Anzeige

MDR rückt näher

Der Vorstandsvorsitzende des Verbands der Deutschen Dental-Industrie Mark Stephen Pace äußert sich zu den Auswirkungen der MDR auf Hersteller, Zahnärzte und Dentallabore.

Mark Stephen Pace, Vorsitzender des Vorstandes Verband der Deutschen Dental-Industrie e.V.

Ab dem 26. Mai 2020 wird es ernst: Nach einer Übergangszeit von drei Jahren gilt die Medical Device Regulation (MDR) in den Mitgliedstaaten der EU unmittelbar. Der Übergangszeitraum schien anfangs ausreichend zu sein, um die hohen Anforderungen bewältigen zu können. Mittlerweile steht jedoch nahezu sicher fest, dass die Implementierung nur in Teilbereichen gelingen wird, denn zahlreiche notwendige Maßnahmen sind noch nicht umgesetzt oder zum Teil noch gar nicht eingeleitet worden. Allen Beteiligten steht ein holpriger Start bevor, sagt Mark Stephen Pace, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Deutschen Dental-Industrie (VDDI).

Aus welchen Gründen wird die pünkt­liche Implementierung der MDR nicht gelingen oder verzögert?

Mark Stephen Pace: Die Zertifizierung von Medizinprodukten erfolgt durch Benannte Stellen. Davon gab es zeitweise mehr als 80 in der EU. Lediglich 44 haben bisher einen Antrag auf Benennung nach der MDR gestellt. Das ist zunächst mal viel zu wenig. Bis heute sind erst neun Benannte Stellen notifi­ziert. Hier hat sich die EU-Kommission offen­bar verkalkuliert. Sie ist davon ausgegangen, dass der Benennungsprozess zügiger vonstatten geht. Da jedoch die Anforderungen an die Benannten Stellen deutlich verschärft wurden, nimmt der Prozess wesentlich mehr Zeit in Anspruch. Wie sehr die Kommis­sion die Entwicklungen falsch eingeschätzt hat, zeigt sich an ihrer Mitteilung von Mitte September 2019, man sei sich sicher, bis Ende 2019 etwa 20 Be­nannte Stellen notifizieren zu können.Zweites Umsetzungsproblem sind die noch fehlenden notwendigen Rechts­akte, Leitlinien, Normen oder gemein­same Spezifikationen. Mehr als 40 Rechtsakte sind nach der MDR möglich, bisher hat die Kommission erst drei verwirklicht. Mit diesen Instrumenten wäre eine Implementierung wesentlich einfacher, um einheit­liche Definitionen und vor allem Interpreta­tionshilfen zu liefern.

Dritter Kritikpunkt ist die Datenbank Eudamed. Die EU-Kommission hat sich immer davon überzeugt gezeigt, die Einführung von Eudamed pünktlich und vollständig bis Mai 2020 zu verwirklichen. Bedenken aus der Industrie, die Umsetzung sei praktisch nicht im vorgegebenen Zeitraum möglich, wurden weitgehend ignoriert. Erst im Oktober 2019 hat die Kommission die Reißleine gezogen und die volle Funktionstüchtigkeit von Eudamed auf frühestens Mai 2022 verschoben.

Die Anforderungen an Benannte Stellen steigen, aber auch an Hersteller. Was sind denn die wesentlichen neuen An­forderungen?

Sie ergeben sich aus Artikel 10 MDR. Um es kurz zusammenzufassen: Ob Risikomanagement, klinische Bewer­tung, Technische Dokumentation, Markt­beobachtung nach dem Inverkehrbringen etc.: Der dokumentarische Aufwand wird erheblich umfangreicher, er wird sich voraussichtlich mehr als verdoppeln.

Haben Sie Erfahrungswerte über den Stand der Vorbereitungen auf die MDR bei den Herstellern dentaler Me­dizinprodukte?

Die Hersteller sind unseren Informationen nach recht gut vor­bereitet. Bereits 2017 hat der VDDI in seinen Gremien die notwendigen Schritte analysiert und daraufhin die einzelnen Aufgaben abgearbeitet. Wir haben gemeinsam mit der Herstellerverbänden in der Arbeitsgemeinschaft der Medizintechnikhersteller eine Reihe von nformationsveranstaltungen durchgeführt und mit Vertretern der EU auf allen Ebenen Gespräche geführt. Erfreulich ist, dass auch das BMG sich des Themas angenommen und seinen Einfluss in Brüssel für eine Fristverlängerung geltend gemacht hat.

Stand heute sind die meisten Implementierungsschritte vollzogen, natürlich nur soweit, wie Behörden und Benannte Stellen mitspielen. Viele Unternehmen haben bestehende Zertifikate noch nach den geltenden Vorschriften der Richtlinie 93/42 bis in die Jahre 2023, 2024 verlängert, andere werden in den nächsten Wochen schon nach der MDR auditiert. Zur Vorbereitung auf diese Maßnahmen ist neues Personal eingestellt worden, das sich fast ausschließlich mit den dokumentarischen Anforderungen befasst. Sicherlich gibt es aber auch Einzelfälle, in denen sich die Abläufe problematischer darstellen. Besonders schwierig wird es für Unternehmen, deren Benannte Stellen sich nicht mehr für eine MDR-Notifizierung beworben haben. Für sie ist es aktuell nahezu unmöglich, eine neue Benannte Stelle zu finden, die noch fristgerecht neue Aufträge erledigen könnte.

Hinter all den hohen Anforderungen und dem hohen Aufwand steht doch das in der MDR vorrangig beschriebene Ziel, Produkte sicherer zu machen und den Patientenschutz zu verbessern. Ist ab­sehbar, dass dieses Ziel erreicht wird?

Speziell dentale Medizinprodukte haben bisher schon eher ein geringes oder mittleres Risiko gehabt. Dies zeigt sich schon an der geringen Anzahl von Meldungen über Rückrufe von Produkten oder über meldepflichtige Vorkommnisse. Unsere Produkte waren selten betroffen. Inwieweit jedoch zukünftig eine höhere Si­cher­heit gegeben ist, wird sich zeigen. Grund-­sätzlich sind dentale Medizinprodukte seit langer Zeit schon sicher, und wir bezweifeln, dass sichere Produkte durch einen enorm höheren Dokumentationsaufwand noch sicherer gemacht werden können.

Kann es zu Engpässen auf dem Markt kommen, wenn die Produkte der
Her­steller aufgrund der unzureichenden Kapazitäten bei den Benannten Stellen nicht rechtzeitig nach den MDR-Regeln geprüft werden können?

Der Gesetzgeber hat vernünftigerweise in Artikel 120 MDR eine Übergangsregelung eingebaut. Alle Zertifikate, die die Hersteller schon besitzen, gelten bis zu dem im Zertifikat genannten Ablaufdatum. Zusätzlich können Hersteller noch bis zum 26. Mai 2020 Audits nach geltendem Recht durchführen, das heißt auch diese erteilten Zertifikate gelten bis zum Ablaufdatum, maximal jedoch bis zum 26. Mai 2024.

Mit dem am 27. Dezember 2019 im EU-Amtsblatt veröffentlichten zweiten
Korrigendum sind auch Klasse-1-Produkte in die Übergangsregelung einbezogen worden. Welche Bedeutung hat diese Regelung für Industrie und Anwender?

Es gibt viele Produkte, die nach heutigem Recht noch zur Klasse 1 gehören, zukünftig aber unter der MDR höhergestuft werden müssen und damit die Einbindung einer Benannten Stelle erforderlich wird. Dazu gehören etwa wiederverwendbare Instrumente oder auch die Vielzahl von Produkten, die Nanomaterial enthalten, wie Abformmaterialien. Für diese Produkte hätte am 26. Mai 2020 ein nach MDR gültiges Zertifikat vorliegen müssen. Da dies jedoch aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Benannten Stellen nicht zu verwirklichen gewesen wäre, hätten die Produkte ab Mai 2020 nicht mehr auf den Markt gebracht werden können. Insofern mussten die EU-Kommission und die EU-Mitgliedstaaten handeln und sie haben dies auch aufgrund der massiven Einsprüche der medizintechnischen Industrieverbände getan.

Da es weiterhin viele nicht gelöste Probleme gibt und eine vollständige Implementierung der MDR bis 26. Mai unmöglich erscheint, wäre es nicht sinnvoll, die Übergangsfrist über den Stichtag hinaus deutlich zu verlängern?

Für alle Beteiligten, ob Mitgliedstaaten, EU-Kommission, Benannte Stellen, Behörden, Industrie oder Anwender, wäre eine Verlängerung der Übergangsfrist nicht nur sehr sinnvoll, sondern unbedingt notwendig. Erst wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind (ausreichende Zahl an benannten Stellen, delegierte Rechtsakte, gemeinsame Spezifikationen, Leitlinien zur Umsetzung, volle Funktionsfähigkeit von Eudamed) wäre eine reibungslose Anwendung der MDR möglich. Die Politik hat allerdings deutlich gemacht, dass eine Verlängerung der Übergangsfristen nicht beabsichtigt ist. Ein holpriger Start ist damit gewiss.

Gibt es bei der Implementierung der MDR spezielle Probleme, die für die Dental-
industrie besondere Bedeutung haben?

Viele Hersteller von Materialien wissen heute noch nicht, wie ihre Produkte zukünftig klassifiziert werden sollen. Sofern die Produkte Nanomaterial enthalten, kann es Klasse IIa, IIb oder III werden. Die Einstufung ist abhängig von der internen Exposition des Produkts. Diese kann „unbedeutend, niedrig, mittel oder hoch“ sein. Noch weiß niemand, wie diese Begriffe definiert werden und wie eine Abgrenzung zu der nächsthöheren Stufe erfolgen soll. Die EU-Kommission soll eine Leitlinie dazu erarbeiten, ob diese jedoch die mit dieser Regelung verbundenen zahlreichen Probleme lösen kann, ist mehr als fraglich. Hersteller benötigen diese spezifischen Informationen dringend, damit sie rechtzeitig Planungssicherheit haben, denn viele unternehmerische Entscheidungen hängen davon ab, dass wir genau wissen, was auf uns zukommt.

Von der Implementierung der MDR sind auch die Anwender, also Zahn­ärzte und Dentallabore betroffen. Welche Herausforderungen müssen sie bewältigen?

Die Anforderungen an die Anwender werden auch größer. Für Dentallabore sind die Einführung eines Risikomanagementsystems oder eines QM-Systems bindend. Sofern sie ihre Prozesse bereits auf die überarbeitete Norm DIN EN ISO 13485:2016 abgestimmt haben, sind in aller Regel die Anforderungen an die MDR erfüllt. Der Verband Deutscher Zahntechniker-Innungen (VDZI) hat für die Umstellung auf die MDR Handlungsempfehlungen erarbeitet. Diese befassen sich vor allem mit dem von den Laboren einzuführenden Risikomanagement, dem Plan zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen, dem System für die Erfassung von Vorkommnissen, der Meldung von schwerwiegenden Vorkommnissen und Rückrufen und der Bestellung einer für die Einhaltung der Regulierungsvorschriften verantwortlichen Person.

Dentallabore haben bisher von einer speziellen Regelung im deutschen Medizinproduktegesetz profitiert. Hersteller durften Zwischenprodukte, die für die Herstellung von Sonderanfer­tigungen vorgesehen waren, mit der CE-Kennzeichnung versehen. Das MPG gilt jedoch ab 26. Mai nicht mehr und eine vergleichbare Regelung fehlt in der MDR. Hat das Konsequenzen?

Sofern diese Möglichkeit nicht mehr gegeben wäre, wären die vom Hersteller zur Verfügung gestellten Produkte nicht-zertifizierte Vorprodukte, das Labor würde dann zum Hersteller im Sinne der MDR mit allen Verpflichtungen, die ein Hersteller erfüllen muss. Viele kleine Labore wären mit diesen Anforderungen überfordert.

Das deutsche Gesundheitsministerium hat jedoch bereits durch eine öffentliche Stellungnahme sei­nes Staatssekretärs Gebhardt ver­deutlicht, dass es an der bestehenden Regelung auch ohne MPG festhalten will. Auf EU-Ebene wird sich die MDCG um eine entsprechende Umsetzung, wahrscheinlich in Form einer Leitlinie, kümmern.

In Zeiten wachsender Mög­lich­keiten, Produkte digital, etwa per CAD/CAM, zu fertigen, ist die Frage in den Vordergrund getreten, ob im Labor oder in der Zahnarztpraxis gefertigte Produkte als serienmäßig ge­fertigt oder als Sonder­anfertigung anzusehen sind …

Die MDR definiert den Begriff „Sonderanfertigung“ in Artikel 2 Absatz 3. Ein Medizinprodukt gilt als Sonderanfertigung, wenn es eigens für einen namentlich genannten Patienten geschaffen wird, spezifischen Auslegungsmerkmalen genügt und den angestrebten therapeutischen Nutzen entfaltet.

Wesentliches Merkmal einer Son­deranfertigung ist die Herstellung des Produkts aufgrund einer Verordnung von einem qualifizierten Berufsträger, zum Beispiel einem Zahnarzt. Ob die Herstellung manuell oder mittels eines industriellen Verfahrens erfolgt, ist dann nicht mehr von Belang.

Der VDDI hat diese Problematik ausführlich in einem Positionspapier „über den Umgang mit Sonder­anfertigungen entsprechend der MDR“ erörtert. Auch die EU-Kommission hat sich bereits dazu geäußert und die Herstellungsmethode als „nicht relevant“ bezeichnet.

Haben auch Zahnärzte zukünftig erweiterte Pflichten?

Solange der Zahnarzt und das Dentallabor ausschließlich Sonderanfertigungen herstellen, ist er von der CE-Kennzeichnungspflicht und damit auch von den Pflichten, die von Herstellern gefordert werden, befreit. Er muss allerdings die in Anhang XIII aufgelisteten Informationen zur Konformität der Sonderanfertigung ausnahmslos beifügen. Bislang war dies nur bei Sonderanfertigungen der Klasse IIa und höher erforderlich.

Aus Zahnarztpraxen und Laboren dringt häufiger die Frage an die Hersteller, ob Produkte, die sie erworben haben und bei ihnen gelagert werden, weiterverwendet werden dürfen.

Grundsätzlich gilt, dass alle Produkte, die der Anwender bereits verwendet oder die sich bereits in seinem Bestand oder seinem Lager befinden, von den neuen Regelungen nicht betroffen sind. Darüber hinaus dürfen Medizinprodukte, die Zahnarztpraxen und Dentallabore bis zum 25. Mai 2025 erwerben, gemäß dem wichtigen Paragraphen 120, Absatz 4 der Verordnung sowohl nach den Regeln der MDD als auch der MDR in Verkehr gebracht worden sein. Medizinprodukte, die nach dem 26.Mai 2025 erworben werden, müssen entsprechend der MDR in Verkehr gebracht worden sein. In allen Fällen ist natürlich ein eventuelles Ablaufdatum zu beachten.

Die zusätzlichen finanziellen Aufwendungen bei den Her­stellern sind enorm. Höhere Kosten aufgrund zusätzlichen Personals, deutlich höhere Gebühren, die die Benannten Stellen verlangen: Müssen wir damit rechnen, dass Hersteller Produkte vom Markt nehmen werden?

Diese Frage kann heute noch niemand beantworten. Jedes Unternehmen entwickelt eigene Geschäftsmodelle, dabei werden die Hersteller selbstverständlich auch prüfen, inwieweit die Herstellung bestimmter Produkte aus wirtschaftlicher Sicht zukünftig noch vertretbar ist. Produkte mit einem geringen Umsatz und hohen regulatorischen Anforderungen stehen fraglos vorrangig auf dem Prüfstand. Es dürfte aber als sicher gelten, dass die bisherige Produktvielfalt und damit auch die Produktauswahl eingeschränkt wird.