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Die drohende Quote und wie man meint, ihr entkommen zu können

Von Chefredakteur Marc Oliver Pick

Von Chefredakteur Marc Oliver Pick

Als wären die Zeiten nicht schon seltsam genug, liefert die Kassenzahnärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe aktuell mit ihren vorgezogenen Vorstandswahlen und der damit vorgezogenen Bestätigung des amtierenden KZV-Vorstands für weitere sechs Jahre gerade einen nachdenklich machenden Beleg dafür, dass immer noch ausreichend Raum für neue Seltsamkeiten vorhanden ist.

Bewährte Mechanismen umgekehrt

Was ist das für ein befremdliches Demokratieverständnis, das nicht nur übliche demokratische Gepflogenheiten, sondern auch bewährte Mechanismen umkehrt und damit überflüssig macht? Was ist das für ein Demokratieverständnis, wenn aus Sorge vor einer politisch verordneten Quote, die von der Politik zwar irgendwie irgendwann ins Gespräch gebracht wurde, aber noch kaum konkrete Formen angenommen hat, der Wählerwille der Basis umgangen wird, um ein bewährtes Vorstandsteam an der Spitze zu halten?

Was ist das für eine Begründung, in schwierigen Zeiten sei Kontinuität die einzig richtige Strategie in Bezug auf die „in den nächsten Jahren zu erwartenden großen Herausforderungen durch die gesundheitswirtschaftliche und politische Lage“? Gesundheitswirtschaftlich wird sich vermutlich in der Tat so manches ändern, dafür sorgen schon Demografie und genügend andere Faktoren. Aber ist mit dem Verweis auf die „politischer Lage“ eventuell doch nur das Thema drohende Quote gemeint?

Kontinuität an sich ist kein Wert

Man stelle sich vor, der letzte Bundestag hätte Angela Merkel durch eine flugs herbeigeführte Gesetzesänderung noch im August 2021 mal eben für weitere vier Jahre im Amt bestätigt, weil die Kontinuität einer bereits 16 Jahre währenden Bundeskanzlerschaft ein Garant dafür seien, die Herausforderungen und möglichen Krisen der Zukunft meistern zu können. Nein, Kontinuität an sich ist kein Wert. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das aktuelle und künftige Präsidium der KZV WL einen guten Job gemacht hat und auch weiter machen wird, das steht aber hier auch gar nicht zur Debatte.

Denn ganz unabhängig davon, wie gut die Spitze eines Organs der Selbstverwaltung ihren Job auch macht, mindestens ebenso wichtig für die Zusammensetzung dieses Organs sollte sein, dass sich die Basis, die sich in diesem Falle aus Zahnärzten und (mehrheitlich) Zahnärztinnen zusammensetzt, mit ihren Anliegen repräsentiert fühlt. So gesehen mag man mit diesem Wahlmanöver vorerst das Ziel erreicht haben, für eine (männlich dominierte) Vorstandskontinuität gesorgt und einer möglicherweise irgendwann einmal drohenden Quote ein Schnippchen geschlagen zu haben.

Fehlt der Wille, paritäti­sche Verhältnisse zu schaffen?

Doch dieser Schuss könnte durchaus auch nach hinten losgehen, liefert das Vorgehen doch gerade einen Beleg dafür, dass es die Selbstverwaltung nicht aus eigenem Antrieb schafft oder schaffen will, paritäti­sche Verhältnisse zu schaffen. Zwar war versucht worden, durch eine Erweiterung des Präsidiums auf drei Vorstände Platz für eine Frau an der Spitze zu schaffen, ohne den Fortbestand des bisherigen Vorstands zu gefährden, aber dieser Antrag scheiterte an der erfoderlichen Mehrheit. So wurde eben kurzerhand Plan B mit vorgezogenen Vorstandswahlen durchgezogen.

Schon vor der Wahl die Wahl genommen

Der künftigen Vertreterversammlung, die im Herbst gewählt werden wird, hat man damit schon vor der Wahl die Wahl genommen. Welchen Einfluss diese Tat­sache auf die Motivation der Wähler im Herbst haben wird, lässt sich nicht vorhersagen. Eine wichtige Funktion wird die künftige VV jedenfalls nicht ausüben müssen beziehungsweise gar nicht ausüben können. Und ob das faktenschaffende Vorgehen in Westfalen-Lippe unbedingt die Motivation des dringend benötigten politischen Nachwuchses beflügelt, wird sich auch zeigen müssen.

Oft hört man in diesen Zeiten den Spruch „Demokratie muss man aushalten können“. Das scheint sich noch nicht überall herumgesprochen zu haben.