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Weniger netto

Auf den ersten Blick ist der Bundesgesundheitsminister ein armer Teufel. Von den ihm spärlich zugeteilten 16.708.527.000 Euro – das entspricht 3,5 Prozent des Gesamthaushalts – darf er 99,93 Prozent direkt in den Gesundheitsfonds durchreichen. Das ist die Steuermittel-Pauschale zur Abgeltung der von den Krankenkassen übernommenen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben und ein bisschen Restkosten für die Folgen der Covid-Pandemie.

Und täglich lockt der Gesundheitsfonds

Auf den zweiten Blick ist da das diabolische Funkeln der Begehrlichkeit, auf den 300 Milliarden schweren Gesundheitsfonds zuzugreifen – das gesammelte GKV-Vermögen. Im Vergleich zum 476.807.656.000 Euro schweren Bundeshaushalt ist das ein Babel der Träume für den Gesundheitsminister. Und er macht es wie seine Vorgänger auch und lässt brav die Kassen etwa für die Kosten für die Krankenversicherung von Bürgergeldempfängern aus dem Gesundheitsfonds bezahlen. Die staatliche Pauschale deckt davon gerade einmal 40 Prozent. Den Rest dieser „gesamtgesellschaftlichen“ Aufgabe dürfen die Beitragszahler der GKV begleichen. Nachdenksmiley. Und da sich der Teufel so gut im Detail verstecken lässt, sieht der Referentenentwurf zur dringend notwendigen Krankenhausreform vor, dass die GKV-Beitragszahler rund 25 Milliarden Euro für die Umbaukosten der Kliniken übernehmen sollen, obwohl für Krankenhausinvestitionen eigentlich die Bundesländer zuständig sind und die Kliniken auch von privat Versicherten genutzt werden. Hinzu kommen etwa noch die geplante Standortförderung für die Pharmaindustrie, die immer wieder diskutierten Gesundheitskioske und Schulgelder für angehende Physiotherapeutinnen und -therapeuten, die ganz oder anteilig aus dem GKV-Topf bezahlt werden sollen, obwohl sie als gesamtgesellschaftliche Aufgaben eigentlich aus Steuergelder finanziert werden müssten. So greift der Bundesgesundheitsminister in die Geldbörsen der Beitragszahler und vergisst auch nicht, unter Omas Matratze zu fassen, ohne dass GKV-Versicherte sich dagegen wehren könnten. Kein Wunder also, dass für die allermeisten die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge bereit jenseits der 40 Prozent des Bruttolohnes liegen. Über die Zukunft von Rente und Pflege wollen wir gar nicht erst schreiben.

Mehr brutto

Alle jammern, Budgetierung, Ärztemangel, Fachkräftemangel, Krankenhauslandschaft mit einem Wald voll Insolvenzen. Dabei sind die GKV-Leistungsausgaben pro Kopf 2023 im Vergleich mit 2022 für Krankenhausbehandlung um 6,05 Prozent gestiegen, die für zahnärztliche Behandlung ohne Zahnersatz um 4,67, allein die ärztliche Behandlung fällt mit 0,88 Prozent unter einem Prozent aus. Die größten Posten der GKV-Ausgaben entfallen mit 32 Prozent auf Krankenhausbehandlungen, gefolgt von Arzneimitteln mit 17 Prozent und ärztlichen Behandlungen mit 16 Prozent. Zahnärztliche Behandlungen samt Zahnersatz machen 6 Prozent der gKV-Ausgaben aus.

Hierzulande sind 73 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger in der GKV versichert. Der GKV-Schätzerkreis erwartet GKV-Ausgaben für 2024 in Höhe von rund 314 Milliarden Euro. Das sind rund 100 Milliarden mehr als 2016. Es wird eine Lücke von 33,3 Milliarden Euro zwischen GKV-Ausgaben und Einnahmen aus dem Gesundheitsfonds klaffen. Medizinischer Fortschritt und demografische Entwicklung können diese Kostenexplosion nicht erklären.

In einer Berechnung geht der BKK-Dachverband davon aus, dass der Zusatzbeitrag im kommenden Jahr von durchschnittlich 1,7 Prozent auf 2,45 Prozent steigen dürfte – „+ x %“ wie es in den Berechnungen heißt, denn eingepreist sind da bislang lediglich die bereits vorliegenden Gesetzentwürfe aus dem Hause Lauterbach. Und der hat ja bekanntlich noch viel vor. Und immer noch zwei Jahre Zeit.

Deutschland belegt weltweit schon heute einen Spitzenplatz bei der Höhe der Sozialabgaben. Steigt der Zusatzbeitrag weiter an, wird auch der Standort unattraktiver. Das kann der Ampel auf Dauer nicht egal sein. Es bleibt spannend abzuwarten, ob etwa die jüngst aus dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzentwurf gestrichenen Gesundheitskioske durch die Antragshintertür wieder in den Gesetzgebungsprozess eingebracht werden. Oder ob Bundesfinanzminister Christian Lindner nun den Deckel zuhält.

Lauterbach sollte aufhören, das Gesundheitssystem medial zu beplaudern und gesetzlich zu plündern, und stattdessen Belastungen abbauen.

Die Spirale dreht sich weiter

Der Gesundheitsfonds und damit die GKV-Beiträge dürfen nicht länger als erweiterter Bundeshaushalt begriffen werden. Reformen, die die Systeme wieder klar trennen, würden helfen, die GKV-Ausgaben wieder auf ein erklärbares Maß zurückzufahren. Aber das allein wird nicht reichen. Neben Finanzreformen braucht es Strukturreformen im Gesundheitssystem, die den Namen auch verdienen. Wie eine Krankenhausreform aussehen könnte, hat NRW vorgezeigt. Und NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat bereits bei der Eröffnung des Gesundheitskongresses des Westens 2024 in Köln deutlich gemacht, dass falls Bundesgesundheitsminister Lauterbach das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KVVG) wie derzeit geplant als nicht zustimmungspflichtiges Gesetz an den Bundesländern vorbei auf den Weg bringen wird, dass die Bundesländer NRW, Bayern und Schleswig-Holstein Klage vor dem Bundesverfassungsgericht einreichen werden.

Doch es sind nicht nur schlecht gemachte Gesetze, die die Krise im Gesundheitssystem verschärfen. Hinzu kommt die demografische Entwicklung auch auf Seite der Ärzteschaft. Wenn die Baby-Boomer jetzt nach und nach in den Ruhestand gehen, wird dies absehbar zwei Effekte haben. Auf der Seite der Leistungserbringer fehlen sie und werden durch die nachfolgenden Generationen auch nicht vollständig ersetzt, die mit anderen Arbeitszeitmodellen arbeiten wollen. Dafür wird die Zahl der Patientinnen und Patienten und der zu Pflegenden drastisch zunehmen. Das ist eine Entwicklungsspirale, die das jetzige Gesundheitssystem nicht auffangen können wird. Weder finanziell noch strukturell. Von Endbudgetierung wird dann keiner mehr reden.

Politik statt Parolen

Lauterbach sollte aufhören, das Gesundheitssystem medial zu beplaudern und gesetzlich zu plündern, und stattdessen Belastungen abbauen. Um die geringer werdende Ressource Arztzeit zu mehren, gehört Bürokratie abgeschafft und nicht nur als Verlautbarung. Die Digitalisierung hat auch das Potenzial zur Zeitersparnis. Nur sollte sie im Sinne der Praxen laufen und nicht ministeriell gesteuert durch die Gesundheitslandschaft stolpern.

Und vielleicht sollten der jetzige Bundesgesundheitsminister und seine möglichen Nachkommen sich selbst nicht ganz so wichtig nehmen, regionalen Unterschieden mehr Raum einräumen und ein offenes Ohr haben für die, die das Gesundheitssystem tragen und erhalten – Tag für Tag. Die sitzen nämlich nicht auf weichen Sesseln im BMG.

Titelbild: Michael – stock.adobe.com

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