Es gibt diverse Gesprächsrunden, in denen sich Wissenschaft, Praxis und Industrie austauschen. Dort werden häufig wichtige Erkenntnisse und Ansichten geteilt – aber zu selten gibt es einen praxisbezogenen Konsens, von dem die Praxen erfahren. In diesem Fall war es anders.
Es trafen sich DH Julia Haas (Vorstandsmitglied des VDDH), Prof. Dr. Dirk Ziebolz (Geschäftsführender Oberarzt und Leiter des Funktionsbereichs Interdisziplinäre Zahnerhaltung und Versorgungsforschung am Universitätsklinikum Leipzig), PD Dr. Michael Wicht (Kommissarischer Leiter der Poliklinik Zahnerhaltung und Parodontologie am Universitätsklinikum zu Köln) und PD Dr. Georg Cachovan (KOL-Manager Oral Healthcare bei Philips und Lehrbeauftragter an der Poliklinik für Parodontologie, Präventive Zahnmedizin und Zahnerhaltung, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf). Die vier Experten hatten einiges zu besprechen, darunter die Umsetzung der neuen PAR-Richtlinie, die Bedeutung präventiver Betreuungskonzepte, die Schritte der PZR, neue Technologien und erste Studien dazu sowie die Motivation der Patienten. Ergebnis ist ein Konsesus-Papier, das im Folgenden wiedergegeben wird:
Effektive Produktkonzepte und kommunikative Fähigkeiten für patientenzentrierte Prävention – ein Konsensuspapier
Die persönliche Mundhygiene ist für die Schaffung und den Erhalt mundgesunder Verhältnisse wichtig und ist auch für den Patienten eine tägliche Herausforderung. Während das Plaque-Biofilm-Management auf Glattflächen unproblematischer ist, wird dies im Approximalbereich als ökologische Nische für Plaque-Bakterien aufwändig. Jeder Approximalraum stellt bei präventiven Maßnahmen besondere Anforderungen an die Praxis, an die Umsetzung delegierbarer Leistungen und an die Motivation des Patienten zur Umsetzung der persönlichen Zahnpflege.
Bei den therapeutischen Leistungen in der Praxis und der anschließenden Empfehlung von Hilfsmitteln zur häuslichen Zahnpflege beziehungsweise persönlichen Mundhygiene sind Strukturen und individuelle Gegebenheiten zu berücksichtigen: Zahnzwischenräume, Weichgewebe, subgingivale parodontale Strukturen – und nicht zuletzt die Position benachbarter Zähne zueinander.
Hilfreiche Orientierung und Behandlungsbausteine bietet unter anderem die neue PAR-Richtlinie. Sie beinhaltet auf Evidenz basierende, therapeutische Empfehlungen auf Basis klinischer Beurteilung. Davon profitieren nicht nur Gingivitis- und Parodontitis-Patienten, sondern auch klinisch Gesunde.
Die präventionsbasierte Nachsorge (UPT) ist ein wesentlicher Bestandteil der Parodontal-Therapie und sollte patienten- beziehungsweise risikoorientiert umgesetzt werden. Die deutsche Implementierung der S3-Leitlinie „Treatment of Stage I-III Periodontitis“ der European Federation of Periodontology (EFP) als wissenschaftlich fundierte Empfehlung ist kein Automatismus für die Umsetzung in der Praxis. Vielmehr ist es eine Handlungsempfehlung, die weiterhin einer individuellen Anpassung in Abhängigkeit vom vorliegenden Patienten bedarf. Um die Empfehlung zielgerichtet und bedarfsgerecht umzusetzen, sind eine umfassende Kenntnis über die RL und die persönliche Kompetenz nötig. Praxen sind entsprechend in der Selbstverantwortung.
Die PAR-RL und der Delegationsrahmen der BZÄK bringt Fachkräfte wie ZMPs und DHs in eine Schlüsselposition in der präventiven Betreuung der Patienten. Die Delegation der Leistungserbringung regelt dabei eindeutig und ausreichend umfassend das Zahnheilkundegesetz (ZHG Paragraf 1 Abs. 5 und 6).
Die individuelle präventive Betreuung der Patienten ist weit mehr als eine mechanische Beseitigung von Belägen und daher auch in zahnärztlicher Verantwortung. Demnach ist es zusammenfassend eine Herausforderung und Aufgabe des gesamten in der präventiven Betreuung anvertrauten zahnmedizinischen Teams bestehend aus ZA und ZMP/DH. Man muss sich klar machen, dass die Menge an vorgefundenen Biofilmauflagen das Ergebnis vielfältiger Patientenparameter ist. Die Herausforderung besteht darin, eine vielschichte Dysbiose (Biofilm, Immunkompetenz, Lifestyle etc.) aufzulösen und zu einer Symbiose zurückzuführen oder zu erhalten.
Die diagnosebasierte Individualprophylaxe (DIP) berücksichtigt individuelle Parameter und sollte auch parodontale Risikofaktoren im Sinne einer individuell präventiven Betreuung umfassen. Die PZR mit den ihr eindeutig zugeordneten Behandlungsinhalten „Entfernung harter und weicher Zahnbeläge und Verfärbungen“ sowie der „Nachreinigung einschließlich Polieren, je Zahn“ ist nur eine Basisleistung und muss gegebenenfalls um weitere Maßnahmen ergänzt werden. Kontrolle, Instruktion und Motivation sind daher elementare Bestandteile einer strukturierten Präventionssitzung. Voraussetzung für die Empfehlung von Mundhygienehilfsmitteln durch das Praxisteam ist auch die verfügbare wissenschaftliche Evidenz.
Forschende Hersteller von Hilfsmitteln für die persönliche Zahn- und Mundhygiene tragen eine hohe Verantwortung. Im Entwicklungsprozess von Produkten stehen unter anderem die nutzenstiftende Übertragung flüssigkeitsdynamischer Grundkenntnisse/Gesetze auf den Zahn und die Zahnumgebung. Es gilt die Patientenbedürfnisse zu berücksichtigen und die Anwendbarkeit zu optimieren. Labor- und klinische Studien sollten dabei synergistisch Ergebnisse zur kontinuierlichen Weiterentwicklung liefern.
Studien haben gezeigt, dass elektrische Zahnbürsten in der Lage sind, den Biofilm zu entfernen [1]. Für schallgetriebene elektrische Zahnbürsten liegen ferner Daten vor, die eine substanzschonende Eigenschaft gegenüber Weich- und Hartgeweben belegen [2]. Auch deren Reinigungseffekt außerhalb des unmittelbaren Kontakts der Filamente zu Hart- und Weichgewebe und in den Approximalraum hinein konnte gezeigt werden [3].
Für das Biofilmmanagement im Approximalraum zeigen manuell anwendbare Hilfsmittel wie Interdental-Bürsten eine Evidenz – im Gegensatz zur Zahnseide. Neue Produktentwicklungen wie die Quad-Stream-Technologie (Philips Sonicare Power Flosser) konnten in ersten Studien überzeugende Ergebnisse zeigen (Amini et al. [4], Milleman et al. [5]). Für eine fundierte Bewertung müssen Ergebnisse weiterer klinischen Studien Berücksichtigung finden.
Die Motivation des Patienten bei der Umsetzung empfohlener persönlicher Maßnahmen und der Verwendung empfohlener Produkte entscheidet letztlich darüber, ob das in der Praxis erzielte Behandlungsergebnis bis zum nächsten Präventions-Termin erhalten werden kann. Dieser Aspekt wird in der neuen PAR-RL ebenfalls adressiert. Motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing, MI) ist eine ursprünglich in der Suchttherapie verortete Technik, mit der ein klientenzentrierter beziehungsweise patientenzentrierter, aber zugleich direktiver (zielorientierter) Beratungsansatz mit dem Ziel eingesetzt wird, intrinsische Motivation zur Verhaltensänderung aufzubauen.
Nicht der Behandler sagt, was verändert werden soll – der Patient äußert, was er/sie verändern möchte. Respekt vor der Patientenautonomie hat bei diesem eher partnerschaftlichen Interaktionsmodell höchste Priorität. Druck, Belehrung, Missachtung, Bevormundung und Konfrontation sind zu vermeiden. Übersetzt in den Präventions-Termin könnte ein „eröffnender Satz“ im Sinne des „change-talks“ lauten: „Wie wichtig ist Ihnen die Verbesserung Ihrer Mundhygiene auf einer Skala von 0 bis 100?“ Nach der Patienten-Antwort folgt die Frage „Warum nicht 0“? Bei der nunfolgenden Beantwortung der Frage, wird der Patient von sich aus Argumente für eine Verhaltensänderung vorbringen, was die intrinsische Motivation erhöht.
Im weiteren Gesprächsverlauf sind Fragen wie „Welche Bedeutung haben Hilfsmittel zur Zahnzwischenraumreinigung? Möchten Sie darüber reden?“ dazu geeignet, den Dialog zu vertiefen und die Zuversicht seitens der Patientinnen und Patienten in eine Verhaltensänderung zu stärken.
Die Motivation wird durch Explorieren und Auslösen von Ambivalenz (Abwägen des Für und Wider einer Verhaltensänderung beziehungsweise des Beibehaltens einer Gewohnheit) erreicht. Mittels MI ist es möglich, die persönliche Zahnpflege und die Begeisterung für Produktempfehlung zu steigern. Die Kombination aus Veränderungsbereitschaft und der Vereinbarung des Ziels führen dabei zum Erfolg.
Köln, März 2022
Literatur
[1] The effectiveness of manual versus high-frequency, high-amplitude sonic powered toothbrushes for oral health: A meta-analysis de Jager M, Rmaile A, Darch O, Bikker JW J Clin Dent 2017; 28 (Spec Iss A): A13-28.
[2] In vitro assessment of toothbrushing wear on natural and restorative materials de Jager M, Nelson R, Schmitt P, Moore M, Putt M, Kunzelmann KH, Nyama I, Garcia-Godoy F, Garcia-Godoy C.Compend Contin Educ Dent. 2007; 28 (suppl 1):42-50).
[3] In vitro evaluation of interproximal biofilm removal with power toothbrushes Aspiras M, Elliot N, Nelson R, Hix J, Johnson M, de Jager M Compend Contin Educ. Dent. 2007; 28 (suppl 1): 10-14
[4] Amini P, Imtiaz U, Li J, Ward M, Nelson M, Foster J. A randomized, parallel study to compare Philips Sonicare Power Flosser and interdental brush on reducing gingival bleeding and plaque, Silverstone Research Group, Las Vegas, NV, USA, 2020 Data on file
[5] Milleman J, Milleman K, Wang P, Li J, Argosino K, Ward M. A study to assess the effects of adjunctive use of Philips Sonicare Power Flosser on plaque and gingival in ammation, Salus Research, Inc., Ft. Wayne, IN, USA, Data on file, 2019