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Neuer Klinikatlas massiv in der Kritik

Der neue Bundes-Klinik-Atlas des Bundesgesundheitsministeriums, der am 17. Mai online ging und für mehr Transparenz in der Behandlungsqualität in deutschen Krankenhäusern sorgen sollte, stößt auf heftige Kritik. Diese wird unter anderem von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Verbänden aus der Gesundheitsbranche, medizinischen Fachgesellschaften und sogar Landesministern geäußert.

„Als übersichtlichen Wegweiser durch den Krankenhaus-Dschungel in Deutschland“ bezeichnete Bundesgesundheitsminister Dr. Karl Lauterbach den neuen Bundes-Klinik-Atlas bei einer Pressekonferenz am 17. Mai. Mit dem neuen Onlinetool seien verständliche Informationen über gute Krankenhausversorgung „für alle zugänglich und nicht mehr nur das Privileg von wenigen“, so Lauterbach. Er betonte außerdem, dass das neue Portal „wichtige Vorarbeit für die anstehende Krankenhausreform“ leiste.

Screenshot eines Suchergebnisses im Bunde-Klinik-Atlas

Bei der Suche nach Operation an der Kieferhöhle" zeigt der Bundes-Klinik-Atlas insgesamt 436 Suchergebnisse an. 

Kritik von der DKG und der DGZMK

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sieht das aber ganz anders. Die stellvertretende Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Henriette Neumeyer erklärt: „Lauterbachs Klinik-Atlas erfüllt leider nicht ansatzweise sein Versprechen, mehr Transparenz in der Krankenhausbehandlung zu schaffen. Im Gegenteil, zahlreiche falsche und fehlende Daten leiten Patienten massiv in die Irre. Zum jetzigen Zeitpunkt müssen wir den Informationssuchenden leider raten, den Atlas mit größter Vorsicht zu behandeln, unbedingt Rücksprache mit den behandelnden Ärzten zu halten und auf eine bewährte Plattform zurückzugreifen. Das Bundesgesundheitsministerium fordern wir auf, Fehler so schnell wie möglich zu korrigieren und den Atlas mit einem Hinweis auf noch zu behebende Fehler zu versehen.“

Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) sowie der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) und Direktor der Klinik für MKG-Chirurgie in Kiel hält das Gesundheitssystem für viel zu komplex, um es einem so vereinfachten Benchmarking zu unterziehen wie beim Bundes-Klinik-Atlas. „Allein die Anzahl der Prozeduren zu verwenden, ist für die Bevölkerung irreführend und für viele Einrichtungen existenzbedrohend. Wenn eine Einrichtung zum Beispiel 50 Eingriffe durchführt und zehn Chirurgen beteiligt sind, ist dann die Qualität höher als wenn ein sehr erfahrene Kollege 30 durchführt? Ich denke, sicher nicht.“ Auch sei die Dynamik sehr hoch und die Qualität abhängig von den handelnden Personen, die gegebenenfalls auch kurzfristig wechseln können. „Die Intention des Klinikatlasses ist durchschaubar“, so Wiltfang, „letztlich soll die Krankenhausreform vorangetrieben werden und die kleineren Kliniken sind massiv bedroht.“

Verwirrung statt Transparenz

Auch nach Ansicht des Bundesverbandes Deutscher Privatkliniken e.V. (BDPK) verfehlt das Verzeichnis den beabsichtigten Zweck. „Statt den Patienten Orientierung zu geben, stiftet der Bundes-Klinik-Atlas vor allem Verwirrung. Anders als suggeriert wird, gibt es weder umfassende noch faire oder vergleichbare Informationen über den Versorgungsumfang und die Versorgungsqualität in deutschen Krankenhäusern,“ erklärt BDPK-Hauptgeschäftsführer Thomas Bublitz.

Der BDPK unterstützt jede Form von Qualitätstransparenz, die dazu führt, dass Patienten die bestmögliche medizinische Versorgung erhalten. Hierzu trägt der Bundes-Klinik-Atlas aus Sicht des BDPK aber nicht bei. Seine grundlegende systematische Kritik an der jetzigen Ausgestaltung des neuen Portals hat der BDPK in einer Kurz-Analyse zusammengefasst, mit der die Lücken und Fehlerquellen des Portals ebenso beschrieben werden wie seine Mängel in der Darstellung und der Methodik.

Masse statt Klasse

So würden die zwei im Atlas verwendeten „Tachos“, mit denen die Zahl der Behandlungsfälle und der „Pflegepersonalquotient“ eines Krankenhauses abgebildet werden, zu Darstellungen führen, die kaum Rückschlüsse auf die Behandlungsqualität zulassen. Weder die undifferenzierte Zahl der Fälle pro Krankenhaus noch die Gesamtzahl der im Krankenhaus angestellten Pflegekräfte sagt Konkretes über die erbrachte Behandlungsqualität aus. Für eine valide Bewertung ist vielmehr eine Risikoadjustierung erforderlich, die den Behandlungsschweregrad der Patienten und eine längere Verweildauer infolge komplexer Indikationen berücksichtigt. Ohne diese Differenzierung stehen vor allem Fachkrankenhäuser, die sich auf die Behandlung von schwerstkranken Patienten spezialisiert haben, in der Tacho-Darstellung fälschlicherweise schlechter da als allgemeine Krankenhäuser.

Ein weiterer eklatanter Fehler des Portals ist, dass keine Vergleichs- und Durchschnittswerte zu den angezeigten Ergebnissen abgebildet werden. Dadurch mangelt es an wesentlichen Orientierungspunkten. Ein großes Manko ist zudem, dass echte Ergebnisqualitätsindikatoren, die die tatsächliche Qualität der Behandlung bewerten (zum Beispiel PREMS oder PROMS, Komplikationsraten, AU-Dauer) im Portal gänzlich fehlen. Bereits existierende Portale und Initiativen, wie das Deutsche Krankenhausverzeichnis und die IQM sind hier schon wesentlich weiter und für die Patienten viel aussagekräftiger.

Beeinträchtigt wird der Nutzen des Portals auch dadurch, dass es häufig falsche Angaben zu den Grunddaten der aufgelisteten Krankenhäuser enthält, wie unkorrekte Adressen, falsche Behandlungsgebiete und Patientenzahlen sowie unrichtige Zahlen zur Bettenkapazität. Solche Fehler wären vermeidbar gewesen, wenn vor Veröffentlichung des Portals eine Testphase durchgeführt worden wäre und wenn es ein offizielles Verfahren zur Fehlermeldung geben würde.

Portrait von Minister Philippi

Der niedersächsischen Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung Dr. Andreas Philippi

Kritik aus der eigenen Partei

Der niedersächsischen Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung Dr. Andreas Philippi kritisiert das Projekt seines Parteikollegen Lauterbach ebenfalls scharf: „Es scheinen sich die Befürchtungen zu bestätigen, dass es sich beim Bundes-Klinik-Atlas um einen politischen Schnellschuss handelt und nicht um ein fundiertes Informationsangebot. In diesem Zustand muss die Seite vom Netz. In dem aktuellen Zustand erzeugt der Atlas Verwirrung, anstatt Orientierung zu geben“, so Dr. Andreas Philippi.

In das gleiche Horn bläst die Deutsche Diabetes Gesellschaft, die fragt: Wird der Bundes-Klinik-Atlas zum Rohrkrepier? Die Volkskrankheit Diabetes mellitus sei im neuen Atlas kaum abgebildet. So werden bundesweit etwa 700 Kliniken angezeigt, die einen Diabetes mellitus überhaupt behandeln – und dann häufig nur mit Patientenzahlen im einstelligen Bereich. Bei der Suche nach einer fachübergreifenden Behandlung der sogenannten „Zuckerkrankheit“ erhalte man gar keine Treffer. Und statt 350 stationären Einrichtungen mit einer DDG-Zertifizierung fänden sich im Portal nur vier Kliniken mit einer besonderen Diabetesexpertise.  

Titelbild: BMG/Jan Pauls