Es tut sich was in der Seniorenzahnmedizin: Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen sollen nach Paragraf 22a SGB V ab diesem Sommer einen verbindlichen Rechtsanspruch auf zusätzliche zahnärztliche Vorsorgemaßnahmen in der GKV erhalten.
Dr. Maria Teichmann aus Chemnitz erklärt: „Wir Zahnärzte müssen diese neue Richtlinie infrage stellen. Schließlich kann die Politik viel schreiben, doch umsetzen müssen wir die Maßnahmen. Und funktionieren kann das ganze Konstrukt nur, wenn Heime und Pfleger, Patienten und Zahnärzte gemeinsam an einem Strang ziehen.“ Das sei ihrer Erfahrung nach nicht immer der Fall.
Zwei Jahre, bevor die Kooperationsverträge mit Heimen eingeführt wurden, betreute sie eine neu gebaute Senioreneinrichtung in der Nähe ihrer Praxis. Diese ist barrierefrei eingerichtet, und viele Bewohner wurden mit dem Rollstuhl zu ihr gebracht. Umgekehrt hat auch sie oft ihren Arztkoffer gepackt, um während der Mittagspause die Senioren zu untersuchen oder um Abdrücke und Extraktionen von weniger mobilen Patienten in deren Pflegebett vorzunehmen.
Nach ihren Erfahrungen entschied sie, auf jede weitere Zusammenarbeit mit Heimen zu verzichten. „Es war zu anstrengend. Das ist der eigentliche Grund, weshalb ich die Richtlinien kritisiere. Viele Senioren sind nicht mehr in der Lage, eigenständig zu handeln. Einige können sich kaum noch oder gar nicht mehr mitteilen. Doch was nutzt den Senioren der verbindliche Rechtsanspruch auf zusätzliche zahnärztliche Vorsorgemaßnahmen, wenn die Menschen, von denen sie betreut werden – und von denen sie abhängig sind – sie nicht dabei unterstützen, diese Rechte einzufordern?“
Dass den Pflegern oft die Zeit fehlt, sieht sie zwar. Aber gerade deshalb, so Dr. Maria Teichmann, müsse die Politik auch dort ansetzen.
Das Fachgebiet Seniorenzahnmedizin findet die Chemnitzerin trotz aller Widrigkeiten spannend: „Es ist natürlich keine einfache Aufgabe. Ich schaue ja nicht nur in den Mund, sondern muss in vielen Fällen eine Komplettsanierung machen. Demente Patienten sind eine besondere Herausforderung. Und oft genug habe ich hochbetagte Patienten behandelt, die um 10 Uhr morgens in meiner Praxis eingeschlafen sind. Die musste ich erstmal wieder wach bekommen.“
Sie selbst wünscht sich deshalb ein größeres Mitspracherecht von Zahnärzten, die die Schwierigkeiten aus der praktischen Arbeit kennen. „Denn uns ist klar, dass nur mit Kooperationsverträgen das Problem, nämlich eine gute Versorgung der Patienten sicherzustellen, nicht gelöst ist. Die neuen Leistungen wurden von Menschen verfasst, die für meine Begriffe den Blick für das Konstrukt Altenheim verloren haben. Denn nicht jedes Heim ist bereit, da mitzuziehen.“
Für sich und ihre Zahnarztpraxis hat die Chemnitzer Zahnärztin deshalb folgenden Weg eingeschlagen: „Ich behandle viele Patienten im betreuten Wohnen vor Ort. Die meisten von ihnen kenne ich seit Jahren. Ich nehme bei ihnen Erweiterungen an Prothesen oder Extraktionen in ihren Wohnzimmern vor. Natürlich rechnet sich das wirtschaftlich nicht. Aber ich sehe es nicht unter diesem Aspekt. Es sind meine Patienten, an denen mir etwas liegt. Und wenn sie mich rufen, bin ich für sie da.“
Nach wenigen Monaten verschlechterte sich die Zusammenarbeit. „Die Pfleger achteten nicht mehr darauf, uns die Bonushefte der Bewohner vorzulegen. Sie fühlten sich, wenn ich kam, in ihrer Routine gestört. Wenn wir sie darum baten, einen Patienten mit dem Rollstuhl für einen größeren Eingriff in die Praxis zu bringen, haben sie es ignoriert. Egal, wie häufig wir nachfragten.“
Dr. Maria Teichmann hält kurz inne. „Am schlimmsten war ein Vorfall, der mir noch gut in Erinnerung geblieben ist. Eine Patientin wurde von mir mit einer neuen Prothese versorgt. Ich hakte mehrfach nach, wann ich vorbeikommen könne, um eventuelle Druckstellen zu beseitigen. Nach mehreren Anrufen erhielt ich die Antwort, die Prothese sei verschwunden. Das kann natürlich immer mal passieren. Aber es war keine demente Frau. Und eine neue Prothese sollte ich nicht anfertigen. Der Pfleger sagte, das lohne sich nicht mehr, sie würden dann halt die Nahrung pürieren. Da die Patientin einen Angehörigen als Vorsorgebevollmächtigten hatte, konnte ich nichts unternehmen. Ich konnte nichts tun, um ihr zu helfen.“
Kurz danach wechselte die Heimleitung. „Mir wurde am Telefon erklärt, dass der neue Heimleiter einen Zahnarzt kenne, der ab sofort meine Aufgaben übernehmen würde.“ Dieser Arzt, erzählt sie, war oftmals nicht erreichbar. Deshalb wurde sie regelmäßig gebeten, für ihn einzuspringen. „Natürlich habe ich den Patienten geholfen, schließlich kannte ich viele von ihnen. Ich finde aber, dass – wenn ich eine solche Verpflichtung eingehe – mich auch um die Menschen kümmern muss.“
Sie versuchte einen letzten Annäherungsversuch mit dem Heim, als die Möglichkeit eingeführt wurde, Kooperationsverträge abzuschließen. „Doch der Vertrag wurde einem Kollegen angeboten. Die Heimleiter können das entscheiden. Dabei ist meine Praxis quasi gegenüber, was für die Bewohner ideal gewesen wäre.“