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Erhalte deinen Zahn – möglichst ohne Bohren

Carolina Ganß

Erosionen mit Adhäsiven versiegeln: Die Gießener Professorin und Vorsitzende der DGPZM, Carolina Ganß, erläuterte die sehr hohe Prävalenz bereits bei Jugendlichen.

Karies entsteht durch eine ökologische Katastrophe im Biofilm. Mikroorganismen organisieren sich und werden durch pathogene Stoffwechselprodukte und intensive Kommunikation untereinander virulent. Dann verursachen sie bei frequenter Zufuhr freier Zucker kariöse Läsionen. So weit, so bekannt.

Ungewohnt waren auf dem Münchner Kongress Plädoyers von renommierten Kariologen wie Prof. Elmar Hellwig (Universität Freiburg), dass Zahnärzte ihre Patienten wieder vermehrt auf eine vernünftige Ernährung hinweisen sollten. Dies ist auch vor dem Hintergrund hoher volkswirtschaftlicher Kosten und neuer WHO-Empfehlungen zu sehen. Danach sollten 5 bis maximal 10 Prozent der Energiezufuhr über freie Zucker erfolgen [1, 2].

Biofilm in den Griff bekommen

Wenn Patienten nicht optimal putzen können oder unter reduziertem Speichelfluss leiden, muss der Biofilm mit weiteren Maßnahmen bekämpft werden. Das heute praktizierte zwei- bis dreiminütige Zähneputzen verringert – im Vergleich zu den früher üblichen rund 30 Sekunden – die Plaquemenge um mehr als die Hälfte. Schwierigkeiten macht offenbar die fehlende Systematik. Prof. Nadine Schlüter (Universität Freiburg) nannte die Problemzonen: Approximalflächen, Oralflächen von Unterkiefer- und Bukkalflächen von Oberkiefermolaren und Zahnflächen um orthodontische Bänder.

Ein hohes Risiko besteht laut Schlüter auch für die kariöse Erkrankung freiliegender Wurzeloberflächen bei älteren Patienten. Grund ist, dass Dentin im Vergleich zu Schmelz schon bei einem pH-Wert demineralisiert wird, der um eine Einheit höher liegt. In den genannten Situationen könnten biofilmmodifizierende Produkte helfen, zum Beispiel CHX-Lacke, Xylit, Zinnverbindungen und Arginin. Bei ihrer Anwendung geht es laut Schlüter darum, ein gesundes ökologisches Gleichgewicht zu bewahren oder wiederherzustellen.

Ist bereits Zahnsubstanz verloren gegangen, sind remineralisierende Substanzen notwendig oder solche, die eine weitere Demineralisation hemmen. Der Klassiker Fluorid hilft laut Dr. Markus Altenburger (Universität Freiburg) grundsätzlich sogar unter kariogenen Bedingungen. Eine Reparatur in der Tiefe gelinge allerdings aufgrund der Schmelzstruktur nur sehr schwer. Als Folge könne die Karies unter einer intakten Oberfläche unbemerkt fortschreiten (Vortrag Prof. Hellwig).

Mehrere Referenten diskutierten in München eine neuere Methode mit biomimetischen Substanzen (Curodont Repair, Credentis). Diese triggern im Defektkörper die Bildung schmelzähnlicher Strukturen. Nach einer randomisierten Studie lässt sich okklusale Karies mit diesen biomimetischen Substanzen in Kombination mit hochkonzentriertem Fluoridlack (Duraphat, CP Gaba) inaktivieren und im Sinne einer Regeneration umkehren [3]. Dies gelingt signifikant besser als mit Fluoridlack allein – und auch unter der Oberfläche. Approximale Schmelzdefekte zeigen mit biomimetischer Mineralisation erstmals Remissionen im Röntgenbild [4]. Weitere klinische Studien sollten nach allgemeiner Auffassung folgen.

Literatur

  1. Moynihan PJ et al. J Dent Res 2014. 93 (1): 8-18.
  2. WHO, WHO; 2015.
  3. Alkilzy M et al. Caries Res 2015. 49 (4) 62nd ORCA Congress 2015, July 1-4, Brussels, Belgium: Abstracts (4):
  4. Schlee M et al. Stomatologie 2014. 111 (4-5): 175-181.
  5. Pitts NB et al. Caries Res 1992. 26 (2): 146-152.
  6. Dorri M et al. Cochrane Database Syst Rev 2015. 11 Cd010431.

Erosionen betreffen laut Prof. Carolina Ganß (Universität Gießen) nach einer Untersuchung zum Beispiel fast 45 Prozent einer Gruppe 15-jähriger Probanden in den Niederlanden (Thesis El Aidi H, Universität Nijmegen). Von diesen zeigten rund 10 Prozent sogar Dentinerosionen auf Okklusalflächen im Unterkiefer. Eine neue therapeutische Option ist die „Hybridisierung“ mit Dentinadhäsiven. Besonders effektiv zeigte sich in verschiedenen Studien das Produkt Clearfil SE (Kuraray).

Mehr als 40 Prozent aller approximalkariösen Läsionen, die bis ins äußere Dentindrittel reichen, haben keinen oberflächlichen Schmelzdefekt [5]. Entsprechend besteht hier auch keine absolute Indikation, Füllungen zu legen. Für eine sichere Approximalkaries-Diagnostik sollte laut Prof. Hendrik Meyer-Lückel (Universität Aachen) eine Bissflügelaufnahme angefertigt werden, am besten mit einem individuell angepassten Filmhalter (DMG).

Insgesamt wird laut Prof. Rainer Haak (Universität Leipzig) noch zu häufig invasiv eingegriffen – statt früh und nicht-invasiv zu handeln. Die Infiltration initialkariöser Defekte mit dünnfließendem Kunststoff (DMG) ist nach einer aktuellen systematischen Übersicht für nicht kavitierte Approximalkaries wirksamer als die rein präventive Anwendung von Fluorid oder Zahnseide [6]. Gesundheitsökonomisch zeigt sich die Infiltrationsmethode bei Dentinläsionen langfristig sinnvoller als bei Schmelzläsionen (Dr. Falk Schwendicke, Berlin). Auch dies spricht dafür, nicht zu früh invasiv vorzugehen.

Was Endodontologen zu den Themen Biofilm, externe Resorptionen und Trauma sagen, folgt im zweiten Teil dieses Beitrags.