Die Anfälligkeit für diese Vorgänge scheint individuell sehr unterschiedlich zu sein. Und, ganz wichtig: Es gibt bisher keine sichere Methode, um gefährdete Patienten rechtzeitig zu identifizieren.
Was bedeutet dieser ätiologische Hintergrund für parodontologisch tätige Zahnarztpraxen? Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DGParo) vom 15. bis 19. September in Würzburg lieferten Experten aus Deutschland, Europa und den USA vor rund 1.000 Teilnehmern konkrete und – soweit verfügbar – auch praktisch verwertbare Antworten.
Sondieren ohne Sonde
Für die Diagnostik stellte PD Dr. Bettina Dannewitz (Weilburg), zukünftige Präsidentin der DGParo, konventionelle Sonden, druck-kalibrierte Sonden und solche mit zusätzlich automatisierter Dokumentation vor (zum Beispiel FloridaProbe). Noch experimentell ist die nicht-invasive Taschenmessung mit optischer Kohärenztomografie (OCT). Die lichtbasierte Methode ist schmerzfrei, die ermittelten Taschentiefen sind geringer.
Röntgen hat den bekannten Nachteil, dass Knochenabbau erst nach Verlust von 50 bis 60 Prozent der Knochenminerale sichtbar ist. Der tatsächliche Schaden zum Untersuchungszeitpunkt wird daher unterschätzt.
Bei Anträgen in der gesetzlichen Krankenversicherung ist laut Dannewitz zu beachten, dass der KZBV-Leitfaden für PAR-Gutachter einen vollständigen Röntgenstatus in Paralleltechnik vorsieht. Nach der Röntgenverordnung gibt es aber keine rechtfertigende Indikation für gesunde Zähne. Laut GBA-Richtlinien darf der Befund zudem „in der Regel“ nicht älter als sechs Monate sein. Die Prüfungspraxis ist je nach Kammerbereich recht unterschiedlich.
Mikrobiologie allein fragwürdig
Nachteil traditioneller Diagnostikmethoden ist, dass sie erst einen eingetretenen Schaden feststellen, nicht das Risiko für eine zukünftige Erkrankung. Aber auch für mikrobiologische Diagnostik ist laut Dr. Norbert Cionca (Universität Genf) der Vorhersagewert fraglich. So seien die bisher als zentrale Pathogene angenommenen Mikroorganismen in allen Altersstufen und Ethnien – und sogar bei Rauchern und Nichtrauchern – gleichermaßen nachweisbar. Ergebnisse und Schwellenwertdefinitionen unterscheiden sich je nach Testmethodik und Produkt und es gibt keine Referenztests.
Zudem existiert eine Vielzahl potenziell pathogener Arten, die nicht kultivierbar sind und durch kommerziell erhältliche Tests nicht erfasst werden. Auch nach systemischer Antibiose ändert sich das bakterielle Spektrum laut Cionca nicht nachhaltig, sodass mikrobielle Test allein auch als Erfolgskontrolle fraglich seien. In Genf wird daher versucht, durch die Kombination von mikrobiologischen und wirtsbezogenen, zum Beispiel genetischen Tests weiter zu kommen.
Initialtherapie wirkt plaque-hemmend
Parodontale Entzündung fördert laut Prof. Jörg Meyle (Gießen) die Plaquebildungsrate [1]. Früher wurde der umgekehrte Zusammenhang angenommen. Es gelte daher, die Nährstoffzufuhr aus der Sulkusflüssigkeit zu reduzieren, was durch eine geeignete, antiinfektiös wirkende Initialtherapie gelinge. Danach sei eine engmaschige Nachsorge erforderlich. Mechanische Methoden der Belagentfernung – Handinstrumente, Ultraschall/Schall und Pulverstrahl – reduzieren laut PD Dr. Gregor Petersilka (Würzburg) die Zahl der Mikroorganismen mit 90 bis 95 Prozent gleichermaßen erfolgreich.
Die aktuell diskutierten Pulverstrahl-Systeme entfernten jedoch keine harten Beläge und seien damit in der Initialtherapie nur ergänzend oder für die Nachsorge geeignet. Aktuell verfügbare Pulver funktionieren laut Petersilka wahrscheinlich gleichermaßen gut. Zusätze, wie zum Beispiel β-TCP, veränderten aber das Abrasionsverhalten, ihre Auswirkung auf den Biofilm sei unklar. Der Gerätepreis sei deutlich höher als für Ultraschall- oder Schallgeräte, hinzu kommen Ausgaben für das Verbrauchsmaterial (Pulver).
„Bleib gesund, iss Bakterien“. Mit diesen Worten hatte Prof. Wim Teughels (Leuven, Belgien), Mitbegründer der parodontalen Probiotika-Therapie, seine Zuhörer bei der DGParo-Frühjahrstagung 2014 in Berlin amüsiert. Laut Prof. Ulrich Schlagenhauf (Würzburg), Kopräsident der diesjährigen Haupttagung, lässt sich eine periimplantäre Mukositis allein durch Einnahme von Lactobacillus reuteri-haltigen Kapseln (zum Beispiel Sunstar, BioGaia) behandeln. Nach drei Monaten wurde bei 45 Prozent der betroffenen Implantate keine Sondierungsblutung mehr festgestellt – ohne professionelle Belagentfernung oder Mundhygiene-Instruktion [2].
Kohl gegen Entzündung
Gingivitis scheint zudem mit unserer modernen Lebensweise verbunden zu sein. Bei steinzeitlicher Ernährung ohne raffinierte Kohlenhydrate tritt sie nach einer viel zitierten Studie trotz mundhygiene-bedingter Plaque-Zunahme praktisch nicht auf, Taschentiefen sind signifikant geringer, Sondierungsblutungen hoch signifikant seltener [3].
Von Schlagenhauf präsentierte neue Daten aus einer randomisiert-kontrollierten Studie zeigen, dass Nitrat, zum Beispiel in Blattgemüse oder Roter Bete, gingivale Entzündungszeichen in der parodontalen Nachsorge reduziert. Bei Einnahme kommerziell verfügbarer Säfte mit definierter Nitratkonzentration waren es nach ersten Untersuchungen mehr als 50 Prozent [4]. Mit Speicheltests könnte zukünftig ein ausreichender Nitratspiegel kontrolliert werden.
Zuhörer in Würzburg reagierten begeistert auf Schlagenhaufs Vortrag. In dieselbe Richtung wie seine Forschung weist eine aktuell vorgelegte Studie aus Freiburg zu einer kohlenhydratreduzierten Diät [5]. Die Vermutung liegt nahe, dass entzündliche Erkrankungen auch außerhalb des Mundes durch geeignete Ernährung vermieden, getriggert oder sogar ausgeheilt werden können.
Antibiotika halbieren Misserfolge
Wenn Belagentfernung, Probiotika und gesunde Ernährung nicht mehr helfen, können systemische Antibiotika angezeigt sein, in der Regel der „Winkelhoff-Cocktail“ aus Amoxicillin und Metronidazol. Nach einer umfangreichen Studie an deutschen Zentren profitieren Patienten unter 55 Jahren stärker von dieser Therapie als ältere [6]. Beträgt der Anteil von Taschen ≥5 Millimeter bei einem Patienten mehr als ein Drittel, wird die Zahl der später erneut zu behandelnden Taschen halbiert. Prof. Meyle als Mitautor der Studie sieht dies – bei Berücksichtigung von Unverträglichkeiten – als klare Indikation für eine systemische Antibiose.
Teil 2 dieses Kongressberichts wird Indikationen für Implantat- und Parodontitis-Therapie abgrenzen und Alternativen aufzeigen. Weiteres Thema ist die mögliche Einführung der unterstützenden Parodontitis-Therapie (UPT) in den Bema.
(wird fortgesetzt)