Oralmedizin kompakt — klinische Empfehlungen: Kariöse Veränderungen vermeiden oder individuell behandeln
Auf der Basis einer systematischen Literaturauswertung und weiteren Publikationen hat eine US-amerikanische Autorengruppe im Dezember 2024 Empfehlungen zum nicht-restaurativen Karies-Management veröffentlicht [1, 2]. Darin spielt neben Fluoriden und Fissurenversiegelungen Silberdiaminfluorid (SDF) eine zentrale Rolle.
Die in Deutschland für diese Indikation noch nicht zugelassene Substanz wird zur Behandlung bereits kavitierter Kariesläsionen bei nicht kooperativen Kindern empfohlen. Zwei übersichtliche Ablauf-Schemata orientieren über Maßnahmen bei Milch- und bleibenden Zähnen. Nicht direkt berücksichtigt sind darin patientenbezogene Faktoren wie das individuelle Kariesrisiko.
Kurz und klar
- Eine US-amerikanische Autorengruppe hat evidenzgestützte Behandlungspfade für die nicht-restaurative Karies-Therapie entwickelt.
- Zwei getrennte Ablauf-Schemata für Milch- und bleibende Zähnen werden durch Materialtabellen ergänzt.
- Für nicht kavitierte Läsionen sind Fluoridierung und Fissurenversiegelung die Standardmaßnahmen.
- Um restaurative Maßnahmen zu vermeiden oder verzögern, ist bei Kavitation Silberdiaminfluorid angezeigt.
- Für den präventiven Erfolg sind Verhaltensprävention — etwa Zuckerreduktion — und ein risiko- orientiertes Erkrankungs- Management von Bedeutung.
- Der Volltext des Übersichtsartikels mit Ablauf-Schemata kann kostenfrei als PDF geladen werden:
Patientenebene ist entscheidend
Als zentralen ätiologischen Faktor für Karies nennt der Übersichtsartikel – auf der Basis des Aktionsplans der World Health Organization (WHO) – die Ernährung, speziell die überhöhte Zufuhr freier Zucker [1, 3]. Weiterhin wird die Einstufung von Fluoriden und SDF als essenzielle medizinische Substanzen durch die WHO erwähnt. Dann unterstreichen die Autoren, dass für ein erfolgreiches Karies-Management nicht die Zahn-, sondern die Patientenebene entscheidend sei.
Professionelle Maßnahmen, die die Entstehung oder das Fortschreiten kariöser Läsionen verhindern, sollten bereits Kleinkindern und vor allem solchen mit erhöhtem individuellem Risiko zugute kommen. Diese differenzierten Empfehlungen stehen im Gegensatz zur Erstattung professioneller Fluoridierung für unter Sechsjährige und von Fissurenversiegelungen für alle Kinder und Jugendlichen in der GKV.
Die in den Ablauf-Schemata genannten zahnbezogenen Empfehlungen werden im Fließtext des Artikels eingehend erläutert [1]. Unterschieden wird nach Lokalisation (Glattflächen, okklusal, approximal) und kavitierten oder nicht kavitierten Läsionen. Bei aktiven kavitierten Läsionen sollte, sowohl bei Milch- als auch bei bleibenden Zähnen, Silberdiaminfluorid (SDF) genutzt werden.
Dagegen wird als Bedingung für ein nicht-restauratives Management kavitierter Läsionen eine sehr gute Biofilm-Kontrolle mit entsprechender Kooperation genannt. Bei bleibenden Zähnen gilt die SDF-Empfehlung für die Arretierung von Wurzelkaries [4].
Übersicht mit Details zu Fluoridprodukten
Ergänzt werden die Schemata durch eine Tabelle mit Indikationsempfehlungen in Abhängigkeit von der Kariesaktivität. Weiterhin enthält der Beitrag eine ausführliche Übersicht, die in den USA verfügbare Fluorid-Produkte mit Konzentrationen, Anwendungsempfehlungen und die jeweils verfügbare wissenschaftliche Evidenz listet. Aktuelle für Deutschland gültige Informationen sind in einem Positionspapier der Informationsstelle für Kariesprophylaxe (IfK) verfügbar, sowohl für Mundhygiene, als auch für professionelle Anwendung [5].
Diskutiert werden im Artikel auch alternative nicht-restaurative oder „mikro-invasive“ Behandlungsmöglichkeiten, darunter Infiltration oder biomimetische Peptide (P11–4) [1]. Methodisch bedingt spielen restaurative Optionen keine Rolle, die ein Fortschreiten vorhandener Läsionen verhindern und somit sekundär-präventiv wirksam sein können [1].
Laut einer Empfehlung der European Organization for Caries Research (ORCA) und der European Federation of Conservative Dentistry (EFCD) sind dies zum Beispiel Metallkronen (Hall-Technik), die bei frühkindlicher Karies (Early Childhood Caries, ECC) und hoher Kariesaktivität angezeigt sein können [6].
Patientenspezifische Aspekte fehlen
Fazit: Bei der hier vorgestellten Publikation setzen die meisten Maßnahmen bereits vor einer Kavitation ein. Auch wird die Bedeutung von Verhältnis- und Verhaltensprävention, mit der sich die Kariesentstehung weitgehend verhindern lässt, in angemessener Weise betont. Dennoch beschränken sich die angebotenen klinischen Ablauf-Schemata auf zahnbezogene Maßnahmen.
Patientenspezifische Aspekte wie individuelles Kariesrisiko und Risikofaktoren-Management sind nicht enthalten. Trotz sehr gut aufbereiteter Hintergrundinformationen im Fließtext wird damit eine Chance vertan, ein integriertes Karies-Management übersichtlich darzustellen und präventiv ausgerichtete Teams damit bestmöglich zu unterstützen.
Dr. Jan H. Koch, Freising
Der Autor erklärt, dass er in Verbindung mit diesem Beitrag keine Interessenkonflikte hat. Hinweis: Beiträge in der Rubrik Oralmedizin kompakt können nicht die klinische Einschätzung der Leser ersetzen. Sie sollen lediglich – auf der Basis aktueller Literatur und/oder von Experten-Empfehlungen – die eigenverantwortliche Entscheidungsfindung unterstützen.
Titelbild: Сергей Кучугурный – stock.adobe.com
Literatur
[1] Fontana M, Gonzalez-Cabezas C, Tenuta LMA. Evidence-based approaches and considerations for nonrestorative treatments within modern caries
management: Integrating science into practice. J Am Dent Assoc. 2024;155(12):1000–11. Epub 20241102. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39488773/
[2] Slayton RL, Urquhart O, Araujo MWB, et al. Evidence-based clinical practice guideline on nonrestorative treatments for carious lesions: A report from the American Dental Association. J Am Dent Assoc. 2018;149(10):837–49.e19. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30261951/
[3] World Health Organization. Global Strategy and Action Plan on Oral
Health 2023–2030. 2024.
[4] Meyer-Lueckel H, Machiulskiene V, Giacaman RA. How to Intervene in the Root Caries Process? Systematic Review and Meta-Analyses. Caries Res. 2019;53(6):599–608. Epub 20190814. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31412343
[5] Zimmer S, Jordan A, Ziller S. Fluoride in der Kariesprophylaxe. Handlungsempfehlungen für die Praxis. zahnärztliche mitteilungen. 2025;115(1–2):34–6. https://www.zm-online.de/artikel/2025/zm-2025–01–02/handlungsempfehlungen-fuer-die-praxis
[6] Splieth CH, Banerjee A, Bottenberg P, et al. How to Intervene in the
Caries Process in Children: A Joint ORCA and EFCD Expert Delphi Consensus Statement. Caries Res. 2020;54(4):297–305. Epub 2020/07/02. https://www.karger.com/Article/Pdf/507692