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Evidenzlücke mit Leitlinie zu Kompositrestaurationen geschlossen

Unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) und der DGZMK ist im Mai 2024 die S3-Leitlinie „Direkte Kompositrestaurationen an bleibenden Zähnen im Front- und Seitenzahnbereich“ publiziert worden. Mit der S3-Leitlinie existiert für die Anwendung von Komposit jetzt erstmalig eine fundierte Aufbereitung der vorliegenden Evidenz auf Grundlage einer systematischen Literaturrecherche und -auswertung. Die bisherige S1-Handlungsempfehlung aus dem Jahr 2016 ist um die Themen Komposit im Front- und Seitenzahnbereich, in allen Kavitätenklassen und für alternative Indikationen wie Höckerersatz und Zahnformkorrekturen erweitert worden.

Komposit im Seitenzahnbereich: Erkenntnisse und Daten-Gap

In den vergangenen drei Jahrzehnten wurden in Deutschland bei kariesbedingten und nicht-kariesbedingten Defekten zunehmend zahnfarbene Kompositmaterialien verwendet. Die klinischen Erfahrungen von Zahnärzten mit dem Füllungswerkstoff sind groß. „Die Aufbereitung der Daten hat allerdings gezeigt, dass sich die langjährige klinische Erfahrung mit Komposit nicht unbedingt in der Datenlage zu Komposit als Werkstoff für direkte Restaurationen im Seitenzahnbereich widerspiegelt“, sagt die Leitlinienkoordinatorin und Mitautorin Prof. Dr. Diana Wolff aus Heidelberg. Komposit schnitt über viele Studien hinweg für die direkte Versorgung bei Klasse-I- und -II-Kavitäten „nur“ gleichwertig gegenüber Amalgam, Keramik und teilweise auch Glasionomerzement ab.

Prof. Dr. Diana Wolff

Professor Dr. Diana Wolff, ärztliche Direktorin der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde am Universitätsklinikum Heidelberg

Einschränkend muss jedoch angemerkt werden, dass die verglichenen Kriterien Retention, Fraktur und Sekundärkaries waren, nicht jedoch Ästhetik oder Invasivität der Restauration. Zudem hatte die Zusammensetzung der Kohorten in den vorhandenen Studien – immerhin elf systematische Reviews, inklusive neun Meta-Analysen – einen Einfluss. Oft waren Kinder einbezogen, deren Compliance für den techniksensiblen Werkstoff Komposit manchmal nachteilig war. Bei „reinen Kompositstudien“ an Erwachsenen ohne Vergleichs-Restaurationsmaterial waren die Ergebnisse deutlich besser. Dieser „Daten-Gap“ führte zur evidenzbasierten Kann-Empfehlung: „Kompositrestaurationen können für die direkte Versorgung bei Klasse-I- und -II-Kavitäten verwendet werden“, heißt es daher in der Leitlinie.

Stabilität 
bescheinigt

Die S3-Leitlinie enthält in Erweiterung zu der bisherigen S1-Handlungsempfehlung nun auch eine evidenzbasierte Empfehlung den Höckerersatz betreffend: „Kompositrestaurationen können bei Kavitäten mit Höckerersatz im Seitenzahnbereich angewendet werden.“ Eine Empfehlung, die von den Mandatierten aller beteiligten Fachgesellschaften im Konsens verabschiedet wurde. Die Literatur bescheinigt modernen Kompositmaterialien eine adäquate Frakturresistenz und Abrasionsstabilität. Indirekte Restaurationen kommen dann in Betracht, wenn die Verlagerung eines Teils des Fertigungsprozesses nach extraoral zum Beispiel aufgrund eingeschränkter Compliance, schlechter Zugänglichkeit oder komplexer Rehabilitation vorteilhaft ist.

Komposit im Frontzahnbereich

Für die Versorgung von Klasse-III- und -IV-Defekten sollen evidenzbasiert ausschließlich direkte Komposite verwendet werden. „Kompositrestaurationen zeigen bei guter bis exzellenter klinischer Qualität evident hohe Überlebensraten“, sagt die Methodikerin der Leitlinie, Priv.-Doz. Dr. Caroline Sekundo, die mit ihrem Team die vorhandene Literatur systematisch gesichtet und bewertet hat. Zusätzlich sind adhäsiv verankerte Restaurationen aufgrund ihrer geringen Invasivität gegenüber retentiv verankerten oder indirekten Alternativen zu bevorzugen.

PD Dr. Caroline Sekundo

Priv.-Doz. Dr. Caroline 
Sekundo, Methodikerin 
in der Leitliniengruppe, Oberärztin in der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde in Heidelberg

Soll-Empfehlung zu minimal-invasivem Vorgehen bei elektiven Eingriffen

Zur Zahnformkorrektur im Frontzahnbereich sollen evidenzbasiert bevorzugt minimal- oder noninvasive direkte Kompositrestaurationen eingesetzt werden, mit der Option auf indirekte Keramikveneers als Alternative. „Neben dem minimal- oder non-invasiven Vorgehen verlängert nicht zuletzt die Reparaturfähigkeit von Kompositen das Restaurationsüberleben“, erläutert Prof. Dr. Cornelia Frese aus Heidelberg als Mitautorin und Mandatsträgerin für die Deutsche Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM).

Prof. Dr. Cornelia Frese

Prof. Dr. Cornelia Frese, Mandatsträgerin für die Deutsche Gesellschaft 
für Präventivzahnmedizin (DGPZM) und Mitautorin der Leitlinie. Leitende Oberärztin in der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde in Heidelberg

Klasse-V-Kavitäten: Auf das Adhäsivprotokoll kommt es an!

Für die Retention von Komposit in Klasse-V-Kavitäten ist das Adhäsivprotokoll maßgeblich. Daher heißt es in der Leitlinie, dass bei Gewährleistung adäquater Kontaminationskontrolle und Adhäsivtechnik direkte Kompositmaterialien evidenzbasiert zur Anwendung kommen können. Werden direkte Kompositrestaurationen zur Restauration von Klasse-V-Defekten verwendet, sollten 2-Schritt-Self-Etch-, 3-Schritt-Etch-and-Rinse-Adhäsivsysteme oder neuere Universaladhäsive verwendet werden.

Von Kariesexkavation bis Lichtpolymerisation

In der S3-Leitlinie sind weitere Punkte mit konsensbasierten Empfehlungen ausgewiesen, die den Erfolg einer Kompositrestauration maßgeblich mitbestimmen.

  • Pulpanah: selektive, einzeitige Kariesexkavation
    Bei der Kariesentfernung sollte bei pulpanahen Dentinläsionen eine einzeitige selektive Kariesentfernung der schrittweisen oder non-selektiven Kariesentfernung vorgezogen werden. Das heißt, in pulpanahen Kavitätenarealen wird die kariös veränderte Zahnhartsubstanz nicht oder nur teilweise exkaviert, während sie in anderen peripheren Kavitätenbereichen bis zur harten (gesunden) Zahnhartsubstanz entfernt wird.
  • Schmelzätzung und Approximalkontakte 
    Zur langfristigen Verbesserung der Schmelzrandqualität und Vermeidung von Randverfärbungen sollte ein Anätzen des Schmelzes bei allen direkten Kompositrestaurationen mit Phosphorsäure erfolgen. Zwei-Schritt-Self-Etch-, 3-Schritt-Etch-and-Rinse-Adhäsivsysteme oder Universaladhäsive sollten für direkte Kompositrestaurationen bevorzugt werden. Für die Formgestaltung von Approximalkontakten empfehlen die Leitlinienautorinnen, dass für Klasse-II-Kavitäten anatomisch vorgeformte Teilmatrizen zusammen mit Keil und Ringsystem verwendet werden sollten.
  • Korrekte Handhabung bei der Lichtpolymerisation
    Da die überwältigende Mehrheit der heute verwendeten Kompositmaterialien rein lichthärtend ist, kommt der korrekten Handhabung des Polymerisationsgeräts und der regelmäßigen Prüfung seiner Energieleistung eine besondere Bedeutung für die vollständige Durchhärtung der Kompositrestauration zu. Ein konsensbasiertes Statement erachtet die Punkte Polymerisationsrichtung, Abstand, Durchmesser des Lichtkegels und die eingebrachte Energie (Leistung x Zeit), sowie die Berücksichtigung der Opazität und Farbe des Komposits bei der Dauer der Lichtpolymerisation als wichtige Faktoren, die bei der direkten Restaurationstechnik mit Komposit berücksichtigt werden müssen.

Endlich
Evidenz statt Bauchentscheidung

Die Indikationen für Komposit sind derart vielfältig, dass eine Entscheidung für die beste Vorgehensweise in der konkreten klinischen Situation patientenzentriert und, wann immer möglich, präventionsorientiert erfolgen kann.

Vorgestellt wurden die wichtigsten Neuerungen von den Leitlinienautorinnen in einer interaktiven Session auf der gemeinsamen Jahrestagung von DGZ und DGPro Mitte Juni in Leipzig.