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Angestellt oder selbstständig in der eigenen Praxis?

Weichen

Die eigene Zahnarztpraxis ohne Risiken und Nebenwirkungen? Das geht! Die neue Genossenschaft "Zahnarztpraxis vor Ort eG" bietet Kollegen die Möglichkeit, die eigene Praxis erstmal als Angestellter zu führen.

In Westfalen-Lippe hat sich im Spätsommer 2018 eine Genossenschaft gegründet, die das Problem des Generationenwechsels angehen möchte: Die „Zahnarztpraxis vor Ort eG“ kauft fachlich gut aufgestellte Praxen mit einem guten Patientenstamm – insbeson­dere in ländlichen Gebieten – auf, die keinen Käufer finden. Jungen Kollegen bietet sie dort ein sicheres Angestelltenverhältnis und nimmt sie zugleich an die Hand: Erfahrene Kollegen stehen ihnen täglich online und ein­mal pro Woche persönlich mit Rat und Tat zur Seite. Zugleich wird das Backoffice übernommen, damit sich die „Neulinge“ ohne läs­tige Bürokratie voll und ganz auf die Patienten konzentrieren können. Quasi mit Netz und doppeltem Boden können die jungen Zahnärzte auf diese Weise in Ruhe herausfinden, wie es ist, eine eigene Praxis zu führen. Letztlich kann abschließend durch die Übernahme der Praxis der Schritt in die Selbstständigkeit münden – was jedoch kein Muss ist.

Ist das Modell vielleicht die Patentlösung für viele aktuelle Probleme? „Es kann auf jeden Fall eine mögliche Lösung sein. Wir können die Welt ja nicht immer in schwarz-weiß einteilen, sondern müssen schauen, wie wir die zahnmedizinische Versorgung in den kommenden Jahrzehnten sicherstellen. Dinge verändern sich, auch wenn das nicht jeder bei seiner täglichen Arbeit mitbekommt. Doch Entwicklungen aufhalten zu wollen hat noch nie zu etwas geführt“, sagt Dr. Wilfried Beckmann. Der Zahnmediziner arbeitet in seiner eigenen Praxis in Gütersloh und ist zugleich Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft. Warum man Lösungen wie die der „Zahnarztpraxis vor Ort eG“ anbieten muss, liegt für ihn auf der Hand: „Viele junge Kolleginnen und Kollegen fassen, anders als die vorherigen Generationen, zunächst keine direkte Niederlassung ins Auge. Sie möchten erst einmal für sechs bis zehn Jahre angestellt arbeiten, bevor sie sich selbstständig machen. Mit unserem Modell können sie diese Zeit sinnvoll nutzen.“

Ein weiterer Aspekt: Die meisten Zahnärzte, die aktuell selbstständig sind, gehen in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand. Es gibt aber nicht ausreichend junge Kollegen, die die Praxen übernehmen werden. Besonders im ländlichen Raum sieht es kritisch aus. Von vier Praxen wird voraussichtlich nur eine überleben, während die übrigen schließen müssen. Und die Zahl der Neugründungen im ländlichen Raum ist verschwindend klein. „Wir haben eine Erosion der Versorgungsstruktur im ländlichen Bereich. Dabei gibt es dort überraschend viele wirtschaftlich gut aufgestellte Praxen. Schon deshalb wollen wir der nächsten Generation die Möglichkeit bieten, sich dort als angestellter, aber dennoch eigenständig handelnder Kollege auszuprobieren“, erklärt Dr. Beckmann.

Die „Zahnarztpraxis vor Ort eG“ wird sich – was den Kauf von Praxen betrifft – auf Westfalen-Lippe beschränken. Das hat den Grund, dass Dr. Beckmann und seine Kollegen aus der Genossenschaft die Standorte persönlich betreuen werden. „Wir streben in dieser Phase kein bundesweites Modell an. Wenn jemand an einem anderen Ort dieses Modell übernehmen möchte, hätten wir kein Problem damit“, sagt er.
 

Dr. Wilfried Beckmann

Dr. Wilfried Beckmann ist Zahnarzt in Gütersloh und Vorstandsvorsitzender der neuen Genossenschaft "Zahnarztpraxis vor Ort eG".

Die Entscheidung fiel auf die Genossenschaftsform, weil man mit dieser Art von Zusammenschluss im zahnärztlichen Bereich bereits gute Erfahrungen gesammelt habe. „Wir wollen damit außerdem nach außen dokumentieren, dass wir ein Modell von Zahnärzten für Zahnärzte anbieten. Natürlich wollen wir schwarze Zahlen schreiben. Aber die Genossenschaft ist kein Profitcenter oder Renditeunternehmen.
An jedem Standort sollen ein bis zwei Zahnärzte arbeiten. Sobald sich ein Angestellter dafür entscheidet, die Praxis zu übernehmen, wäre dieser Übergang laut Dr. Beckmann problemlos möglich. „Eigentlich geht es dann nur noch darum, die Praxis zu bewerten. Letztlich ist dieser Schritt ja genau der gewünschte Generationenübergang, den wir anstreben. Aber falls man, aus welchen Gründen auch immer, doch angestellt bleiben möchte, ist man trotz allem immer noch sein eigener Chef. Es ist, um es anders zu sagen, dann eben eine andere Form der freiberuflichen Tätigkeit.“  
Mit zwei Praxen hat die Genossenschaft bereits Vorverträge geschlossen, bis Ende 2019 sollen es weitere drei bis vier sein. Dann will man überlegen, in welcher Größenordnung sich das Konstrukt weiterentwickeln kann. Doch woher kommt eigentlich das Geld für die  Ankäufe? „Die Grundidee ist ja, dass wir Praxen übernehmen, die keinen Käufer gefunden haben. Die Erwartungen der Praxisabgeber sind deshalb nicht überzogen. Wir investieren anfangs in digitales Röntgen, in die Hygiene und die EDV, damit die Online-Kommunikation gewährleistet ist. Hierfür haben die Genossen eine Einlage geleistet. Für jeden Standort ist aber wieder eigenes Stammkapital erforderlich, für die Investitionen leihen wir uns Geld von der Bank – was wiederum zeigt, dass wir nicht renditeorientiertes Kapital ,parken‘ wollen.“

Um dem angestellten Zahnarzt den Übergang in die spätere Selbstständigkeit zu erleichtern, steht von Anfang an sein Name auf dem Praxisschild. Ein Branding wie bei einer Kette gibt es nicht. „Wir wollen nicht als Marke den Patienten gegenübertreten, sondern die Struktur erhalten, die später übernommen werden kann. Und der Kollege soll ja davon profitieren, dass er schon länger an seinem Standort tätig war.“