Die Geschichte erinnert an „Asterix auf Korsika“, wo der Inselvorstand gewählt wird, indem ungeöffnete Urnen im Meer versenkt werden und am Ende der Stärkere gewinnt.
Vorgezogene Vorstandswahl 2022 bei der KZV Westfalen-Lippe
In der realen Welt würde man wohl von einem „Geschmäckle“ sprechen, was sich am 22. Januar 2022 in Westfalen-Lippe zugetragen hat. Hier wurde der amtierende Vorstand der KZV Westfalen-Lippe von der bald scheidenden Vertreterversammlung bei einer vorgezogenen Wahl anlässlich einer außerordentlichen Sitzung kurzerhand für sechs weitere Jahre im Amt bestätigt. Die im Herbst dieses Jahres neu zu wählenden Delegierten der kommenden Vertreterversammlung werden vor vollendete Tatsachen gestellt.
Mann, Mann – die wundersame Wiederwahl in Westfalen-Lippe
Der Grund der Dringlichkeit der vorgezogenen Vorstandswahl erschließt sich vordergründig erst einmal nicht. In einer Pressemitteilung der KZV WL heißt es nur, „eine zuvor diskutierte alternative Satzungsänderung zur Aufhebung der strikten Begrenzung auf 2 Vorstandsmitglieder“ hätte keine Mehrheit gefunden. Und weiter: „Die Vertreterversammlung hat sich in Anbetracht des Verlaufes der VV so entschieden, um die Kontinuität in der Vorstandsarbeit auch weiterhin zu sichern aufgrund der in den nächsten Jahren zu erwartenden großen Herausforderungen durch die gesundheitswirtschaftliche und politische Lage.“
Dr. Frank Bordan, Vorsitzender der Vertreterversammlung der KZV WL, lässt sich in der Meldung wie folgt zitieren: „Das schafft in diesen Zeiten auch weiterhin die notwendige politische Stabilität in der erfolgreich geführten KZV WL und Planungssicherheit für unsere Mitgliedspraxen in Westfalen-Lippe! Eine erneute Diskussion um eine mögliche Vorstandserweiterung in der VV im Juni ist bereits von der Mehrheitsfraktion beantragt worden.“ In der Pressemitteilung bleiben die Namen von Dr. Holger Seib als Vorstandsvorsitzender und seinem Stellvertreter Michael Evelt beredt ungenannt.
Hintergrund der beantragten Satzungsänderung zur möglichen Erweiterung des Vorstandes um mindestens ein weiteres Mitglied ist eine befürchtete gesetzliche Frauenquote bei kommenden Wahlen zu Gremien der Selbstverwaltung. Ein erweiterter Vorstand hätte die Möglichkeit geboten, die „Quote“ auch dann umzusetzen, wenn beide Amtsinhaber wieder kandidierten. Zu der gewollten Satzungsänderung kam es aber nicht, es fehlte die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit.
In einer Pressemitteilung des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte, dem Wählerverband Zahnärzte Westfalen-Lippe (WZW), den Unabhängigen Freien Zahnärzten (UFZ) und Dr. Bertram Roth, die die Mehrheitsfraktion in der VV der KZV WL stellen, wird diese Motivation auch klar benannt: „Der FVDZ steht zu dem von ihm nominierten und vor 6 Jahren gewählten Vorstand (Dr. Holger Seib, Michael Evelt). Die herausragende Arbeit dieses Vorstandes soll fortgesetzt werden. Aufgrund einer einfachen und möglicherweise schnell umzusetzenden Änderung des SGB in Bezug auf die paritätische Besetzung des KZV Vorstandes ist dieses gefährdet“, berichtete „adp-medien“.
Furcht vor Frauen – oder Machtkalkül?
Bezugspunkt für das hektische Agieren der VV ist der vergleichsweise unkonkrete Satz im Koalitionsvertrag der Ampelparteien „Wir stärken die paritätische Beteiligung von Frauen in den Führungsgremien der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen sowie ihrer Spitzenverbände auf Bundesebene sowie der gesetzlichen Krankenkassen.“ Ein Herzensprojekt der Grünen. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hatte bereits mit einer Kleinen Anfrage im Januar 2018 auf den mangelnden Frauenanteil in der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen hingewiesen und 2020 mit einer weiteren Kleinen Anfrage zum Thema für ein Berichtskontinuum gesorgt. Federführend gezeichnet wurde die Kleine Anfrage von der Grünen-Abgeordneten Dr. Kirsten Kappert-Gonther, mittlerweile Vizevorsitzende des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages. Da hat wohl manch einer in Westfalen-Lippe kalte Füße bekommen.
Beobachterinnen des Vorgehens in Westfalen-Lippe aus den Reihen von Dentista reagierten auf Facebook ersichtlich konsterniert: „Eine Erweiterung des Vorstands und damit die Möglichkeit einer paritätischen Besetzung wurde bei wenigen Enthaltungen abgelehnt. Klar gesagt: Keine Chance für eine Frau an der Spitze. Das finden wir nicht nur schade. Es hat uns auch ein bisschen fassungslos gemacht. Gerade das Ziel der Parität und Vertretung auch von jungen Kolleginnen und Kollegen liegt uns sehr am Herzen. Aber wie uns die vorzeitig einberufene Vertreterversammlung zeigte, sind wir davon noch weit entfernt.“
Nun stand die Mehrheit in der VV vor einem Dilemma: Keine Satzungsänderung bedeutete das Risiko, den Vorstand in seiner jetzigen Konstellation zu verlieren. Also zog sie die Machtkarte und wählte kurzerhand den Vorstand der kommenden Legislatur in der jetzt auslaufenden. Üblicherweise werden erst die Delegierten zur VV der KZV WL gewählt, die wiederum nach ihrer Konstitution ihren neuen Vorstand wählt. Dieses Mal also nicht. Sie bekommen den alten Vorstand vorgesetzt. Bei allen Erfolgen des bisherigen Vorstandes offenbart sich hier doch ein nachdenkenswertes Demokratieverständnis innerhalb der VV.
Zudem hatte die derzeitige Mehrheit der VV wohl auch die Sorge, dass die Wahlen zur VV im Herbst dieses Jahres so ausgehen könnten, dass es einen „wind of change“ geben könne. Mehr Frauen und jüngere Delegierte könnten ja tatsächlich auch ohne gesetzliche Vorgaben einen paritätisch besetzten Vorstand wählen wollen. Dann wäre einer der Vorstandsmänner seinen Job los. Also lieber proaktiv werden, dürfte die Motivation der scheidenden Mehrheitskoaltion der VV gewesen sein.
Derzeit beträgt der Frauenanteil der VV der KZV WL 7 von 50. Das dürfte sich nach der Wahl im Herbst ändern. Jetzt erst recht, hofft offensichtlich Dentista: „Die nächste KZV Wahl kommt. Diesen Herbst. Es gibt was zu tun. Bis dahin werden wir wissen, ob das MAG das gestrige Agieren einfach so abnickt!“, schreibt Dentista auf Facebook. Das MAG (Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen) ist die zuständige Aufsichtsbehörde für die KZV WL.
Macht und Männer
Bereits die vorherige Wahl des Vorstands der KZV WL ist nicht ganz geräuschlos abgelaufen, wie sich die oder der eine oder andere erinnern wird. Am 17. Dezember 2016 wurden damals Dr. Holger Seib und Markus Büssing als Vorstandmitglieder gewählt. Büssing schied dann nach nicht einmal einem Jahr als stellvertretender Vorstandsvorsitzender aus. Am 24. November 2017 stimmte die VV dem Aufhebungsvertrag mit Büssing zu und wählte den bis dato Hauptgeschäftsführer Michael Evelt zum neuen Stellvertreter.
Derzeit versucht die KZV WL, sich durch Zahnärztinnentage zu profilieren. Doch wie glaubhaft ist der Einsatz für Frauen in der Zahnärzteschaft, wenn im konkreten Fall alles daran gesetzt wird, den Männer-Status-quo aufrecht zu erhalten. So schadet dieses Verhalten letztlich der Selbstverwaltung insgesamt. Politikerinnen werden genau hinschauen, wenn sie den Eindruck gewinnen, sie würden am Nasenring durch die standespolitische Arena gezogen.