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„Parodontitis ist eine Erkrankung des ganzen Menschen“

Der Kommentar von Dr. med. dent. Jan H. Koch

Zahnärzte sind richtige Mediziner – zumindest, wenn sie Parodontitis behandeln und mit der Hausarztpraxis ihrer Patienten sprechen. Dabei geht es nicht um eine freundliche Geste, sondern um die Sicherstellung lebenserhaltender Therapie. 

Die Aussage stammt diesmal nicht von Parodontologen, denen wir interessengeleitete Überbewertung der Datenlage vorwerfen könnten. Sondern von angesehenen Experten aus Diabetologie und Kardiologie. Die Professoren Knut Mai und Burkert Pieske präsentierten auf der Jubiläumstagung der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG Paro) Studienergebnisse, nach denen fehlende interdisziplinäre Zusammenarbeit unterlassener Hilfeleistung gleichkommt. Das gilt gleichermaßen für beide Seiten.

PAR-Therapie ersetzt Diabetes-Medikament

Nicht auf der Jahrestagung der DG Paro in Bonn, sondern zwei Wochen zuvor beim Online-Zahnärztetag hatte auch Prof. Dr. Henrik Dommisch das Thema auf den Punkt gebracht: Parodontitis-Therapie kann den Behandlungsbedarf von Diabetes-Patienten reduzieren [1]. Konkret werde der HbA1c-Wert so weit abgesenkt, dass sich ein Medikament einsparen lässt. 

In der Kardiologie sind entsprechende Wirksamkeitsnachweise noch unzureichend. So empfehlen europäische Leitlinien die Sicherstellung einer sauberen Mundhöhle bisher nur für Endokarditis-Risikopatienten [2]. Obwohl die Maßnahme hier sogar an erster Stelle steht, wird sie europaweit in der täglichen Patientenbetreuung viel zu wenig beachtet [3]. Die übrige Medizin ist bekanntlich auf dem oralen Auge relativ blind. Die oben genannten internistischen Vorträge sind aber ein Zeichen der Hoffnung.

Die ausbildungsbedingte Betriebsblindheit gilt umgekehrt auch für die „Zahn“-Heilkunde. Vor dem Hintergrund der zunehmend dokumentierten Schnittstellen zur übrigen Medizin plädierte deshalb der amtierende DG-Paro-Präsident auf dem Bonner Kongress für die Umbenennung in orale Medizin.

Trennung überwinden

Dommisch ist auch Lehrstuhlinhaber für Parodontologie, Oralmedizin und Oralchirurgie an der Charité Berlin und Mitautor eines Positionspapiers, das Argumente für die neue Bezeichnung liefert [4]. Obwohl dadurch allein keinem Patienten geholfen ist, könnte sie – durch Prägung eines veränderten Bewusstseins – ein wichtiger Schritt in Richtung Integration unseres Fachgebiets sein. Diese wiederum wird bekanntlich von der Standesvertretung nach wie vor abgelehnt.

Bis sich etwas Grundlegendes ändert, kann es dauern. Wie gelingt also in der Zwischenzeit eine bessere Vernetzung der „Sektoren“? Interessant ist hier ein vom GBA finanziertes, praxisbasiertes Projekt zu Diabetes und Parodontitis (siehe digin2perio.com). Bei Diagnose einer der beiden Erkrankungen wird der betreffende Patient in Bezug auf das Risiko für die andere mit digitalen Tools gescreent und bei Bedarf an den jeweils anderen Fachbereich überwiesen. Ziel ist, „die Versorgungsqualität und -effizienz zu verbessern (…) und das Gesundheitssystem zu entlasten“. Das Projekt läuft noch bis September 2026.

Fazit: Der Mundbereich ist Teil des menschlichen Körpers. Wenig überraschend ist deshalb, dass immer mehr ätiologische Verbindungen gefunden werden, zum Beispiel zwischen Parodontitis auf der einen und Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf der anderen Seite. Die Abtrennung des „Sektors“ orale Medizin ist ein Anachronismus, der die Praktikabilität und Qualität interdisziplinärer Kommunikation und damit die Patientenversorgung unnötigerweise beeinträchtigt.

Literatur

[1] Simpson TC, et al. Cochrane Database Syst Rev. 2022;4(4):CD004714. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/35420698
[2] Delgado V, et al. Eur Heart J. 2023;44(39):3948–4042. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/37622656
[3] Moby V, et al. J Infect. 2022;84(5):e58-e61. hal.science/hal-03632293/document
[4] Frank M, et al. www.quintessence-publishing.com/downloads/impulspapier_orale_medizin.pdf body