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Parodontitis beschleunigt Hirnalterung um knapp zwei Jahre

Damit können nicht nur die regionalen Unterschiede in der Morbidität und Mortalität im Vergleich zu anderen deutschen Bevölkerungsstudien erklärt, sondern auch die komplexen Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren, subklinischen Auffälligkeiten und manifesten Erkrankungen untersucht werden. Bereits vor zehn Jahren wurde im Rahmen der SHIP-Studie ein Artikel publiziert, der einen Zusammenhang zwischen Zahnverlust und höheren Werten auf dem Demenzfragebogen nahelegte. Mit einer neuerlichen Studie, die Ende des Jahres abgeschlossen sein soll und dann publiziert wird, sehen die Greifswalder Forscher ihre ersten Ergebnisse bestätigt.
„Zahnverlust ist natürlich nicht gleichzusetzen mit Parodontitis, aber sicherlich ist sie ein ganz wesentlicher Grund für den Zahnverlust. Der Befund, wonach weniger Zähne zu mehr Punkten im Demenzfragebogen führen, hat uns nachhaltig beschäftigt, und wir wollten dieser Spur weiter nachgehen“, erklärt Prof. Dr. Hans J. Grabe, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Greifswald die Motivation. Gemeinsam mit Prof. Dr. Thomas Kocher, Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung, Parodontologie, Endodontologie, Kinderzahnheilkunde und Präventive Zahnheilkunde an der Universität Greifswald, und Dr. Christian Schwahn von der Poliklinik für zahnärztliche Prothetik, Alterszahnheilkunde und medizinische Werkstoffkunde haben die Forscher dafür Untersuchungen der Magnetresonanztomographie (MRT) von mehr als 1.400 Probanden aus der SHIP-Trend-Studie aus den Jahren 2008 bis 2011 ausgewertet.

Mit MRT das Hirnalter des Menschen untersuchen

„Mithilfe der MRT haben wir versucht, anhand der Hirnstrukturen das Alter eines Menschen zu bestimmen. Das geht gut, weil auch das menschliche Gehirn einem Alterungsprozess unterliegt, das heißt, es gibt Areale, die stärker und andere, die weniger stark atrophieren“, schildert Grabe. Eine wertvolle Hilfestellung gibt dabei die künstliche Intelligenz. Die Bilder aus der MRT wurden auf vielfältige Weise analysiert. Zuerst seien aus der gesamten Hirnstruktur verschiedene Hirnareale herausgelesen und die Größe dieser Hirnareale für jeden einzelnen Probanden bestimmt worden. Für die rechte und linke Gehirnhälfte wurden je 34 Areale festgelegt sowie weitere tiefer liegende Areale. Insgesamt ermittelte man 169 Gehirnareale, für die die Forscher einen Volumenwert hinterlegt haben. Grabe: „Mit diesen 169 Gehirnvolumina konnte der Algorithmus ziemlich gut trainiert werden auf eine optimale Schätzung des Alters. Dabei fanden wir heraus, dass mit einer Korrelation von 0,87 das Alter aufgrund der Hirnstruktur mit den Lebensjahren des Menschen übereinstimmt.“  
Allerdings gab es auch Abweichungen vom Schätzer. So gibt es 60-jährige Menschen, die das Gehirn eines 50-Jährigen haben, während andere eine Gehirnstruktur von 70 Jahren aufweisen. Während einige Probanden genau auf der Schätzungslinie liegen, sind andere vorgealtert oder jünger.  
Die Forscher gingen in diesem Zusammenhang der Frage nach, welche Faktoren zu einer beschleunigten Hirnalterung beitragen und welche protektiven Faktoren gibt es. Um die Untersuchung gegen andere Einflüsse abzusichern, wurden Faktoren wie Adipositas, Diabetes, Hypertonie und Sport statistisch berücksichtigt. In dem Modell wurden so verschiedene Faktoren mit der Fragestellung untersucht, ob sie die Hirnalterung verzögern oder beschleunigen. Dabei wurde auch der Faktor Parodontitis in Abhängigkeit mit der Zahntaschentiefe untersucht.
„Wir konnten feststellen, dass in einem Bereich von 2 bis 2,3 Millimeter (mm) mittlerer Zahntaschentiefe das Gehirnalter im Mittel bei dieser Population bei 46 Jahren liegt. Wenn die mittlere Zahntaschentiefe auf 4,0 mm ansteigt, dann kommen wir auf ein Alter von etwa 48 Jahren. Das heißt, bei einer sehr ausgeprägten Parodontitis kann man eine beschleunigte Hirnalterung von knapp zwei Jahren beobachten“, erklärt Kocher.

Manifestiert sich eine frühzeitige Hirnalterung in einer Alzheimererkrankung?

In einer weiteren Untersuchung, deren Ergebnisse bis Ende des Jahres vorliegen sollen, werden nun Abstriche aus den Zahntaschen der Probanden aus der MRT untersucht. „Wir möchten so der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Parodontitis und frühzeitiger Hirnalterung weiter nachgehen“, erläutert Kocher. Nicht geklärt werden kann damit aber die Frage, ob die ermittelte frühzeitige Hirnalterung sich irgendwann auch klinisch bemerkbar macht. Haben Menschen mit einer Parodontitis, ein höheres Risiko, an Alzheimer zu erkranken?
Eine im Januar 2019 publizierte Studie über „Porphyromonas gingivalis in Alzheimer’s disease brains“ legt dies nahe. Das Bakterium, das ursächlich für Parodontitis ist, konnte auch im Gehirn von Alzheimerpatienten nachgewiesen werden. Dabei könnten die Giftstoffe des Bakteriums auch für den Inflammationsprozess im Gehirn verantwortlich sein. Grabe: „Es ist aber verfrüht zu sagen, Parodontitis ist die Ursache für Morbus Alzheimer. Das wäre verkürzt, aber sicherlich ist es nicht unmöglich, dass bei Menschen mit einer starken Parodontitis der Keim und die Entzündung im Gehirn zum Auftreten einer frühzeitigen Altersdemenz beitragen.“
Kocher unterstreicht daher die Bedeutung der Primärprävention von Parodontitis. „Sie hilft auf jeden Fall, Folgeerkrankungen vorzubeugen. Denn ob durch eine Parodontalbehandlung die frühzeitige Hirnalterung reversibel ist, wissen wir zum derzeitigen Zeitpunkt nicht.“  

Brigitte Dinkloh