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E-Rezept als Papiertiger

„Das neue E-Rezept erleichtert viele Arzt und Apothekengänge. Nach der Visite übersenden Ärztinnen und Ärzte das Rezept papierlos auf das Smartphone. Mit der E-Rezept-App der Gematik können die Verschreibungen in der Apotheke der Wahl vorbestellt und eingelöst werden.“

Stillstand beim Rollout?

Patienten und (Zahn-)Ärzte lehnen sich zurück, genießen die große Gematik-Harmoniewolke und denken: „Alles ist gut.“

Ein Blick in den Google play store zeigt: „über 100.000“ Downloads“ für die E-Rezept-App der Gematik. Nach Angaben der Gematik wurde die App in allen gängigen Stores bisher 320.000 mal heruntergeladen – bei über 73.000.000 GKV-Versicherten. Das heißt, 0,44 Prozent der GKVVersicherten sind „E-Rezept ready“.

Der schöne digitale Schein

Bei der Gematik klingt das dann so: „Die E-Rezept-App bietet darüber mit einem ‚durch und durch‘ digitalen Weg zahlreiche Mehrwerte bei der Nutzung des E-Rezepts: etwa die Apothekensuche und das Zuweisen des E-Rezepts an eine Apotheke, ohne zuvor dafür dorthin gehen zu müssen.“

Ja, es könnte alles so schön digital sein. Derzeit bastelt die Gematik an einer „eGK-Lösung“ für das E-Rezept. Es läuft nicht rund bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems.Sie kostet sehr viel Geld, und am Ende gibt es einen Papierausdruck wie bisher. Bislang freut sich wohl nur die Industrie über den warmen Geldregen, den die GKV aus dem Füllhorn der Versicherten-Beiträge, über sie ergießt. Ist das der politische Plan?

Ein Bild, das rechts vor einem dunkelblauen Fonds ein angeschnittene Medikamentenglas mit Schraubverschluss zeigt, aus der Pillen schwerelos herausschweben.

Noch ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens hierzulande mehr schöner Schein als Realität. Auch der Rollout des E-Rezepts startet stolpernd.

Die rechtlichen Grundlagen für das E-Rezept hatte noch Turbominister Jens Spahn mit dem „Gesetz zum Schutz elektronischer Patientendaten in der Telematikinfrastruktur“ (Patientendaten-Schutz-Gesetz – PDSG) im Herbst 2020 gelegt. Von da an sollte alles ganz schnell gehen – wie sonst. Ab 1. Januar 2022 sollte das E-Rezept zwingend eingeführt werden. Neugesundheitsminister Karl Lauterbach durfte direkt aktiv werden: „Beim E-Rezept gab es nicht unerhebliche technische Umsetzungsprobleme“. Die Testphase für das E-Rezept endete am 31. August dieses Jahres. Am 1. September startete der bundesweite Rollout des E-Rezepts in den zwei Testregionen Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe. Für die nächste Phase wurde Erfolgskriterien beschlossen, die in diesen

beiden Regionen erfüllt sein müssen. Immerhin hat hier jemand gelernt, dass starre ministerielle Ansagen nicht unbedingt etwas mit der Realität zu tun haben.

Doch bei Schleswig-Holsteins Ärzten ruht schon wieder still der E-Rezept-See. Hier grätschte die Landesdatenbehörde dazwischen und sah datenschutzrechtliche Problemfälle. Auch die KBV ist mit Kritik wie gewohnt wenig zurückhaltend. „Die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen stehen der Digitalisierung grundsätzlich offen gegenüber – wenn sie denn funktioniert und den Praxen die Arbeit erleichtert. Das gilt auch für das E-Rezept. Und da zeigt sich: Von einem reibungslosen Funktionieren sind wir noch meilenweit entfernt“, wettert KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen.

Dagegen macht sich die KZBV einen gewohntschlanken TI-Fuß. „An den Rahmenbedingungen, unter denen das E-Rezept in den Regionen Schleswig-Holstein und Westfalen-

Lippe eingeführt werden sollte, hat sich nichts geändert“, stellte Dr. Karl-Georg Pochhammer, stellvertretender Vorsitzender der KZBV klar. „Es gab und gibt die E-Rezept-App der Gematik und den Ausdruck des E-Rezepts als sichere Übertragungswege für den E-Rezept-Token. Beide Wege sind mit dem Bundesbeauftragten für Datenschutz abgestimmt.“ Die KZBV und die KZV der Testregion Westfalen-Lippe halten an der geplanten Einführung des E-Rezepts fest. „Auch in Schleswig-Holstein werden die Zahnarztpraxen weiterhin beim Rollout begleitet“, heißt es etwas vage von der KZBV.

Die Probleme der anderen

So ganz unverständlich ist die Zurückhaltung der zahnärztlichen Standesvertretung angesichts der unterschiedlichen ärztlichen Realität dann wiederum auch nicht. Täglich werden in Arzt- und Zahnarztpraxen etwa zwei Millionen Rezepte ausgestellt. „Der Anteil der von Zahnärzten verschriebenen Rezepte lag in 2020 bei 7,88 Millionen Verordnungen, was einem Anteil von 1,1 Prozent an allen Verordnungen entspricht“, teilte die KZBV auf Anfrage mit.

Doch bei der KZV Schleswig-Holstein regt sich auch Widerstand gegen den Rollout des E-Rezept in der Testregion. „Der Ausdruck eines QR-Codes auf ein weißes Blatt Papier anstelle der Ausstellung eines rosa Rezeptformulars ist kein elektronisches Rezept“, hadert der Vorstandsvorsitzende der KZV SH, Dr. Michael Diercks. „Die Ziele, die die Politik mit dem E-Rezept verfolgt, sind derzeit nicht realisiert: Der bürokratische Aufwand für die Erstellung des E-Rezepts in den Praxen wird nicht etwa reduziert, sondern erhöht sich sogar. Medienbrüche bestehen weiterhin. Und auch für die Patienten

wird es nicht einfacher. Sie müssen nach wie vor mehrfach in die Apotheke gehen, wenn ihr Medikament nicht vorrätig ist und bei Rezeptnachbestellungen weiterhin in die Praxis kommen“, kritisiert Peter Oleownik, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KZV SH.

Oder, wie es bei der Gematik heißt: „Die Vorteile eines E-Rezepts liegen klar auf der Hand“. Lägen ja – liegen nein.