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Unis dicht, Zahnkliniken geöffnet

Behandlungssituation mit zwei Behandlern

Es werden weiter Patienten behandelt, wie etwa im Provinzialkrankenhaus Herat (Archivbild), aber die zahnärzliche Ausbildung ist seit der Machtergreifung der Taliban gestoppt.

Afghanistan ist wieder in der Hand der Taliban. Westliche Regierungen und Hilfsorganisationen wurden von dem Durchmarsch kalt erwischt, fast alle Ausländer haben das Land inzwischen verlassen. Und jetzt? War die Aufbauleistung der letzten 20 Jahre vergebens oder können zumindest die humanitären Hilfsprojekte fortgesetzt werden? „Es ist derzeit ungewiss, ob wir unsere Unterstützung fortsetzen können; wenn ja, dann wird es aber wohl anders laufen als bisher“, sagt Udo Stolte, Vorsitzender von Shelter Now Germany e.V., einer Hilfsorganisation, die seit 38 Jahren in Afghanistan tätig ist und zuletzt 40 Projekte unterstützte. Dazu gehören auch der Aufbau und der Betrieb von insgesamt vier Zahnkliniken in der Provinz Herat.

Drei zahnmedizinische Einrichtungen sind inzwischen so weit fortgeschritten, dass sie von den Afghaninnen und Afghanen eigenständig betrieben werden können, wenn sie es denn dürfen. „Derzeit arbeiten die Zahnklinik im Provinzkrankenhaus und die zahnmedizinische Abteilung in einer Mutter-Kind-Klinik. Sie sind Teil des öffentlichen Gesundheitswesens, dessen Fortbestand den Taliban in Herat sehr wichtig ist“, erklärt Ewald Göttler, Projektverantwortlicher, der vor wenigen Monaten noch selbst vor Ort war. Anders sieht es mit dem „Ausbildungszentrum für Zahngesundheit“ der Universität Herat aus, das wie die gesamte Hochschule und viele andere Schulen geschlossen wurde. Wie diese Bildungseinrichtung, die in Afghanistan einen sehr guten Ruf besitzt und pro Jahr 120 Studentinnen und Studenten ausbildet, weiter betrieben werden kann, hängt von der Entscheidung der Taliban ab. „Bislang wurden die Studentinnen und Studenten gemeinsam unterrichtet: Auf der einen Seite saßen die weiblichen und auf der anderen Seite die männlichen Hörer. Zum Lehrkorps gehören auch drei Dozentinnen. Ob sie weiterarbeiten und Frauen unterrichten dürfen, ist bislang nicht klar“, so der Projektverantwortliche. Das Ausbildungszentrum wurde ebenso wie das Provinzkrankenhaus vor einigen Jahren in die Verantwortlichkeit der Regierung gegeben, die den Betrieb sichergestellt und die Löhne gezahlt hat. Ob auch die neuen Machthaber dazu in der Lage sind, wird sich zeigen.

Hoffnung auf Fortführung der Projekte

Stolte und Göttler erkennen bei der neuen Regierung ein strategisches Vorgehen, vielleicht sogar mehr Weitsicht als unter dem letzten Taliban-Regime. „Sie haben zunächst die Schlüsselpositionen in Herat ausgetauscht und auch schon einen neuen Chief Public Health ernannt. Die Taliban sind gebildeter als die vor 20 Jahren, einige sprechen Englisch und haben zum Teil Verwaltungserfahrung. Und sie stehen unter Druck: Sie müssen liefern, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen“, so Göttler. Denn fast unbemerkt von der Tragödie am Kabuler Flughafen macht sich eine Hungerskatastrophe im Land breit. „Wir hatten eine Dürre, die Ernteerträge sind niedrig und die Landbevölkerung hat keine Nahrungsreserven mehr. Gleichzeitig explodieren die Preise, Hilfslieferungen kommen kaum noch ins Land und die vielen Binnenflüchtlinge verschärfen die Versorgungslage weiter. Etwa 20 Millionen Menschen sind akut von Hunger bedroht“, schildert der Vorsitzende, dessen ausländische Mitarbeiter bis zur Evakuierung noch an der Verteilung von Babynahrung in der Hauptstadt beteiligt waren.
„Die Situation derzeit ist geprägt von Angst und Unsicherheit. Wenn sich die moderaten Kräfte unter den Taliban durchsetzen, dann bin ich optimistisch, dass wir unsere Projekte schnell wieder hochfahren können. Erste Signale gehen in die Richtung“, meint Stolte. Dazu würde dann auch der Betrieb einer ländlichen Zahnklinik westlich von Herat mit zwei Behandlungseinheiten für etwa 30.000 Menschen gehören, die derzeit noch im Bau befindlich ist.  
www.shelter.de

Brigitte Dinkloh