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Können orale Bakterien Krebs auslösen?

Helicobacter

Anaerobe und fakultativ anaerobe Bakterien aus der oralen Mikroflora stehen in Zusammenhang mit Krebs.

Anaerobe und fakultativ anaerobe Bakterien aus der oralen Mikroflora konnten in verschiedenen Tumorgeweben nachgewiesen werden. Zudem stimulieren chronisch entzündliche Erkrankungen wie Parodontitis einen lokalen Immunrespons, der zu einer permanenten Reizung der Gewebe und letztlich zum Gewebsuntergang führt.

Chronische Infektionen werden heute zumindest als unterstützende Faktoren bei der Krebsentstehung betrachtet. Bekannte und unumstrittene Beispiele sind Infektionen mit Helicobacter pylori für die Genese des Magenkarzinoms und Humane Papillomviren für zervikale Dysplasie bis hin zum Zervixkarzinom. Hepatitis B- und C-Viren können hepatozelluläre Karzinome verursachen und Salmonella typhi steht in Zusammenhang mit dem Gallenblasenkarzinom. Neben der primären Induktion einer Krebserkrankung können Bakterien und Viren auch zur Progression bereits bestehender Tumorerkrankungen beitragen.

Parodontitis – ein unabhängiger Risikofaktor bei der Krebsentstehung?

Eine umfangreiche prospektive Studie (Michaud et al., 2008) untersuchte an 48.000 Männern den Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Krebserkrankungen und bestehenden parodontalen Infektionen. In einem Untersuchungszeitraum von 18 Jahren kam es zu 5.720 Krebsfällen. In die Auswertung der Daten wurden selbstverständlich die bekannten Risikofaktoren wie Raucherstatus, metabolische Faktoren und Alkoholkonsum miteinbezogen. Unabhängig davon konnten signifikante Assoziationen zwischen einer Parodontalerkrankung und Malignomen der Lunge, der Niere, des Pankreas und des haematopoetischen Systems nachgewiesen werden.

Untersuchungen an 1.252 postmenopausalen Frauen ergaben bei der Buffulo-Osteo-Perio-Studie zwar keine signifikante, aber zumindest eine grenzwertig positive Assoziation zwischen der Gesamtkrebsrate und der Präsenz oral-pathogener Bakterien.

Bei einem Research-Meeting der American Association for Cancer wurde 2016 eine Studie über die Beziehung von Parodontalkeimen zum Pankreaskarzinom präsentiert. Speichelproben von mehr als 150 Probanden mit Pankreaskarzinomen wurden mit einer ebenso großen gesunden Kontrollgruppe verglichen. In der statistischen Auswertung wurden Alter, Geschlecht, Raucherstatus, Body-Mass-Index, metabolische Grunderkrankungen und Alkoholkonsum berücksichtigt. Um eine mögliche Rückwirkung des Pankreaskarzinoms auf eine Dysbiose der oralen Mikroflora auszuschließen, wurden Speichelproben, die weniger als zwei Jahre vor der Diagnose des Bauchspeicheldrüsenkrebses genommen wurden, nicht in die Studie einbezogen. Das Ergebnis erbrachte ein immerhin 59 Prozent erhöhtes Risiko für die Kanzerogenese bei positivem Nachweis von Porphyromonas gingivalis und ein um 50 Prozent erhöhtes relatives Risiko bei der Präsenz von Aggregatibacter actinomycetem comitans. Ähnliche Ergebnisse ergaben Studien für Brustkrebs, kolorektale Karzinome und orale Plattenepithelkarzinome.

F. nucleatum und P. gingivalis als Schlüsselkeime einer Kanzerogenese

Für diese beiden Spezies wurden ausführliche Untersuchungen über die Mechanismen der oral-bakteriellen Tumorinduktion durchgeführt. Die Ursache für diese Fähigkeit liegt zum Teil im Aufbau oraler Biofilme. Fusobacterium nucleatum spielt für die Adhäsion an Oberflächengewebe und die Brückenbildung zu anderen oralen Bakterien eine wichtige Rolle. Erst durch diesen Keim kann ein mit weit effektiveren Pathomechanismen und Virulenzfaktoren ausgerüstetes Bakterium wie Porphyromonas gingivals in den Biofilm integriert werden. Über synergistische Mechanismen und Koaggregation werden auch Peptostreptokokken, Campylobacter und weitere Pathogene mit eingebunden.

Der anaerobe, asaccharolytische und proteolytische Stoffwechsel dieser Keime ermöglicht es ihnen, auch in nicht-oralen Geweben wie etwa im Darm zu überleben und dort ähnlich wie auf der Mundschleimhaut chronische Entzündungen auszulösen. Die Bakterien gelangen über passagere Bakteriämien aus den floriden parodontalen Läsionen zu diversen anderen Organen. In den Verdauungstrakt können sie auch direkt durch Verschlucken eingebracht werden, weshalb man in der Mikroflora der Darmschleimhaut primär orale Keime nachweisen kann. Interessant ist allerdings, dass sich parodontal aktive Bakterien in weit höherer Zahl in Karzinomen des Dickdarms nachweisen lassen als auf der benachbarten Mukosa.

Daraus entstand die Theorie sogenannter „krebsassoziierter Biofilme“, welche durch eine Reihe von Forschungsergebnissen gestützt wird. Molekulare Analysen des Schlüsselkeims Fusobacterium nucleatum zeigten, dass dieser über das Adhäsin FadA eine wichtige Rolle bei der Tumorentstehung einnimmt. Durch Interaktion zwischen FadA und E-Cadherin wird die Expression von onkogenen und inflammatorischen Genen erhöht und das Tumorzellwachstum stimuliert.

P. gingivalis induziert dann die Expression einer Vorstufe der Matrix Metalloproteinase 9 (MMP9), die über das bakteriell sezernierte Gingipain zur reifer MMP9 umgewandelt wird. MMP9 begünstigt die Migration von Karzinomzellen. Zudem dringt P. gingivalis in Epithelien ein und unterdrückt dort das Tumorsuppressorgen p53. Dies führt zu Verhinderung der Zellapoptose und fördert atypische maligne Proliferation. Auch weitere protektive Mechanismen wie die intramuralen mitochondralen Apoptose-Pathways werden gehemmt.

Eine ähnliche Situation ergibt sich für orale Plattenepithelkarzinome (OSCC): Gallimidi et al. publizierten 2015 ein experimentelles Maus-Modell für parodontitisassoziierte Tumorprogression oraler Plattenepithelkarzinome durch Fusobacterium nucleatum und Porphyromonas gingivalis. Sie konnten eine unmittelbare Stimulation der malignen Zellproliferation durch direkte Interaktion zwischen den beiden Keimen und dem oralen Epithel über toll-like receptors (TLR) nachweisen. Die bakterielle Infektion induziert auch hier die Expression von Schlüsselmolekülen der Tumorgenese.

Die Untersuchungen der Zusammenhänge zwischen chronischen oralen Infektionen und Krebserkrankungen stehen derzeit noch am Anfang. Allerdings lassen die vorläufigen Ergebnisse weitere interessante Ansätze zu diesem Thema erwarten.