Bakteriell verursachte Entzündungen der Zähne und des Zahnhalteapparats gehören sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer zu den häufigsten oralen Erkrankungen. In Abhängigkeit von Intensität, Verlauf und Keimbeteiligung können sie durch direkte Fortleitung der verursachenden Keime in manchen Fällen zu lebensbedrohlichen Infektionen führen.
Verursacher sind primär meist tief kariöse Zähne oder massiv entzündete Zahnfleischtaschen, seltener Traumata. Von dort dringen die Keime Richtung Wurzelkanal vor. Dies führt zur Entstehung einer Pulpitis und letztlich zum Absterben des Zahns. Durch die Invasion von virulenten Erregern über das Foramenapicale hinaus in den Wurzelkanal kann sich eine chronische oder akute periapikale/apikale Parodontitis manifestieren. Bei bestimmten aggressiven Keimen entwickeln sich dann bei fehlender Möglichkeit eines Abflusses gingivale, parodontale oder perikoronare Abszesse. Nicht selten chronifizieren diese Prozesse und persistieren über längere Zeiträume. Die dentoalveolären Abszesse können sich über Fistelbildungen immer wieder entleeren, was zumindest kurzfristig zu einer Beschwerdelinderung führt.
Interagierende Keimspezies: Verursacher und Betreiber der Infektion
Entzündung und Eiterung sind praktisch immer polymikrobiell verursacht. Sämtliche beteiligte Keime sind zur Biofilmbildung in den Wurzelkanälen und zur Induktion akuter entzündlicher Prozesse und Eiterbildung fähig. Das mikrobielle Spektrum umfasst fakultative Anaerobier wie Strepto- und Staphylokokken sowie Actinomyceten, strikte Anaerobier und auch atypische seltene Keime. Aus dentalen Abszessen konnten mithilfe von PCR-Methoden bisher zwischen 400 und 500 verschiedene Bakterienarten isoliert werden. Selten findet man in Abszessen Reinkulturen, meist liegen Keimkombinationen von vier bis sieben verschiedenen Spezies vor.
Das Verhältnis von fakultativen zu strikten Anaerobiern beträgt durchschnittlich 3:1, in nur 20 Prozent wird die Entzündung ausschließlich von anaeroben Keimen verursacht. Häufig findet man ein Gemisch aus Bakterienstämmen wie Prevotella, Fusobacterium, Porphyromonas, Treponema, Streptokokken der Viridans-Gruppe, S. aureus und S. epidermidis. Allerdings können auch Clostridien und grampositive anaerobe Coccobacilli wie Atopobium und grampositive anaerobe Stäbchenbakterien wie Eubacterium und Cryptobacterium beteiligt sein. Da es sich beim Abszess um einen in sich weitgehend abgeschlossenen Raum handelt, kommen syn- und antagonistische Effekte der beteiligten Bakterien voll zum Tragen. Bestimmte Keimkombinationen profitieren von den durch ihre Mitbewohner freigesetzten Stoffwechselprodukten, mit deren Hilfe sie das Wirtsgewebe entsprechend aufbereiten und zerstören.
Frühsymptome einer fortgeleiteten Infektion nicht unterschätzen
Gefährliche, von odontogenen Infektionen ausgehende Komplikationen sind heute, nicht zuletzt durch rechtzeitige Diagnose und antibiotisch unterstützte Therapie, seltener geworden. Der Zahnarzt sollte allerdings alle dahingehend auftretenden Symptome wie Trismus, Heiserkeit, Schwellung oder Fieber als Alarmsignal werten. Es kann dann eine dringliche akute Notfallsituation bestehen, die sogar das Leben des Patienten hochgradig gefährdet. Neben der Entstehung einer ausgedehnten Kieferknochenosteomyelitis mit Knochensequestrierung können die Eitererreger auch über Faszienlogen weitergeleitet werden. Dies betrifft besonders den Mundbodenbereich und die oberen Halsregionen.
Über submandibuläre und sublinguale Räume bestehen Verbindungen zum Mylohyoid. Infektionen in diesem Bereich verursachen Schwellungen des Mundbodens, welche die Luftwege gefährlich einengen. In der Folge besteht auch Gefahr einer Epiglottitis oder retropharyngealer beziehungsweise peritonsillärer Abszesse, die ebenfalls zu Obstruktionen der Atemwege führen können. Eine absteigende nekrotisierendeMediastinitis ist zwar selten, geht aber in mehr als 60 Prozent der Fälle von einer odontogenen Infektion aus, meist von einem Abszess des zweiten oder dritten Molaren des Unterkiefers. Es handelt sich dabei um eine schwere Erkrankung mit einer Letalität von 37 bis 60 Prozent.
Ähnliches gilt für eine Weichteilinfektion des Halses, die zervikale nekrotisierende Fasziitis, bei welcher bakterielle Enzyme aus den Zellwänden der Erreger die Gewebe angreifen und so eine weitere Disseminierung der Infektion ermöglichen. Die Folgen reichen von Mediastinitis über Perikarditis, Pneumonitis bis zu haematogener Keimaussaat und Sepsis. Eine Mundbodenphlegmone kann sich auch nach kranial ausbreiten. Über den parapharyngealen Raum können sich so eine lebensgefährliche Meningitis oder ein Gehirnabszess entwickeln. Bei direkter Fortleitung der Infektion entsteht meist ein solitärer Abszess, bei bakteriämischer Aussaat kommt es zu multiplen Läsionen.
Eiternde Prozesse im Oberkiefer können in die Nebenhöhlen einbrechen
Infektionen der oberen Molaren können auf die Kieferhöhle übergreifen (odontogene Sinusitis) und sich von dort weiter in die Nasennebenhöhlen ausbreiten. Über die paranasalen Sinus, aber auch haematogen, kann die Augenhöhle infiziert werden. Orbitale Abszesse verursachen Augenlidödeme, Hyperthermie, Chemosis, Einschränkung der Sehschärfe und Augenmuskeldysfunktionen. Zudem besteht hier die Gefahr einer retrograden Ausbreitung zu den Meningen und dem Gehirn.
Das Lemierre-Syndrom ist eine eitrige Thrombophlebitis der Venajugularis mit septischen Embolien. Die Krankheit ist selten, aber wenn sie auftritt, in den meisten Fällen vom Mund- und Rachenraum ausgehend. Der häufigste beteiligte Keim ist Fusobacteriumnecrophorum. Eine haematogene Streuung pyogener oraler Keime kann besonders bei gefährdeten Patientengruppen wie Diabetikern oder nicht immunkompetenten Personen zu schweren Krankheitsbildern führen. Eine septische Sinus-cavernosus-Thrombose hat zu 7 Prozent ihren Ursprung in dentalen Infektionen. Die Verbreitung oral-pathogener Keime über das Blut kann auch zu Biofilmbildung und in der Folge zu Infektionen auf Devices wie künstlichen Herzklappen oder Gelenkendoprothesen führen. Schwere odontogene Infektionen bedürfen in jedem Fall einer sorgfältigen Überwachung und frühzeitiger Intervention zur Verhinderung gefährlicher Komplikationen.
DDr. Christa Eder, Wien
Dr. László Schuder, Wien
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Eliminierung von Infektionserregern bei Wahrung der Integrität des oralen Mikrobioms und vieles mehr. Mögliche Gefahrenquellen für Patienten und zahnärztliche Mitarbeiter, wie etwa durch Biofilmbildung in wasserführenden Systemen, werden aufgezeigt und diskutiert. Am Ende jedes Kapitels werden die wichtigsten Aussagen in kurzen Zusammenfassungen übersichtlich rekapituliert.
DDr. Christa Eder, Infektion Risiko Notfall,
Der Verlag Dr. Snizek e.U., Wien 2017, 188 Seiten, 12 Abbildungen, durchgehend vierfarbig,
39,90 Euro, ISBN 978-3-903167-02-5,
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