Das Thema Hygiene ist im Gesundheitssektor in aller Munde. Nicht zuletzt durch Krankenhausinfektionen mit gravierenden Folgen wird bei Patienten der Eindruck vermittelt, dass es mit der Hygiene im deutschen Gesundheitswesen nicht besonders gut bestellt ist.
Tatsächlich existiert bereits eine Vielzahl an aktiven und passiven Hygienevorschriften, dennoch kommt es immer wieder zu Vorfällen, die letztlich einen Hygieneverstoß vermuten lassen.
Trotz oder möglicherweise wegen der Vielzahl an Regelungen stieg die Zahl der Haftungsfälle, ausgelöst durch den Vorwurf einer mangelhaften Hygiene, in den vergangenen Jahren kontinuierlich an. Sicherlich spielt die Sensibilisierung der Bevölkerung durch entsprechende Pressemeldungen für das Thema Hygiene hierbei eine gewichtige Rolle. Selbstverständlich lässt sich nicht jede Infektion von Patienten in der Praxis vermeiden.
Wann wir eine Infektion haftungsrechtlich relevant?
Haftungsrechtlich relevant wird die Keiminfektion immer dann, wenn die Hygienevorschriften nicht eingehalten wurden und so der erforderliche hygienische Standard in einer Praxis nicht eingehalten wird. Was als hygienischer Standard anzusehen ist, ergibt sich beispielsweise aus der wissenschaftlichen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde in der aktuellen Fassung. Kommt es zu einer Unterschreitung oder Verstoß gegen diese Vorschriften mit der Folge einer Patienteninfektion, wird sich der Zahnarzt schnell einer Klage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gegenübersehen. Bei einer solchen Haftungsklage aufgrund eines Verstoßes gegen Hygienevorschriften existieren einige Besonderheiten, die jedem Zahnarzt bewusst sein sollten.
Grundsätzlich gilt, dass der Patient im Haftungsprozess das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, dessen Kausalität sowie das Verschulden der Behandlerseite darlegen und beweisen muss. Mangels entsprechender Fachkenntnis ist dies für Patienten regelmäßig schwierig. Liegt aber ein Verstoß gegen Hygienestandards vor, wird dem Patienten die Durchsetzung seines Haftungsanspruchs erleichtert. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs realisiert sich bei Hygienemängeln ein Risiko, das durch den Klinikbetrieb oder den Betrieb der Arztpraxis verursacht wird und damit durch eine sachgerechte Organisation und Koordinierung des Behandlungsgeschehens objektiv voll beherrscht werden könne. Unter einem „voll beherrschbaren“ Risiko sind solche Risiken zu verstehen, die nicht vorrangig aus den Eigenheiten des menschlichen Organismus erwachsen, sondern aus einem Bereich stammen, dessen Gefahren vonseiten des Arztes voll beherrscht und ausgeschlossen werden können und müssen. Steht daher fest, dass sich ein aus diesem Bereich stammendes objektiv voll beherrschbares Risiko verwirklicht hat, ist es vielmehr Sache des Arztes zu beweisen, dass es hinsichtlich des Pflichtverstoßes an einem Verschulden seinerseits fehlt.
In einem solchen Fall hat der Behandler nachzuweisen, dass er für das Hygieneproblem nicht verantwortlich war. Gelingen kann dies beispielsweise dann, wenn der Nachweis möglich ist, dass der Behandler alle erforderlichen Vorkehrungen zur Vermeidung einer Infektion getroffen hat. Ein solcher Beweis lässt sich letztlich nur dann antreten, wenn der Arzt über eine ausführliche Hygienedokumentation verfügt. Existiert diese nicht im gebotenen Umfang oder enthält nur Allgemeinplätze, welche keine besondere Aussagekraft haben, wird der Gegenbeweis in aller Regel scheitern.
Patient muss Beweise liefern
Im nächsten Schritt hat der Patient zu beweisen, dass der Hygienemangel zu der Infektion geführt hat. Oft greift an dieser Stelle die nächste Beweiserleichterung zugunsten des Patienten, da Hygieneverstöße regelmäßig als „grobe Behandlungsfehler“ gewertet werden. Der Bundesgerichtshof definiert den groben Behandlungsfehler wie folgt:
„Ein grober Behandlungsfehler setzt nicht nur einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse voraus, sondern erfordert auch die Feststellung, dass ein Fehler vorliegt, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.“ (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19. Juni 2001, Az.: VI ZR 286/00).
Ob ein Verstoß gegen Hygienevorschriften als grob zu bewerten ist, wird letztlich durch einen vom Gericht im Haftungsprozess beauftragten medizinischen Sachverständigen zu beurteilen sein. Kommt dieser zur Ansicht, dass ein grober Behandlungsfehler vorliegt, ist die Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität zugunsten des Patienten die Folge, das heißt, der Arzt muss beweisen, dass ein Ursachenzusammenhang nicht besteht. Dieser Beweis wird in aller Regel scheitern.
Kommt es nicht zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, reicht es allerdings, dass der Patient konkrete Anhaltspunkte für einen Hygieneverstoß vorträgt. So entschied es der Bundesgerichtshof im Fall einer MRSA-Infektion im Jahr 2016 (BGH, Beschluss vom 16. August 2016, Az.: VI ZR 634/15). Der betroffene Patient war nach der OP zusammen mit einem anderen Patienten in einem Zimmer untergebracht worden, der unter einer offenen, eiternden und mit einem Keim infizierten Wund litt. Der Sachverständiger sah die gemeinsame Unterbringung als nicht zu beanstanden an, sofern die dazu bestehenden Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts eingehalten wurden. Diesen Vortrag machte sich der Patient zu eigen, was nach Ansicht des Bundesgerichtshofs eine erweiterte Darlegungslast des beklagten Krankenhauses auslöste. Das heißt., es war nun am Krankenhaus, die Einhaltung der Hygienestandards darzulegen und zu beweisen. Auch dies lässt sich nur anhand einer aussagekräftigen Dokumentation nachweisen.
Risiken rechtlicher Inanspruchnahme minimieren
Bei Hygienemängeln führt also deren Aufdeckung regelmäßig zur Haftung desjenigen, der für die Einhaltung der geltenden Standards organisatorische Vorkehrungen treffen muss. Denn sobald der Infektionsfall dem hygienisch beherrschbaren Bereich zuzuordnen ist und sich damit ein Risiko verwirklicht hat, das durch den Arzt gesetzt wurde und durch sachgerechte Organisation objektiv vermeidbar war, kommt dem Patienten eine enorme Beweiserleichterung zugute. Umso wichtiger ist es, die Risiken rechtlicher Inanspruchnahme zu minimieren. Hygienestandards sind allen Mitarbeitern bekannt zu machen und von ihnen einzuhalten. Dazu bedarf es entsprechender Einweisung, Schulung und Kontrolle des Personals sowie einer regelmäßigen Überwachung der Prozesse. Damit dies im Zweifel auch nachweisbar ist, ist eine Dokumentation der Standards und ihrer Kontrolle unerlässlich.