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Zahnstein - eine Zeitkapsel aus der Vergangenheit

Sabin-Christin Kornell: „Zahnsteinanalysen archäologischer Funde tragen entscheidend dazu bei, die Entwicklung der menschlichen Ernährung zu verfolgen sowie die Evolution oraler Erkrankungen zu verstehen.“

Eine Reise in die Vergangenheit mittels genetischer Analysen historischer Proben stand im Mittelpunkt des Vortrags von Sabin-Christin Kornell, am Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) Uni Kiel tätig, den sie an die Besucher des Deutschen Zahnärztetags 2017 richtete. Im Rahmen des Arbeitskreises Geschichte der Zahnheilkunde berichtete die Kieler Wissenschaftlerin über den aktuellen Stand ihrer Forschung und nahm dabei insbesondere die alte DNA (aDNA) und das orale Mikrobiom unter die Lupe.

Das orale Mikrobiom im Wandel

„Die genetische Analyse historischer Proben hilft uns unter anderem, die menschliche Geschichte besser zu verstehen, und spielt beispielsweise in der Evolutionsgenetik, Herkunftsrekonstruktion, Erforschung der Wanderung der früheren Menschen sowie in den Geschlechts- beziehungsweise Verwandtschaftsanalysen eine große Rolle“, führte Kornell in das Thema ihrer Doktorarbeit ein, die durch die Graduiertenschule Human Development in Landscape gefördert wird. Im Mittelpunkt ihrer Forschung stehe die Evolution des humanen (oralen) Mikrobioms, also der (oralen) bakteriellen Gemeinschaft, sowie die Veränderung der Ernährung über die Epochen der menschlichen Geschichte hinweg.

„Wir bestehen aus mehr Bakterienzellen als aus körpereigenen Zellen“, erklärte die 30-jährige Wissenschaftlerin weiter. „Eigentlich ist das humane Mikrobiom unser Freund, doch hat es sich im Laufe der Zeit durch modernen Lebensstil, Medikamenteneinnahme und Ernährung sehr stark verändert. Es ist schon heute abzusehen, dass gerade das orale Mikrobiom in Zukunft viele Krankheiten im Laufe des Lebens eines Menschen verursachen und dabei zu chronisch-entzündlichen Krankheiten führen kann.“ 

Ein Fund von großer Brisanz

Eine besondere Bedeutung für ihre Forschungsarbeit hatte der steinzeitliche Fund, der 2012 an der Kieler Außenförde gemacht wurde, erzählt Kornell. Zwei Berufstaucher entdeckten damals durch Zufall am Ostseegrund Reste einer submarinen Küstensiedlung, darunter die ältesten Menschenknochen Schleswig-Holsteins von vor rund 7.400 Jahren. Zu den archäologischen Funden, die Forschungstaucher und Studenten des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Universität (CAU) danach aus sechs Metern Wassertiefe geborgen hatten, gehörten sehr gut erhaltene weibliche Unterkieferfragmente samt Molaren.

Das Brisante daran: Die spätmesolithische Periode, aus der der Fund stammt, wird durch nicht-sesshafte Jäger-Sammler-Fischer-Gesellschaften geprägt, die keinen Zugang zu stärke- oder zuckerreichen Nahrungsquellen hatten. Aufgrund der kohlenhydratarmen Ernährung zeigen mesolithi­sche Funde in der Regel wenig Zahnstein­bildung. Dass an dem vorliegenden Fund kleine Mengen Zahnstein hafteten, kann als erstes Zeichen für ein Ungleichgewicht der oralen bakteriellen Gemeinschaft gedeutet werden. Diese Vermutung konnte mithilfe der metagenomischen Analysen bestätigt werden.

Im Zuge der Analysen wurde sowohl aus dem Zahnmaterial als auch aus dem Zahnstein die alte DNA isoliert und Libraries für die Hochdurchsatzsequenzierung auf der Sequenzplattform des IKMB erstellt. Als alte DNA werden – im Gegensatz zu moderner DNA – Erbgutmoleküle aus toten Organismen bezeichnet, die meist älter als 100 Jahre sind. Die aDNA kann aus einer Vielzahl Materialien gewonnen werden, zum Beispiel aus Knochen, Zähnen, Zahnstein sowie aus Weichgewebe. Zahnstein ist dabei eine außergewöhnliche Quelle für sehr gut erhaltene bakterielle aDNA. Sogar aus Überresten, die mehrere Tausend Jahre alt sind, ist es möglich, gut erhaltene aDNA zu isolieren und zu analysieren.

Zahnstein als Forschungsobjekt

Zahnbelag versteinert schon zu Lebzeiten des Individuums zu Zahnstein und bildet ein äußerst widerstandsfähiges, abgeschlossenes Kompartiment, das als kalzifizierter, bakterieller Biofilm betrachtet werden kann. Der Zahnstein enthält sowohl die bakterielle DNA des oralen Mikrobioms als auch die DNA von schädlichen Bakterien, den Pathogenen. Darüber hinaus ist es möglich, die aDNA von Nahrungsresten, die im Zahnstein eingeschlossen wurden, zu isolieren und so Aussagen über die Ernährung des Individuums zu treffen.

„Nach dem Tod des Individuums bleiben lediglich zwei Quellen des Mikrobioms erhalten – das Darm- und Zahnsteinmikrobiom. Doch im Zahnstein bleibt die DNA und damit die Geschichte des oralen Mikrobioms am besten erhalten“, sagt Kornell. Im Unterwasserfund von der Kieler Küste konnte mittels verschiedener bioinformatischer Programme eine Vielzahl von oralen Pathogenen im Zahnstein detektiert werden. Darunter auch Bakterien, die in starker Assoziation mit der schwerwiegenden Form von Parodontitis, einer entzündlichen Erkrankung des Zahnhalteapparats, stehen.