Anzeige

Zahnärzte kommen, wenn sie gerufen werden

Seniorin im Pflegeheim

Dr. Thomas Einfeldt ist Vizepräsident der Zahnärztekammer Hamburg, Referatsleiter für Alterszahnheilkunde und niedergelassener Zahnarzt in der Hansestadt. Im Interview mit dzw-Redakteurin Evelyn Stolberg spricht er über Hausbesuche, Kooperationsverträge und seine Motivation, sich in der Seniorenzahnmedizin zu engagieren.

Herr Dr. Einfeldt, die Zahl der Pflegebedürftigen steigt und mit ihr der Bedarf an aufsuchenden Zahnärzten. Gibt es genügend Kollegen, um den Bedarf zu decken?

Dr. Thomas Einfeldt: Glücklicherweise arbeiten in Hamburg Zahnärztekammer und KZV Hand in Hand zu dieser Frage. Anfang 2019 haben wir gemeinsam eine Umfrage entwickelt. Die KZV hat einen Pool von großen und kleinen, in der City und Randgebieten gelegenen Praxen mit jungen und älteren Zahnärztinnen und Zahnärzten gebildet. Dieser Kreis wurde dann angeschrieben. Nach unserer Auffassung ist dieses Vorgehen repräsentativer, als wenn man Kollegen im allgemeinen Rundschreiben anspricht. Von den 200 angeschriebenen Praxen, das sind rund 10 Prozent der Kollegenschaft, haben 47 Prozent geantwortet. Davon gaben wiederum 90 Prozent an, dass sie bereit sind, Hausbesuche zu machen. Im Jahr 2018 haben diese 84 Kollegen 664 Hausbesuche absolviert. Die Zahl wirkt vielleicht gering. Laut unserer Umfrage steigt die Summe der Hausbesuche in Wohnungen und Einrichtungen allerdings kontinuierlich.

Was denken Sie – warum ist das so?

Einfeldt: Dass Zahnärzte Hausbesuche machen, hat sich noch nicht überall herumgesprochen. Viele immobile Pflegebedürftige, ihre Angehörigen und auch die Pflegedienste stellen die zahnmedizinische Betreuung oft hinten an, versuchen andere – vermeintlich wichtigere – gesundheitliche Probleme zunächst zu regeln, bevor sie auf die Idee kommen, auch die Mundhöhle wieder in eine regelmäßige Früherkennung und Betreuung einzubeziehen. Für den Fall, dass die Patienten oder ihre Betreuer keinen aufsuchenden Zahnarzt finden, helfen die Zahnärztekammer und die KZV weiter.
Auf unserer gemeinsamen Homepage gibt es außerdem eine Zahnarztsuche, die mit dem Kriterium „Hausbesuch“ ausgerüstet ist. So kann auf direktem Weg ein Kontakt hergestellt werden. Vielleicht hat Hamburg als Stadtstaat mit kurzen Wegen und einem dichten Praxisnetz bei der aufsuchenden Betreuung weniger Probleme als Flächenstaaten. Einzelne, besonders gelagerte Fälle landen zwar manchmal auf meinem Schreibtisch, da ich mich als im Kammervorstand zuständiger Referent dann persönlich um eine Vermittlung kümmere. Aber auch über unsere Bezirksgruppen-Obleute ist es bislang noch immer gelungen, eine Lösung zu finden.

Seit Januar 2019 hat jedes Pflege- und Seniorenheim in Deutschland die Möglichkeit, sich innerhalb von drei Monaten einen Zahnarzt vermitteln zu lassen. Klappt das?

Einfeldt: Ich kann nur für Hamburg sprechen – mir sind keine Probleme bekannt. Auch auf den Koordinierungskonferenzen der BZÄK mit den verschiedenen Länderreferenten ist diese Vermittlung kaum ein Problem – eher, dass die Pflegeeinrichtungen auf Nachfrage durch Zahnärzte signalisieren, sie seien „ausreichend“ versorgt, was immer das bedeutet. In den Geschäftsstellen von Kammer und KZV wurden derzeit jedenfalls keine Fälle von Beschwerden registriert – Zahnärzte kommen, wenn sie gerufen werden.

Dr. Thomas Einfeldt

Dr. Thomas Einfeldt ist Vizepräsident der Zahnärztekammer Hamburg, Referatsleiter für Alterszahnheilkunde und niedergelassener Zahnarzt in der Hansestadt.

Die Pflegebedürftigen in Seniorenheimen sind nur die Spitze des Eisbergs. Wie können Zahnärzte auch die Betreuung der Hochbetagten, die zu Hause gepflegt werden, meistern?

Einfeldt: In der Tat werden zwei Drittel der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt, entweder von Angehörigen oder in Kombination mit ambulanten Pflegediensten. Viele von diesen Pflegebedürftigen sind in ihrer Mobilität eingeschränkt und können nur mit Aufwand – durch Krankenfahrten oder Krankentransporte – eine Zahnarztpraxis erreichen. Es ist mir nicht bekannt, wie viele dieser Pflegebedürftigen komplett bett­lägerig sind und damit die am schwersten zu betreuende Patientengruppe. Aber, wie schon gesagt, sind die Hamburger Zahnärzte grundsätzlich bereit, Hausbesuche durchzuführen. Ein orientierender Hausbesuch ist an und für sich eine einfache Dienstleistung – er muss nur geplant sein. Ein wenig Erfahrung, welche Instrumente und Utensilien nützlich sind, ist hier ebenfalls hilfreich.
Die Zahnärztekammer Hamburg bietet einen schriftlichen Ratgeber zu diesem Thema an, für Kolleginnen und Kollegen, die sich mit Hausbesuchen noch nicht so auskennen. Auch gibt es Fortbildungskurse, Qualitätszirkel und Gesprächskreise. Leider wird dieser Aufgabenbereich nur an wenigen Universitäten in der Studierendenausbildung vorgestellt: Auch ein Grund für eine Studienreform und neue Approbationsordnung, doch das ist ein anderes Thema.

Wo liegt die größte Herausforderung?

Einfeldt: Die aufsuchende Zahnmedizin zu Hause beim Patienten kann nur gelingen, wenn sie unkompliziert in den Praxisalltag integriert werden kann. Lange Anfahrtswege, Verkehrsstaus, Parkplatzsuche – das steht der Aufgabe im Weg. Jedoch sind in Hamburg die Wege kurz, und in jedem Wohnviertel der Stadt gibt es Zahnärzte „um die Ecke“. Da kann man zu Fuß zum Patienten gehen sowie vor und nach den Praxiszeiten oder mittags Hausbesuche einplanen – wenn es nicht zu viele werden. Denn eines ist klar: Der Hausbesuch sollte immer eine begründete Ausnahme sein, die Regelversorgung und Betreuung der Patienten gehört in die Praxen.
Die Dienstleistung „Hausbesuch“ wird von der Sozial- und Gesundheitspolitik wohl bewusst nicht so gut honoriert, dass sich viele Zahnärzte danach sehnen; aber sie wird honoriert! Und wenn man es richtig macht, ist der Hausbesuch keine wirtschaftliche Strafe. Wenn sich in der Zukunft zeigt, dass der Bedarf steigt und nicht anders zu decken ist, ist es Aufgabe von Kammer und KZV, auch betriebswirtschaftlich begründete Honorarsteigerungen zu fordern und durchzusetzen. Dabei muss man auch überlegen, ob die theoretisch freie Arztwahl aufrechterhalten werden kann. Ich glaube nicht, dass man erwarten darf, dass ein Zahnarzt 20 Kilometer durch die Stadt fährt, wenn es in unmittelbarer Nähe des Patienten niedergelassene Kollegen gibt. Mir wurde schon gesagt, „kommen Sie mal zu mir nach Hause, das ist für mich bequemer“. Dieser Kommentar ist natürlich die Ausnahme, aber ich habe in diesem speziellen Fall ziemlich klar gemacht, dass ich schon erwarte – sofern es möglich ist – dass die Patienten in die Praxis kommen.

Sie sind selbst niedergelassener Zahnarzt: Welche Rolle spielt die Alterszahnheilkunde bei Ihnen? Haben Sie Kooperationsverträge mit Heimen abgeschlossen?

Einfeldt: Ich habe in der Vergangenheit Hausbesuche und Heimbetreuungen übernommen. Auch jetzt bin ich neben meiner normalen Praxis- und der Vorstandstätigkeit noch aktiv in der aufsuchenden Zahnmedizin. Einen Kooperationsvertrag habe ich allerdings nicht geschlossen, das würde meinen zeitlichen Rahmen sprengen. Ich bin jetzt 61 Jahre alt. Dies ist meine letzte Legislaturperiode im Kammervorstand. Wenn ich meine Praxis abgebe und vielleicht kürzer trete, als angestellter Zahnarzt, und berufspolitisch nicht mehr so aktiv bin, dann hätte ich auch Zeit für die Aufgaben eines Kooperationsvertrags, den dann aber mein „Chef“ schließen muss.

Was ist Ihre persönliche Motivation, in der Alterszahnheilkunde aktiv zu sein?

Einfeldt: Ich habe mich immer für Prävention interessiert. Die Erfolge der Zahnmedizin werden durch die Mundgesundheitsstudie eindrucksvoll dokumentiert: Senioren und Hochbetagte haben mehr eigene Zähne und auch Implantate. Da braucht es ein Konzept, wie diese gesund zu erhalten sind. Und ich selbst möchte doch auch im hohen Alter derartige Dienstleistungen in Anspruch nehmen können – das ist ganz in meinem persönlichen Interesse.