Sie haben wohl nicht ganz Unrecht, die Fachleute, die beim Europäischen Gesundheitskongress München Ende September Gründe für die viel zu langsame Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems diskutierten. Strukturelle Hemmnisse wie der Föderalismus oder unzureichende Standards beim Datenaustausch kann man nicht ändern oder will sie nicht ändern. Andererseits gibt es unter deutschen Bürgern immer mehr Befürworter digitaler Anwendungen im Gesundheitswesen, von der eGK bis zur ePA.
Bei Ärzten und Zahnärzten ist die Bereitschaft, den digitalen Wandel konsequent mitzugehen, verhaltener. Das liegt aber weniger daran, dass der Nutzen für den Patienten nicht erkannt wird, sondern daran, dass Kosten und Mehraufwand letztlich an den Ärzten und Zahnärzten hängenbleibt. Oder dass man – und diese Sorge ist sicher nicht ganz unberechtigt – fürchtet, noch mehr Zeit in die Verwaltung von Daten investieren zu müssen.
Daten sind allerdings der Rohstoff der Zukunft, wenn man an Gesundheitsanwendungen denkt, und zwar langfristig verfügbare Daten, denn Momentaufnahmen helfen in einer schnell alternden Gesellschaft wenig.
Japan, das unter den Industrienationen als die am schnellsten alternde Gesellschaft gilt – mehr als ein Viertel der Bevölkerung ist 65 Jahre und älter –, hat dies erkannt. Dort hat, so ein Report des Hasso Plattner Instituts, die Regierung ein regulatorisches System für ein Gesundheitssystem geschaffen, das fit ist für die nächste Generation. Ziel war es, medizinische Daten und Technologien für ein nachhaltiges Gesundheitssystem besser nutzbar zu machen, und gleichzeitig neue Geschäfts- und Investitionsmöglichkeiten zu eröffnen, damit ein solches System überhaupt finanzierbar bleibt.
Prof. Dr. Erwin Böttinger, der Autor des Reports: „Die Digitalisierung ist der Schlüssel zu einer nachhaltigen Entwicklung des Gesundheitswesens. Für die erfolgreiche Umsetzung ist es notwendig, einen umfassenden strategischen Ansatz und eine zentrale Koordination zu entwickeln.“ Er ist überzeugt, dass das japanische wie das deutsche Gesundheitssystem von einschlägigen Kooperationen erheblich profitieren könnten.
Der Bericht vergleicht das japanische mit dem deutschen Gesundheitssystem. In Deutschland werden Datenschutz und Datensicherheit sehr ernst genommen, was zu Verzögerungen führt. Erhobene Daten sind in Deutschland wegen unzureichender Strategien, fehlender Koordination und rudimentären Standards schwer bis gar nicht nutzbar.
Japan dagegen setzt auf einheitliche Datenstandards. Patienten werden über sämtliche Daten, die etwa bei Arztbesuchen gewonnen werden, von ihren Ärzten informiert. Sie können ihre Daten jederzeit per Opt-out dem Zugriff entziehen. Freigegebene Daten werden von akkreditierten Dienstleistern anonymisiert und stehen dann der Regierung, pharmazeutischen Unternehmen und wissenschaftlichen Institutionen zur Verfügung. Auf Basis dieser Daten entwickelte Behandlungsverfahren und Medikamente kommen dann wieder den Patienten zugute. „Big Health Data“ bedeuten in Japan „Big Health Opportunities“.