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Experten zu CMD und digitaler Funktion

Oralmedizin kompakt: Frisches Wissen für Ihre Praxis

Für Ihre Patienten wollen Sie auf dem Laufenden bleiben. Welche Methoden funktionieren – und sind möglichst mit Studien abgesichert? Die Kolumne Oralmedizin kompakt liefert Antworten. Fachjournalist Dr. med. dent. Jan H. Koch sichtet für Sie laufend wissenschaftliche und praxisorientierte Publikationen oder berichtet von Veranstaltungen. Die Beiträge finden Sie online auf unserer Landingpage. Gehen Sie auf Entdeckungsreise!

Digitale Methoden für CMD-Diagnostik und funktionsorientierte Restauration

Digitale Methoden erobern zunehmend die Zahn- und Oralmedizin. Ein faszinierendes Einsatzgebiet ist die Funktionsdiagnostik und -therapie. Beim Anwendertreffen von zebris Medical Anfang Dezember 2019 in Leutkirch wurde ein breites Spektrum aktueller Methoden diskutiert. DZW-Autor Dr. Jan H. Koch sprach vor Ort mit PD Dr. Oliver Ahlers (Hamburg) und Dr. Christoph Huhn (Dessau).

 

Welche Patienten benötigen Restaurationen, die auf der Basis einer instrumentellen Funktionsanalyse hergestellt wurden?

Ahlers: Zunächst einmal sind das Patienten mit umfangreichem restaurativem Behandlungsbedarf. Um in solchen Fällen möglichst wenig störenden Zahnersatz zu gestalten und zu fertigen, wurde die Funktionsanalyse ja entwickelt. Hinzu kommen Patienten mit CMD und zugleich erheblichem Zahnverschleiß. Diese benötigen umfangreiche Restaurationen, die besonders präzise sein müssen. Und schließlich betrifft es Patienten, bei denen nach erfolgreich abgeschlossener Funktionstherapie eine okklusale Diskrepanz besteht, die für sie nicht akzeptabel ist. Hier zielt die restaurative Therapie auf einen möglichst wenig invasiven Okklusionsausgleich. Details enthält eine wissenschaftliche Mitteilung, die von mir mit verfasst wurde [1].

Huhn: Mehr oder weniger alle Patienten, nur der Umfang unterscheidet sich. Ich führe immer eine Modellanalyse nach Gerd Christiansen durch, um Probleme in der statischen Okklusion zu erkennen. Vor umfangreichen Versorgungen oder wenn sich beim Screening ein CMD-Verdacht ergibt, zeichne ich Unterkieferbewegungen auf und untersuche den funktionellen Gelenkraum. So werden grenzwertige Fälle frühzeitig erkannt und bei Bedarf funktionstherapeutisch vorbehandelt.


Gibt es aktuell digitale Systeme, die die wichtigsten Parameter korrekt abbilden? Wenn ja, was sind Ihre persönlichen Erfahrungen?


Ahlers: Hier ist derzeit viel im Fluss. Beim Cadiax System von Gamma Dental können Anwender jetzt mit einer Basisversion beginnen (Cadiax Compact 2) und später auf das Cadiax 4 nachrüsten. Hiermit lässt sich auch die indiviuelle Scharnierachslokalisation elektronisch umsetzen. Die Software ermöglicht neben der Auswertung zur Artikulatorprogrammierung auch die Auswertung der Bewegungsverläufe. Bei zebris Medical wurde das frühere auf Ultraschall basierende System nun durch das Zebris JMA Optic ersetzt, mit höherer Auflösung und einem viel leichteren Unterkieferadapter.

Huhn: Viele digitale Systeme ermöglichen die Programmierung und Bewegungssimulation im virtuellen Artikulator. Aber das größte Potenzial liegt meines Erachtens in der Gelenkraumanalyse und einer auf Messwerten basierenden hoch effizienten Funktionstherapie. Seit acht Jahren arbeite ich erfolgreich mit dem CMP(Controlled Mandibular Positioning)-Verfahren nach Christiansen. Dabei analysiert man den funktionellen Gelenkraum des Kiefergelenks und programmiert die berechneten Korrekturwerte in eine Aufbissschiene. Dafür nutze ich den Freecorder BlueFox (orangedental) und ein modifiziertes Gerät zur computer-assistierten Repositionierung (CAR). Durch die Wiederherstellung des physiologischen Gelenkspalts sind – ohne Einschleifen der Schiene – innerhalb kurzer Zeit hoch signifikante Verbesserungen der CMD-Symptomatik erzielbar.

Ist die digitale Prozesskette inzwischen komplett? Oder gibt es noch Rückschritte ins Analoge?

Ahlers: Im Bereich der Funktionsanalyse ist die Prozesskette erfolgreich geschlossen, unter anderem durch Entwicklungen unserer Arbeitsgruppe. Dafür haben wir die Software CMDfact (dentaConcept) um zusätzliche Module erweitert. Die Kette beginnt mit einem CMD-Screening (CMDcheck). Ist dieses positiv, folgen die klinische Funktionsanalyse im Modul CMDstatus und die manuelle Strukturanalyse im Modul CMDmanu. Neu ist die Erfassung des Bruxismus Screening Index (BSI) der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT), des Zahnverschleiß-Screenings und des Zahnverschleiß-Status im Modul CMDbrux. Die verschiedenen Untersuchungen lassen sich im CMDfact DiagnosePilot integriert auswerten. Die digitale funktionelle Bewegungsanalyse kann dann mit dem Modul CMDtrace erfolgen. Die Befunde lassen sich wahlweise aus dem Zebris JMA Optics-Modul CMDfact Interactor oder aus Gamma Dental Cadiax 8 auslesen. Brüche gibt es noch in der Kondylenpositionsanalyse. Man kann zwar auch mit computergestützten kondylären Systemen die im Seitenvergleich häufig unterschiedlichen Kieferpositionen separat registrieren und in einem gesonderten Schritt relativ zueinander vermessen. Aber die Übertragung in virtuelle Artikulatoren ist dann oft schwierig. Und wenn man stattdessen die Daten in einen mechanischen Artikulator übertragen will, braucht man dafür ein Gerät wie den Condylar-Position-Variator (Gamma Dental). Oder eben doch ein herkömmliches Registrat.

Huhn: Mit ausgereifter analoger Technik als Maßstab liegt der Rückschritt leider noch viel zu oft im digitalen Workflow selbst. Man kann mit CAD/CAM völlig spannungsfreie große Brückengerüste oder Aufbissschienen mit traumhaftem Sitz auf dem Modell fertigen. Aber gute gefräste Kauflächen habe ich bisher hauptsächlich in Werbeprospekten gesehen. Ohne Kenntnisse in Funktion und Aufwachstechnik kommt man auch im virtuellen Artikulator nicht weit. Bis funktionsgerechte Kauflächen vollautomatisch generiert werden, wird es wohl noch dauern.

Welche funktionsbezogenen Erfahrungen haben Sie bei Patienten gemacht, die in kieferorthopädischer Behandlung waren?

Huhn: KFO-Patienten haben zwar „gerade Zähne“, aber öfter Probleme mit der dynamischen Okklusion, weil zum Beispiel die Front-Eckzahnführung fehlt. Manchmal bruxieren diese Patienten auf den Seitenzähnen und entwickeln pulpitische Beschwerden an kariesfreien oder minimal gefüllten Zähnen. Hier muss man funktionell denken und darf nicht einfach endodontisch behandeln.

Ahlers: Hier muss man aufpassen, Korrelationen nicht mit Kausalität zu verwechslen: Viele CMD-Patienten haben zwar eine Anamnese, die kieferorthopädische Behandlungen einschließt. Es kann aber gut sein, dass die kieferorthopädische Behandlung erfolgte, um eine funktionell schwierige Siutation zu verbessern. Wenn nachher weiterhin Probleme bestehen, hat die kieferorthopädische Behandlung diese nicht verursacht, sondern nicht komplett beseitigen können – oder es besteht gar kein kausaler Zusammenhang. Bei uns in Hamburg haben wir die Zusammenarbeit mit den Kieferorthopäden in den letzten Jahren eher intensiviert. Dabei sollte generell das unter Einbeziehung der DGFDT und der DGKFO abgestimmte Vorgehen eingehalten werden [1]:

  • bei Störungen erst Funktionsdiagnostik und gegebenenfalls -therapie;
  • nach erfolgreicher Funktionstherapie Situation reevaluieren;
  • nur wenn dann die Funktion stimmt und sich ein okklusaler Faktor als relevant herausgestellt hat, folgt eine definitive korrektive Therapie: restaurativ – vorzugsweise minimalinvasiv – und/oder per Kieferorthopädie.

Literatur

[1] Deutsche Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT). Zur Therapie der funktionellen Erkrankungen des kraniomandibulären Systems. Wissenschaftliche Mitteilung. 2016.