Five“ oder die Reiss-Profile, die im Folgenden näher betrachtet werden.
Die Typologie nach Reiss
Der amerikanische Psychologe Steven Reiss (1947–2016) führte gemeinsam mit Kollegen groß angelegte, interkulturelle, wissenschaftliche Forschungsumfragen darüber durch, was Menschen selbst darüber aussagen, was sie motiviert. Mehr als 6.000 Personen aus vier Kontinenten wurden für seine Studien befragt. Statistisch ermittelten Reiss und Havercamp Ende der 1990er Jahre 16 Lebensmotive oder „Grundwünsche“, die jedem Menschen gemeinsam sein sollen.
Die Ausprägungen dieser 16 Grundmotivatoren sind bei jedem Menschen unterschiedlich [2] angelegt und ausgeprägt. Daraus hat Reiss ein „psychologisches Instrument“ aus 16 Grundbedürfnissen kreiert, das er „Reiss Profile of Fundamental Goals and Motivation Sensitivities“ genannt hat [3]. Die unterschiedlichen Ausprägungen dieser Grundbedürfnisse werden mittels eines Online-Fragebogens aus 128 Fragen ermittelt.Daraus ergibt sich ein Profil, das die individuellen Bedürfnisse und Motivatoren erkennbar macht. Das Reiss Motivation Profile/RMP wird seither auch von Lizenznehmern aus Europa genutzt, beispielsweise in Coachings für die private Weiterentwicklung oder für Führungskräfte und Teambuilding im beruflichen Bereich.
Im zahnmedizinischen Bereich wird das Reiss Motivation Profile/RMP bei Praxisgründern, insbesondere in Mehrbehandlerpraxen, und zur Professionalisierung der Führungskompetenz der Praxisinhaber und der Verwirklichung des Praxiskonzepts eingesetzt. In der Entwicklung von Führungskräften wie auch bei der Patientenberatung und in der Kommunikation allgemein soll die Methode sehr wirkungsvoll sein.
Dr. Kerstin Albrecht, Düsseldorf
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Literatur
[1] Fritz Riemann: Grundformen der Angst. 41. Auflage. Ernst Reinhardt Verlag, München 2013, ISBN 978-3-497-02422-3
[2] Reiss, S., & Havercamp, S. M. (1998). Toward a comprehensive assessment of fundamental motivation: Factor structure of the Reiss Profiles. Psychological Assessment, 10(2), 97–106. doi.org/10.1037/1040-3590.10.2.97
[3] Reiss, S. (2000). Who Am I? The 16 basic desires that motivate our actions and define our personalities. Tarcher/Putnum.